Walter Bachauer war eine Wucht. Was er in den Äther schickte erstaunte mich – Sachen, die der Bayerische Rundfunk Äonen später sendete (wenn überhaupt) …
Bachauer produzierte das Avantgardemagazin und das Musicarium im RIAS. Die beiden Sendungen wechselten sich ab und waren jeweils Montags von 23 Uhr bis 1 Uhr zu hören. Lebhaft in Erinnerung ist mir eine Ausgabe des Musicariums mit Gustav Mahler, Pink Floyd und einer Indischen Raga. Es war Bachauers Bestreben, Grenzen zu ignorieren oder gar als nicht vorhanden zu deklarieren. Dafür war ihm die Plattform ‘Radio’ offensichtlich zu eng. Er verwirklichte dieses Konzept in seinen Metamusik-Festivals 1974, 1976 und 1978 in Berlin.
Vieles habe ich in Sendungen Walter Bachauers zum ersten Mal in meinem Leben gehört: Steve Reich, Philip Glass, Terry Riley, Brian Eno, Laurie Anderson, Clara Mondshine, Ghana Dance Ensemble, John Cage, Joan LaBarbara, Gesang Tibetanischer Mönche und mehr.
Der Entschluss
Zur Erholung fuhren meine Eltern mit Großvater und uns nach Adlenz auf die Bürgeralm. Paul, der inzwischen Germanistik und Geschichte studierte, traf in der Berghütte einen Schulkameraden, Walter Bachauer. Walter war ein besonders begabter und offener Mensch. Er war groß und kräftig und hatte infolge eines missglückten chemischen Experiments eine weiße Augenbraue, die mich an Kapitän Ahab in Melvilles »Moby Dick« erinnerte. Er hatte mit Paul in der sechsten Klasse eine Reise an den Ossiacher See gemacht und ihm beim Messerwerfen mit der Klinge den Handrücken verletzt, der seitdem eine breite Narbe aufwies. Trotzdem blieben sie befreundet. Während Großvater abwechselnd mit Helmut und meinem Vater Schach spielte, redete ich mit Walter über alles Mögliche. Er kannte sich besonders bei der Avantgardemusik aus, brachte mir Mahler, Schönberg, Berg und vor allem Webern nahe und schenkte mir Bücher, die einen Einfluss auf mein Denken nehmen sollten: den »Kinsey-Report«, Sigmund Freuds »Traumdeutung« und den »Ulysses« von James Joyce, den ich von da an jahrelang mit mir herumschleppte, bis ich ihn endlich zu lesen anfing. Die endlosen Gespräche mit Walter öffneten mir ein Tor zu einer Wirklichkeit, auf die ich schon lange neugierig gewesen war.
aus: Gerhard Roth, Das Alphabet der Zeit