MHQ: Einige Manafonisten haben noch Platten nachgereicht, die sie nach den Nikolaus-Listen entdeckt haben, du auch?
Michael: Ja, genau eine, welche gerne und vorzugsweise verrissen wird und mich fasziniert in ihrer Urkraft, und auch weil ich noch nie gehört habe, dass, eigentlich mein Unlieblingsinstrument Nr. 2, die Mundharmonika so grossräumig klingen kann wie eine Kirchenorgel, mein anderes Unlieblingsinstrument Nr. 1. Ach so, Neil Youngs PEACE TRAIL heisst die Scheibe. Ich höre sie nur laut. Youngs Gesang ist magisch, die Texte balancieren das Politische und das Private. Die Ursuppe der Rockmusik. Für Canyons. Und um einigen Amerikanern das Brett vorm Kopf zu entfernen. Leider Utopie. Keltners Drumming ist grosses Understatement.
MHQ: Du hast keine Lieblingsmusik für Orgeln?
Michael: Gott bewahre! Wenn man dieses Pfeifenarsenal in der Kindheit als Unterdrückungsinstrument der katholischen Kirche erlebt hat, mit all diesen Angstmachern, die sich damals Pädagogen nannten und noch den Muff der Nazis inhaliert hatten, gibt es, für mich jedenfalls, keine Chance, Messiaen zu mögen, oder sonstwas … ich fand auch Jarretts Orgelmusik aus Ottobeuren langweilig (selbst ohne meine Antipathie gegen das Instrument), ausser: vor Jahren erschien die Platte einer Orgelspielerin, die ich lang schon vergeblich suche. Ich habe nur über sie gelesen. Die Frau, deren Namen ich auch vergessen habe, spielt die Orgel in der Kirche wie einen kleinen Klangkörper, lässt jedes Auffahren, den ganzen Dröhn- und Erhabenheitsmist, aussen vor, aber man hört, wie jemand den Kirchenboden wischt, Hundegebell draussen. Wenn mir jemand dieses Album besorgt, ich spiele es sofort in meiner Februarnacht …
MHQ: Mutieren die Manafonisten jetzt zu einer Klartraum-Gruppe? Du hast eine „Apotheke“ aufgemacht, de Bücher bereit gestellt, und mit Uli Koch einen weiteren Spezialisten fürs Thema ins Team geholt.
Michael: Nein, die meisten von uns haben andere Schwerpunkte. Ich weiss, dass Martina sich den Klassiker von LaBerge besorgt hat. Ich werde sicher den einen und anderen Klartraum haben, demnächst, und erzählen, denn eine neue Forschungsphase ist angebrochen, mit den Neurotransmittern und Nootropica. Am Anfang stehen aber immer ein gutes Einführungsbuch, das einfache Steigern der Traumerinnerung, und die klassischen Übungen. Viele denken, ja, das sei sicher mal ganz nett, und sehen nicht, dass sich durch einen einzigen guten Klartraum das Leben hinterher anders anfühlt. Es ein wenig verändert. Ingo würde ich es sehr empfehlen, er ahnt nicht mal, was er da für seine Filmprojekte an Inspiration rausholen kann. Und warum sollte Rosato nicht Lust haben, Erroll Garner zu sich zu rufen, und vierhändig mit ihm, bei vollem Bewusstsein, Klavier zu spielen. Small Talk incl. Das ist jetzt kein Witz: das macht der luzide Traum tatsächlich möglich. Man blockiert sich leicht selber mit falschen Einschätzungen. Genug der Promotion :)
MHQ: Welches wird die zweite interessante Neuveröffentlichung des Jahres?
Michael: Keine Ahnung, vielleicht The XX, ich liebe ihre zwei ersten Alben, das Soloalbum des Sängers langweilte mich dann auf Anhieb. Vielleicht The Flaming Lips, die ich evtl. In Berlin in Huxleys Neuer Welt erlebe, am 24. Januar. Das neue Album soll selbst bei harten Fans Verwirrung auslösen, klingt doch schon gut :) – und neue Soundtracks sind immer für Überraschungen gut. Was den Jazz betrifft, freue ich mich auf ein Duo aus Piano und Saxofon / Blassklarinette. Ein Lieblingsformat von mir. Das Album von Aki Takase und David Murray erscheint im Februar bei Intakt in Zürich. Ralph Towners Sologitarrenalbum kenne ich schon, wunderbar laid back, so tief entspannt wie einst J.J. Cale auf der Veranda. „My Foolish Heart“ kommt aber auch erst Anfang Februar bei ECM raus.
MHQ: Welchen Thriller liest du gerade?
Michael: Keinen. Ich muss mich erst noch von Stephen Dobyns grossartigem „Das Fest der Schlangen“ erholen. Im Frühjahr soll es ja ein neues Ray Davies-Album geben, „Americana“ – ich habe mir sein gleichnamiges Buch besorgt, und reise mit ihm jetzt vorwärts und rückwärts durch die Jahrzehnte seiner amerikanischen Träume, Traumen und Ernüchterungen. Ein bestürzend ehrliches Buch, ein genauer Chronist politischer Niedergänge, und zwischendurch Geschichten vom „Perfect Riff“. Kleiner Leserausch für den grössten Kinks-Fan der Manafonisten, neben Lajla, Gregor … (lacht) Ich muss los, die Sonne kommt, eine Stunde über den Berg gehen, slowly, slowly! Dick eingepackt mit Schal und Mütze.