Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2016 12 Aug

Verwickelt

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | Tags: , | 2 Comments

Als Gilles Deleuze und Félix Guattari einst den Anti-Ödipus ins Leben riefen, entstand damit eine Art Gegenfigur zu jenem Helden aus griechischem Mythos, der seinen Vater tötete und die eigene Mutter heiratete. Ein Begriff, der in dem Buch mit dem Untertitel Kapitalismus und Schizophrenie immer wieder gebraucht wurde, lautete „Die Wunschmaschinen“.

Was genau das sei, habe ich nie so ganz verstanden, wie Vieles aus den Denkerwelten Jacques Lacans oder Jean Baudrillards. Ehrwürdige Mitstreiter am Rande der Scharlatanerie, wenn es darum ging, sprachlich überkonstruierte Unverständlichkeiten zu erschaffen: Dickicht und Gestrüpp, in dem der Leser sich verfangen konnte oder aber intellektuelle Zuflucht fand. Lag es am Französisch, das unsereins ja leider nie richtig lernte? Animierte nicht so manche Sprachmelodie auch zu einem linguistischen l´art pour l´art: zum Palaver? So wie das brasilianische Portugiesisch zum Bossa Nova inspirierte? Outras palavras.

Man könnte meinen, ausgewiefte Exegeten wie beispielsweise Slavoj Zizek böten nun Gebrauchsanweisung und Klempnerdienst an für derlei komplizierte Theorien. Doch weit gefehlt, der slowenische Philosoph treibt ein sehr unterhaltsames, jedoch vermaledeites Spiel, immer mit dem Schalk im Nacken: er setzt den Hasen auf die Fährte, hält ihm die begehrenswerte Möhre vor die Nase und der ist doch am Ende nur genaseweisst und ausser Atem. „Ick bün al dor!“, grinst Rabbitskinner Zizek auf gut plattdeutsch und hält statt der Lösung nur deren dialektischen Kontrapunkt hin. Anstelle kognitiven Landgewinns wieder nur das stets entkräftende Gegenargument: ewiges Vexierspiel.

Zurück noch einmal kurz zu den mythischen Anfängen: ein „Anti-Narziß“ wurde meines Wissens nie geschrieben, auch wenn Peter Sloterdijk („Er schon wieder!“) in seinem Buch Zorn und Zeit darauf hinweist, man könne Ödipus und Narziß jetzt mal getrost vergessen. Sie seien längst diskreditiert als unverbesserliche Idioten, die den Schuss noch nicht hörten. So meinte es wohl einst auch eine Freundin: immer wenn ein Verehrer sich als Möchtegern-Napoleon aufspielte, nach dem bekannten Motto Ja-wie-toll-bin-ich-denn!, entgegnete sie spröde, er sei doch nur vom Wickeltisch gefallen.

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2 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Wunderbarer Text.

    Deleuze und Guattari haben sich auch gegenseitig hochgeschaukelt mit gewitztem Palaver, anstrengenden Sprachkonstruktionen, schlagfertigen Aphorismen und apodiktischen Statements.

    Sie hatten eine grosse Gefolgschaft, die die Meister geradezu verehrte, statt das Beste an ihnen zu nutzen: einen klugen Skeptizismus zu pflegen, und manches Denkgebäude frech zu befragen.

    Und das mit dem Wickeltisch merke ich mir. Ich bin tatsächlich in frühestem Alter aus der Kinderwaage gefallen, vom Tisch auf die Erde. Purzelbumms.

  2. Lajla Nizinski:

    Ah, da sind ja mal die großen „Entertainer“ treffend versammelt. Es ist nicht auszuschließen, dass Dr. Seltsam = Sloterdijk sich an den Anti-Narziß traut. Vielleicht in einem „Selbstversuch II“. Zizek ist der rasende Philosoph: atemlos durch die Kapitalismuskritik. Und am Ende steht der Kommunismus als Lösung. Ungeheuerlich.


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