Letzte Nacht habe ich mit der letzten Episode der vierten Staffel die Serie The Killing zu Ende geschaut. Ich bin vor ein paar Wochen eher zufällig drauf gestoßen, als ich bei Media Markt auf dem Sonderangebote-Tisch zahlreiche Serien für 9 Euro pro Box durchsah – und neugierig wurde. Mich interessieren zeitgenössische Geschichten bei weitem mehr als historische – von Mad Men abgesehen (Boardwalk Empire hat irgendwo in der ersten Hälfte der dritten Staffel meine Aufmerksamkeit verloren, Manhattan habe ich sogar, trotz Interesse an New Mexico und der Nuklearenergie-Thematik, nur etwa fünf Folgen lang geschaut).
Außerdem schaue ich äußerst gerne Serien, bei denen der Ort eine tragende Rolle spielt, und häufig bekommt man ja wirklich spannende Einblicke in Ecken, von denen man zwar gehört hat, aber über die man wenig weiß. Ich war vor 17 oder 18 Jahren einmal in Seattle (bei unserer USA-Rundreise 2015 waren wir zwar im Staat Washington, aber nur im Osten und entlang des Columbia River), also hoffte ich, dass The Killing die Stadt in interessanter Weise zum Mit-Protagonisten machen würde.
The Killing ist eine US-Adaption der, wie ich las und hörte, sehr erfolgreichen dänischen Serie, die im deutschen Fernsehen als Kommissarin Lund – Das Verbrechen (Forbrydelsen), ausgestrahlt wurde. Meine Eltern schauen viele, vor allem skandinavische Krimiserien, da fiel der Name dieser Serie immer mal wieder, doch weckte der Titel Kommissarin Lund bei mir eher Assoziationen zu den zahllosen durchschnittlichen deutschen Kommissar- und Polizei-Serien, so dass ich das nicht weiter verfolgte … Vielleicht ein kleines Versäumnis. Dennoch: Sollte es sich wie beim Girl with a Dragon Tattoo verhalten, wurden bei der US-Version womöglich so einige Oberflächlichkeiten und Banalitäten ausgemerzt zugunsten von tieferer Figurenzeichnung. Diesen Eindruck hatte ich zumindest schon in der ersten Staffel von The Killing (13 Episoden à 43 Minuten). Und weil uns die Zeichnung der Figuren und der Lebenswelten so fesselte, kaufte ich schon nach wenigen geschauten Folgen gleich die Box mit allen vier Staffeln, die wir nun recht zügig durchgeschaut haben.
Wenn mich etwas stört bei The Killing, dann ist es, dass die Autoren einen oftmals starken Drang zum Über-Dramatisieren haben, der den Handlungsverlauf immer wieder bis an die Grenzen der Wahrscheinlichkeit strapaziert. Es gab allerdings nur eine Episode (in Staffel 3), in der diese Zuspitzungswut auf Kosten der Figuren geht (ja, das war schade und auch etwas ärgerlich, schmälerte die Freude am gesamten Schauen der Serie jedoch nur marginal). Zumeist leisten die Regisseurinnen und Regisseure der Episoden ausgesprochen sensible und überzeugende Arbeit, was sich sehr häufig darin äußert, dass viele Figuren, sowohl die beiden zentralen Homicide Detectives Stephen Holder (Joel Kinnaman) und Sarah Linden (Mireille Enos) als auch die größeren Nebenfiguren (die ersten beiden Staffeln bilden eine Einheit, und die Staffeln 3 und 4 knüpfen ein Jahr später an einen vor bereits drei Jahren abgeschlossenen Fall an) durch diverse Milieus mit einer emotionalen Eindringlichkeit und Authentizität erfahrbar gemacht werden.
Daraus entsteht oftmals eine größere Spannung aus durch die sog. äußere Krimihandlung, die gleichwohl laufend überraschende Wege und Wendungen bereithält, gut durchdacht mit Erwartungshaltungen jonglierend. In den verschiedenen Haupt- und Nebenhandlungen geht es quer durch die Gesellschaft auch um Politik, um einen Gefangenen in der Todeszelle in den Wochen vor der Hinrichtung, um „dessen“ Gefängnisangestellte, um die Interna der Polizeiarbeit, um „Indian Land“, um eine Elitemilitärakademie, um Straßenkids und Mädchen auf dem Strich – und oft um einfache, glaubwürdige Menschen mit existenziellen Erfahrungen und vielschichtigen Lebenslagen. Deshalb passt es gut, dass einmal gesagt wird, die „bad guys“ sind womöglich nicht zu finden, nur das Leben an sich.
Imponiert hat mir auch, dass viele der Figuren (nach konventionellen Drehbuchmaßstäben) mindestens ebenso viele unsympathische, uncharmante Züge haben dürfen wie als „liebenswert“ zu bezeichnende, ähnlich wie es in der ein paar Jahre später entstandenen (kürzeren) Serie True Detective auch gepflegt wurde. Ich weiß, dass das bei Fernsehredakteuren zuverlässig auf Widerstand stößt (und The Killing wurde in Amerika auch im Free TV ausgestrahlt), aber wahrscheinlich war hier der große Erfolg der dänischen Vorlage ein Türöffner. Trotz der wie gesagt immer wieder zur Überspitzung neigenden Drehbücher hat mich The Killing als sehr authentische Polizeiserie beeindruckt und ohne Einschränkung bestens unterhalten. Und ja, von Seattle bekommt man viel zu sehen, ein wenig vergleichbar mit Baltimore in The Wire.