Sie war bereits als 10 Jaehrige nach Italien ins Sommercamp geschickt worden, nur unter der Obhut von abenteuerlustigen Studenten. Schon damals hatte sie das Gotthard Gefühl gespürt. Bei der jetzigen 10 minütigen Tunnelfahrt hatte sie gehofft, dass der Freudsche Urschrei ausbliebe und ihr das Hineinschiessen in das Helle der Welt wieder jenen orgiastischen Auftrieb bescherte. Genauso wiederholte sich der Schuss in die sonnige andere Seite. Sie war glücklich. Über ihr Ziel, den „Monte Verita“ hatte sie im ICN folgendes gelesen:
„1900-1920. Kleine Gruppe von Idealisten aus dem Norden ließen sich hier nieder, um alternativ zu leben. Das dauerte bis 1920, ein Lebensexperiment fernab von Hektik, Kapitalismus und sozialen Regeln, naturverbunden und strenger Diät: Beeren, Nüsse, Obst, kein Wasser.“
Gründer waren die Klavierlehrerin Ida Hofmann und ihr Partner Henri Oedenhoven. Der Monte Verita liegt sehr schön oberhalb von Ascona und dem Lago Maggiore. Mit den Überspannten dieser Zeit hatte sie wenig gemeinsam. Viel zu sehr war sie den vorallem abendlich auftauchenden Wünschen nach einer Currywurst verfallen und zudem liebte sie edle Kleidung, auf die sie nicht verzichten wollte. Sie frönte gern exklusivem Essen mit gutem Gewissen: „Solang es noch möglich ist …“ Im Bauhausrestaurant auf dem Monte Verita dachte sie, dass sie den Stil nicht mochte, diese Strenge, diese bigott eingesetzte Ökonomie, das erinnerte sie an Martha Nussbaum. Sie bestellte sich das Risotto von Dimitri. Sie mochte diesen herzlichen Clown, der hier in der Gegend zuhause war, schon immer. Dimitri hatte oft hier gesessen und einmal hatte er sein Rezept mitgebracht: Risotto mit Safranblüten und Himbeer Coulis. Sellerie Pesto und knusprigem Venus Reis.
1926-1964 war der rätselhafte Baron Eduard von der Heydt aus Wuppertal der Besitzer des Monte Verita. Viele internationale Künstler zog es auf diesen magischen Berg. Unter ihnen weilte auch die russische Malerin Marianne Werefkin. Als sie 1938 starb, nahm die gesamte Stadtbevölkerung von Ascona von ihr Abschied. Ein Teil ihrer grossen, grossartigen Gemälde hängen in dem von ihr gegründeten Museum in der Altstadt. Keine Siegerkunst, wie erholsam.
Als sie die 1000 Treppen vom Monte hinunterstieg, zählte sie auf, was sie alles verpassen würde:
– Vanessa Rubin im Jazz Cat Club Ascona
– Paolo Conte, der hier mit 80 noch tourt
– die Kastanienfeste
Alles hat seine Zeit.