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2016 21 Okt.

Gregor öffnet seinen Plattenschrank (123)

von: Gregor Mundt Filed under: Blog | TB | 5 Comments

Wenn der Tempo mit dem Jukebox-Man kommt …

 
 

Im Juni letzten Jahres war ich zuletzt in Henrys Kneipe, zurück nun also in Hörnum, in Henrys kleiner Wirtschaft am Rande des Hafens, direkt an der Nordsee gelegen. Nach Westen hin nur noch Sand, Dünen, weiter südwestlich ist Amrum zu sehen, im Norden, oberhalb der Gaststätte, der Leuchtturm. Es war ein wunderschöner Frühsommertag damals, als ich Henry die Wurlitzer gebracht hatte (Plattenschrank 95) … Immer wieder, was für ein Fest, einen komplett leeren Plattenkranz mit 100 Singles neu zu bestücken; die kleinen mit den Plattentiteln bedruckten Schildchen korrekt unter die jeweilige Nummer in die fast zu engen Plastikfächer zu schieben, und dann der Test: Nummer und Titel sollten jetzt stets übereinstimmen. Ich würde mir das nie verzeihen, wenn Henry A8 drückt und LOLA von den KINKS zu hören annimmt, aber TEARS OF A CLOWN von SOMKEY ROBINSON AND THE MIRACLES ertönen, das ist zwar auch eine fantastische Nummer, aber eben nicht LOLA, nee, also, das geht gar nicht.

 
 
 

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Michael Chabons Buch “Telegraph Avenue” (Köln 2014) hatte Henry damals gerade gelesen und gemeint, dass seine Ängste, was das Überleben seines Betriebs anginge, ihn an den kleinen Plattenladen in Michael Chobons Buch erinnerten. Ich wollte natürlich nun nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und sofort bei meiner Ankunft nach dem Wohlergehen des Ladens fragen und so machte ich mich nach einem Begrüßungsdrink an Henrys Bar zunächst einmal an die Arbeit und schaute nach der Box. Ein paar Kleinigkeiten gab es zu richten, aber ansonsten, so sagte mir Henry, laufe die Box wie geschmiert. „Das soll wohl so sein …“, meinte ich. Mitte Oktober, Gäste waren keine mehr ins Sicht und so sperrte Henry die Türe seiner kleinen Hafenkneipe etwas früher ab als sonst. Wenn noch jemand gekommen wäre, Henry hätte ihn nicht verdursten lassen. „Wie liefen die 100 Singles? Welche Musik mochten deine Gäste in den vergangen 15 Monaten? Gibt es Schwerpunkte?“, fragte ich. „Es sind die Jahre 1966 bis 1973, Sachen aus dieser Zeit laufen bestens und dann noch ein paar deiner Missionsplatten aus der Jetztzeit, ich schau gleich mal nach …“ Das Gespräch drehte sich um Musik, aber gerade als ich nach dem Geschäft fragen wollte, stand Henry auf und holte uns etwas zu essen: Leckerste Fischbrötchen und einen feinen, kühlen Weißwein.

 
 
 

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Was dann aber passierte, damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Henry verschwand hinter der Bar und holte einen Stapel CDs hervor, alle gleich an der Verpackung als ECM-CDs zu erkennen. „Das“, so meinte er, „ist meine Entspannung. Wenn der Laden leer ist, der letzte Gast den Weg zur Tür gefunden hat, dann schalte ich die Box ab und lege, während ich aufräume, spüle, die Tische hochstelle, einige dieser CDs auf. Ganz am Schluss, bevor ich gehe, setzte ich mich nochmal in Ruhe hin, trinke einen Bunnahabhain (Islay Single Malt Scotch Whisky) und höre ganz intensiv noch ein einziges Stück von einer ECM-Platte, die mir besonders gut gefällt. So, und weil du ein so guter Freund bist, hole ich jetzt die Flasche Bunnahabhain, und nenne dir meine Late-Night-Stücke der letzten zehn Tage. Ich nehme mal an, du kennst die Platten und wirst dann in der Lage sein, aus den zehn genannten Musiktiteln einen auszusuchen, mit dem wir diesen wunderbaren Abend beschließen.“ Er wählte zehn ECM-Platten aus dem Jahr 2016 aus und nannte von jeder Platte seinen Lieblingstitel:

 
 

Glauco Venier: Music for piano and percussion: Gunam

Andrew Cyrille Quartet: The Declaration of Musical Independence: Kaddisch

Tonu Krvits / Veljo Tormis: Mirror: The Last Ship

Avishai Cohen: Into The Silence: Life and Death

Jacob Bro: Streams: Full Moon Europa

Jack DeJohnette, Ravi Coltrane, Matthew Garrison: In Movement: In Movement

Jon Balke: Warp: This Is The Movie

Tigran Hamasyan, Arve Henriksen, Eivind Aaret, Jan Bang: Atmospheres: Traces 5

Rolf Lilevand: La Mascarade: Chaconne en la mineur

Tord Gustavsen: What was said: I Refuse

 
 

Ein Auslese feinster Art, diese Stücke und ich stellte mir bei jedem einzelnen Titel Henry vor, wie er die Kneipentür abgesperrt hat und nun alleine bei einem Lagavulin oder einem anderen edlem Malt sitzt und der Musik lauscht, ganz für sich allein.

Mit Henrys zwei Plattenwünschen aus dem letzten Jahr: Midnight Theme (Fraternity 1975) und Redbonin´, eine Platte, die es im Juli 1972 bis auf Platz 32 der R&B-Charts geschafft hatte, bin ich noch nicht erfolgreich gewesen, das nächste Mal vielleicht.

 
 
 

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This entry was posted on Freitag, 21. Oktober 2016 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

5 Comments

  1. Lajla Nizinski:

    Jukeboxman show me the way to a Jukebox with ECM Music!

    Why can‘ t we listen to this music in public? In a Pub. Drunk as drunk can be.

  2. Michael Engelbrecht:

    Gregor hat es gut mit seinen Reisen nach Hörnum.

    Der schlägt sich zwischen Hörnum und Rantum immer illegalerweise auf einen Dünenpfad, und musss sich gelegentlich im Dünenhafer verstecken, wenn ein Hubschrauber Sichtungsflüge macht. Ich plane bald wieder dort zu sein – Baltrum oder Samoa Seepferdchen (Sylt) – das ist die Frage hier :)

  3. Gregor:

    Ja, das wär echt was, eine Jukebox mit ECM-Platten, in einem Pub …

    Und Michael, das mit dem Dünenpfad hättest du vielleicht nicht verraten sollen. Aber: INTERESSIERT SICH DENN HIER KEINER DAFÜR; WELCHE PLATTE DER JUKE-BOX-MAN HERAUSGESUCHT HAT???

  4. Gregor:

    HIER DAS ENDE DER GESCHICHTE:

    Oh, die Auswahl war mehr als schwer, vor allem deshalb, weil Henry auf einem Titel bestand. Meine Verhandlungen gingen in Richtung, mindestens zwei Titel spielen zu dürfen, aber Henry, der alte Spieler, bestand auf einem Titel.

    Okay, dann: Andrew Cyrille Quartet – The Declaration of Musical Independence: „Kaddish“. Weil Bill Frisell hier so unglaublich schön, so gut, so wunderbar spielt, ein angemessenes, ein wunderbares letztes Stück.

  5. Volker Demand:

    Fand ich Vor ein paar Tagen, Ruedi bringt es immer noch schön auf den Punkt …

    „Sie trägt den programmatischen Titel ‚The Declaration of Musical Indepence‘, und das heisst in Cyrilles Fall die Entscheidung für eine freie, aber keineswegs anarchische oder gar beliebige Perkussion.

    Sie ist, könnten wir sagen, die Rebellion des (gefühlten) Rhythmus gegen das (gesetzte) Metrum, inspirierend offen im Interplay mit all seinen Partnern, mit eindringlich hymnischen Passagen (‚Coltrane Time‘, oder Frisells ‚Kaddish‘) und einer Reihe kollektiv entstandener quecksilbrig changierender Stücke wie der Hommage an den Produzenten, ‚Manfred‘. Heavy stuff.“

    Peter Rüedi, Die Weltwoche


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