Es ist zu leicht, auf diese neue Ausgabe von Mono.Kultur aufmerksam zu machen. Man bräuchte nur ein, zwei Episoden des Gesprächs zum Besten zu geben. Oder drei, vier kurze Stellen zitieren. Man könnte auch, noch einfacher, die Künstlerin kurz vorstellen, mit Witz, oder im Stil von Wikipedia. Aber ist es nicht langweilig, einfach eine Schublade aufzuziehen, oder den kundigen Animateur zu geben? Wer mit ihren Arbeiten vertraut ist, braucht das alles sowieso nicht, und wird dennoch grosse Freude beim Lesen haben. Jede Ausgabe von Mono.Kultur enthält ein einziges, langes Gespräch, begleitet von Illustrationen, graphisch exzellent aufbereitet. Wer Sophie Calle nicht kennt, wird auf jeder Seite, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, verblüfft sein, verwundert. Auf Ideen kommen. Im Grunde ist die Kunst der Sophie Calle eine einzige weit verzweigte Gebrauchsanweisung, das Staunen über die eigene Existenz als ständige Option beizubehalten, das Leben als aufregende Versuchsanordnung zu gestalten, abseits selbstgefälliger Avantgardisterei. Kein Wunder, dass sie mit Laurie Anderson bestens befreundet ist. Bevor ich jetzt doch in die Falle tappe, und einzelne Stories anreisse, hier kurz eine unvollständige, entspannte Liste der Angesprochenen, um das Wort Zielgruppe zu vermeiden. Freunde generativer Musik, Zenlehrer, Psychotherapeuten, Alltagsabenteurer, Erforscher von Zufallsprozessen, Verwandlungskünstler, Pataphysiker, die Lesergemeinde von Detektivgeschichten, Julio Cortazar, Ror Wolf, Heinrich Steinfest oder den besseren Büchern von Paul Auster, Anhänger von Schelmenromanen a la Bouvard und Pécuchet, Freunde der Videowerke und Schriften von Bill Viola, alle Menschen, die Songalben von Brian Eno besitzen oder gerne seine Oblique Strategies zur Hand nehmen, jedes Individuum, das sich für Bon Ivers neues Album Twentytwo, A Million begeistern kann. Auf keinen Fall sollten sich folgende Personengruppen dieses fantastische Heft zukommen lassen. Journalisten, die sich darüber aufregen, dass Bob Dylan den Nobelpreis für Literatur bekommen hat, Leute, die Coldplay für eine grossartige Band halten, Menschen mit moralischer Verachtung für Stripteasetänzerinnen, Menschen, die das Album Mensch von Herbert G. lieben, verklemmte Calvinisten, und andere Sapiens, die auf jede Spur von Exzentrik mit Abwehr und dummen Sprüchen reagieren. (Angaben zur Bestellung in comment one.)
2016 24 Nov
Ein herrlich illustriertes, inspiriertes Interview mit Sophie Calle
von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Tags: Mono.Kultur, Sophie Calle | 18 Comments
18 Comments
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Michael Engelbrecht:
Highly recommended for our readers, every single manafonista, for friends of chance and adventure, road and armchair travellers. Much too inspiring to miss. Julio Cortazar would have loved her …
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Martina Weber:
Das ist ja eine hinreißende Publikationsreihe! Erscheint in Berlin, aber alles auf englisch. Wenn sie zweisprachige umfangreichere Bücher produzieren würden, könnten wir uns da glatt mit unserem Manafonistas-Buchprojekt bewerben …
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Ingo J. Biermann:
Nie davon gehört, hab ich mir gleich mal blind bestellt, auch wenn ich zu keiner der Gruppen (Journalisten, die sich darüber aufregen, dass Bob Dylan den Nobelpreis für Literatur bekommen hat, Leute, die Coldplay für eine grossartige Band halten, Menschen mit moralischer Verachtung für Stripteasetänzerinnen, Menschen, die das Album Mensch von Herbert G. lieben, verklemmte Calvinisten, und andere Sapiens, die auf jede Spur von Exzentrik mit Abwehr und dummen Sprüchen reagieren) gehöre.
(Immerhin finde ich Herberts Album nicht schlecht. Er hat langweiligere Alben gemacht. Aber „Bleibt alles anders“ ist besser.)
… aber auch weil ich sah, dass es da auch noch eine frühere Ausgabe mit Manfred Eicher gibt, von der noch Exemplare vorrätig sind.
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Michael Engelbrecht:
Dann bist du doch bis auf Herbert G. völlig richtig, Ingo.
Da hast du dich verlesen :)Da steht:
„Auf keinen Fall sollten sich folgende Personengruppen dieses fantastische Heft zukommen lassen …“
Beim Schreiben hatte ich keinen Zugriff auf erweiterte Satzzeichen!
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Ingo J. Biermann:
Ja, da hab ich mich tatsächlich verlesen. Hatte für mich aber auch Sinn ergeben, weil ich das dann als Horizonterweiterungsratsschlag für die gemeinten Personengruppen verstanden hatte.
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Michael Engelbrecht:
Ich halte mich bei diversen Gruppen e x t r e m zurück mit Horizonterweiterungsvorschlägen, und jede Art von pädagogischen oder medienpädagogischen Zeigefingern ist mir fremd.
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Jan Reetze:
Den Beitrag mit Manfred Eicher gibt es als eigenstaendige App fuer das iPad: mono.kultur #26 . Ich erinnere nicht mehr, ob sie kostenlos war, aber ich glaube schon.
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Ingo J. Biermann:
Was macht man denn, wenn man keine iPads oder iPhones oder so hat?
Dann ist man leider im Nachteil mit kostenlosen Angeboten …
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Michael Engelbrecht:
Nun, was Sophie Calle betrifft, gibt es sicher genug Leute, die wir kennen, die zur ersten „Zielgruppe“ zählen. Das Heft ist, gemessen an der Substanz, äusserst preiswert, ich empfehle, die Ausgabe #42 gleich fünf- oder zehnfach zu bestellen, und, als serielles Weihnachtsgeschenk, natürlich individuell verpackt, im Freundeskreis zu versenden. Ich empfehle natürlich gar nichts. Aber ich mache genau das!
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Uwe Meilchen:
Darf ich ergaenzen dass es auch eine Mono.Kultur Ausgabe gibt, die BRIAN ENO gewidmet ist und ein Gespraech, seine Tochter mit ihm gefuehrt hat, enthaelt ?
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Jan Reetze:
Ingo, da hat man dann wohl Pech. Immerhin kann man dann mal hier schauen, um zumindest einen Teil des Inhaltes der App ansehen zu können. Die App ist ziemlich ausgefeilt und war wohl auch eine einmalige Sache; den Eno-Artikel aus Nr. 34 z.B. gibt es nicht als App.
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Lajla Nizinski:
Ich habe ja eine ganze Weile die „DU“ gelesen. Seit sie nur noch ein Thema hat, lese ich sie nicht mehr, weil ich nicht alles über Max Frisch wissen möchte, es langweilte mich.
Ich habe mir Texte und Fotos von Sophie Calle angesehen. Es ist eine Ich Ich Ich Performerin, nichts Neues, alles schon mal dagewesen, mich inspiriert sie nicht. Ich finde es aber trotzdem cool, dass Bobby den Preis bekommen hat :)
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Michael Engelbrecht:
So kann man das sehen, ich sehe das anders.
Sie ist eine Ich-Auflösungskünstlerin.
Also ein ganz anderes Kaliber als die Egomanenzunft.
An deinen ue’s umd oe’s und an Bobby gut zu erkennen :), Lajla, aber lass mal den Anonymous weg, das erinnert mich an katholische Gesangsbücher.
Du magst ja auch ihre alte Freundin Laurie Anderson ganz und gar nicht, in ihren Interviews, oder wenn sie in ihrem Film, imaginiert, einen Hund zur Welt bringt. Nicht deine ideale Teeparty :)
P.S. Ich, ich & ich möchten jetzt eigentlich noch was zu dieser Ichauflösung in ihren Arbeiten erzählen, aber dann würde ich wieder zu viele Stories aus #42 von MONO.KULTUR preisgeben. Ich behaupte auch gar nicht, dass sie jedermans Sache ist, drum machte ich schon in meinem Text, der nichts verraten und doch verlocken wollte, die Einschränkung „mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit“. Jedenfalls finde ich etliche ihrer Projekte aufregend, abenteuerlich, thrillend, und, aus psychologischer Sicht, aufregend und deep, very deep.
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Lajla Nizinski:
Halleluja, dieser Anonymus besteht nur auf meinem PC, ich versuch’s zu ändern.
Wer in allen gängigen Häusern ausgestellt hat und zudem in Venedig seine tote Mutter als letzten Showkick braucht, weckt nicht meine Neugier auf Kunst.
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Michael Engelbrecht:
Das mit dem letzten Showkick ist, aus meiner unmassgeblichen Sicht, an der Sache vorbei gehende Polemik. Auch dazu gibt es erhellende Aussagen im Heft, welche da eine ganz andere Perspektive erlauben.
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Michael Engelbrecht:
THE ADRESS BOOK entdeckte ich erst 2014.
Pure Magie, und eines von einer Handvoll Bücher, das ich dreimal las, ohne eine Sekunde der Langeweile.
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Lajla:
Es ist immer schön, wenn man sich für etwas begeistert.
Laurie Anderson mag ich an der Geige, aber nicht als Hundegebärerin :)
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Martina Weber:
Nachdem ich einige Jahre nichts mehr von Laurie Anderson gehört hatte, hatte mich „Heart of a dog“ doch sehr begeistert und wieder zurückgeholt. Ich mochte das Essayistische daran, die Art der Erzählung, das Authentische, vor allem die Erinnerungsszenen an ihre Mutter und ihr Umgang damit. Und Laurie Andersons Erzählstimme, den Rhythmus, das mag ich auch.
Sophie Calle kannte ich bisher nicht. Ich lese aber gern lange, inspirierende Interviews und freue mich auf das schön gestaltete Bändchen. Sprachlich interessieren mich eher kürzere Formate, die vom gängigen Erzählen abweichen und die Genregesetze brechen, unberechenbar sind.