Es war ein Sommer in den Sechzigern, in dem die Siebziger schon rückwärts ein paar Schatten warfen, eine Ahnung erfüllter Zeiten, die ersten Jukeboxen, ledergebundene Single-Alben in unserer kleinen Kirchhörder Welt. Benny war ein älterer Teenager, und er hatte die grösste Kollektion an Singles. Wenn ich mal bei ihm vorbei kam, legte er gerne The Small Faces auf, und kurz blitzten all die Dinge auf, von denen Frischlinge gerne träumten. Ich trug damals (oder war es später, früher, wer kennt nicht den Purzelbaumeffekt mancher Erinnerungen, die jede nüchterne Chronlogie unterlaufen?) „Pictures of Lily“ von The Who in mir und stellte meinen privaten Onanierekord auf (siebenmal am Tag). Einmal fiel ich bei Conny nach Sekunden in eine tiefe Trance, als er, frisch aus dem Single-Presswerk, „Summer In The City“ auflegte, von The Lovin‘ Spoonful. Es war wohl eines der ersten Lieder, bei denen mir bewusst wurde, wie bezaubernd die alltäglichen Sounds einer grossen Stadt sein konnten. Der erste Riff, die Melodie, die Stimme John Sebastians. Ich bat Benny inständig, mir die Single einen Tag zu leihen, ich sagte nicht, dass ich sie mir mindestens hundert Mal am Stück anhören wollte. Schliesslich gab er nach, und ich musste ihm versprechen, die Ware am folgenden Tag um Punkt 17 Uhr bei ihm abzuliefern. Das war ja nun kein Problem, oder doch, ein kleines. Ich war so umrauscht von dem Song, dass ich dachte, in einer Zeit, in der wir alle Grenzen überschreiten würden, wäre es kein Problem, den „Sommer in der Stadt“ auch am Wochenende bei mir zu horten. Ich hatte die „Bravo“ neben dem Bett liegen, und war nicht erfreut, zu lesen, dass The Kinks, meine Lieblingsband, mal wieder betrunken auf der Bühne aufeinander losgegangen waren. „Hot town, summer in the city / Back of my neck getting dirty and gritty / Been down, isn’t it a pity / Doesn’t seem to be a shadow in the city“. Irgendwann nachmittags rief mich Uwe an (mit dem ich selten zu tun hatte, er besass als Erster „Hey, Joe“ von Jimi Hendrix), und sagte mir, er habe eine Überraschung für mich, und ich möge doch zu unserem Bolzplatz kommen. Als ich dort war, traten Uwe und Benny hinter einer Hecke hervor, und Benny schlug mir voll in den Bauch, so dass mir die Luft wegblieb und ich auf den Boden kippte. Er erinnerte mich an unsere Abmachung, und als ich wieder Luft bekam, entschuldigte ich mich. Jetzt war Uwe dran, und schlug noch einmal mit voller Wucht zu. Ich bekam es mit der Angst, und wartete, bis der Atem wieder einigermassen auf und ab ging. Dann rannte ich los, was verrückt war weil die beiden älter waren, und mich jederzeit einholen und weiter auf mich einprügeln konnten. Stattdessen traf mich ein Stein an der Schläfe, und ich sank schreiend zu Boden. Das Blut floss über Augen und Nase, und ich weiss heute nicht mehr, welcher Zeuge der Ereignisse dafür gesorgt hatte, dass ich ins Krankenhaus kam und mit etlichen Stichen genäht wurde. Am Tag darauf legte ich klammheimlch die Single, verpackt in in einen Umschlag, in den Briefkasten von Bennys Familie. Benny schien oft allein zuhaus zu sein. Ich hatte noch hier und da Doppelbilder, und selbst meine „Pictures Of Lily“ waren eine Zeitlang leicht verwackelt.
2 Comments
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Uwe Meilchen:
Just for the record: bei dem Uwe in diesem Blogeintrag handelt es sich nicht um mich! :)))
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Michael Engelbrecht:
Just for the record: this is a true story. Maybe I made it only six, not seven times.