Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2016 4 Juli

Bergeinöden (Remix) – für Lorenzo

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 8 Comments

Während jetzt der eine oder andere Manafonista das neue Buch von Robert Macfarlane liest (Hallo, Lajla!), erinnere ich mich an meine Zeit mit dem Klassiker von Henry David Thoreau. Ich hatte meine erste Stelle als Psychologe in einer Fachklinik in Furth im Wald angetreten und eine Souterrainwohnung am Ausläufer des Hohen Bogens gemietet, „mein Dorf“ bestand aus einer Handvoll Häusern und hiess Bergeinöden. Wann also „Walden“ lesen, wenn nicht damals!?

Ich fremdelte ein wenig nahe der tschechischen Grenze, meine Studienstadt Würzburg war drei Autostunden entfernt, Dortmund in schier unerreichbarer Ferne. Und meine zwei ersten Bücher waren „Ripley Underground“ von Patricia Highsmith, und das Buch von Mr. Thoreau. Aber nach ca. 50 Seiten verlor ich, warum auch immer, die Lust an der Lektüre. ich weiss aber noch (ungefähr) zwei Dinge aus dem Buch. Thoreau beschreibt, wie man trainieren kann, in ungewohnt kühler Umgebung gut zu schlafen, und er macht sich über das ständige Geschrei über Neuigkeiten lustig. Schon damals waren Übertreibungen, speziell in der Kultur, weit verbreitet.

Knapp zwei Jahre hielt ich es am Arsch der Welt aus, als Stadtkind war das eine harte Nummer, und Ausflüge nach München reine Selbsttherapie. In München kaufte ich damals Egberto Gismontis zauberhaftes Album „Solo“. Und stromerte durch Schwabing.

Wenn ich an die Schallplatten denke, die in meiner Zeit in Bergeinöden das Licht des Marktes erblickten, fallen mir, neben Gismonti, aus dem Stegreif zwei ein, die unentwegt liefen, und reine Seelennahrung waren: „Remain In Light“ von den Talking Heads (einmal drehte die alte Wirtin, weil ich allein war mit meinem Wiener Schnitzel, den „Zündfunk“ laut auf, es liefen „Listening Wind“ und „London Calling“ als Zugabe) – und „On Land“ von Brian Eno. Letztere hatte dort, wo ich umgeben war von dem Dialekt der Bayerischen Oberpfälzer, von einem nachtaus, nachtein an der Kette schlagenden, verbitterten Hund, und später auch von einer Indianerin aus meinen Kindheitsträumen, ihren perfekten Ort gefunden. Musik für Geologen und Urzeitforscher.

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8 Comments

  1. Lajla:

    MacFarlane versetzt mich mit wenigen Worten in meine geliebte Hebridenwelt:

    „Listen now. Listen to the singing of the guga men on the bare rock of Sula Sgeir, hunched in a stone bothy on that little island far out in the North Atlantic …“

    Ich würde „Caravan“ von Van Morrison mit dorthin nehmen.

  2. Lorenz:

    Michael, ich war sogar schon mal für einen Nachmittag in Furth am Wald aber nicht beim Drachenstich. Dort zwei Jahre zu verbringen – ja, da müssen gute Musik und Literatur her. Sehr schöne Landschaft, Pilze, grosser Pfahl, Arbersee. Und die Mundart … da ist Interpretationsfähigkeit gefordert.

    Die ersten Talking Heads Platten fand ich damals so kantig und spröde, doch dann kam im ZDF Rock Pop in Concert mit der grossen Funk Besetzung wie auch auf dem 2.Teil des Live Albums. Ganz anders die Musik, als ich erwartet hatte. Unter anderem mit Bernie Worrell eben und v.a. Adrian Belew, der Klänge und völlig andersartige Soli auf der Gitarre beisteuerte wie ich sie zuvor noch nie gehört hatte. Ich war hin und weg.

    „Remain in Light“ wurde dann schnell darauf meine erste Talking Heads Platte und Adrian Belews Wege verfolge ich seitdem auch. Schade, dass er am 08.09. in Stuttgart beim jetzigen King Crimson line up nicht dabei ist.

  3. Michael Engelbrecht:

    Mit ein paar Tricks der Zeitreisemaschine hätten wir uns dort also treffen können. Jetzt, wo du es schreibst, fallen mir erst die Wörter wieder ein: Arbersee, Grosser Pfahl. Zu meiner schande gestehe ich, dass ich einmal bei Drachstich war, lokale Folklore kann ja einen exotischen Charme haben. Diese Veranstaltung war noch langweiliger als mein Aida-Erlebnis in Aachen.

    Ich hörte natürlch noch andere Platten damals, aber manche waren der Soundtrack jener Jahre. Und das Afrika, das REMAIN IN LIGHT entfacht, brachte einen anderen Dschungel ins Spiel als den, auf den man auf bayerischen Landwegen stiess.

    Die ersten vier Talking Heads-Platten (also bis REMAIN IN LIGHT) sind bis heute für mich unerschöpflich.

    In Kürze trifft bei mir ein anderer Musikfilm ein, der gerade remastert wurde, und in meiner Erinnerung einen so wichtigen Platz einnimt wie STOP MAKING SENSE. Und zwar RUST NEVER SLEEPS. Alte Hippieromantik trifft auf den Geist von Johnny Rotten, Kapuzenmänner beschwörren den Regen, der da auch, glaube ich, kräftig niedergeht. Das will ich in Sensurround erleben – und sehr laut.

    Hast du eine Geschchte mit dem Film?

  4. Michael Engelbrecht:

    P.S. @ Lorenz

    … und einst traten sie an einem strahlenden Sommertag in Nürnberg auf, im grossen alten Stadion, vor 30000 Zuhörern: King Crimson (mit Belew, das DISCIPLINE-Quartett) und Neil Young (mit Crazy Horse und Nils Lofgren). Ein Festtag.

  5. Michael Engelbrecht:

    P.P.S.

    Wow – Zeitreisen auf youtube

    Lofi :)

  6. Lorenz:

    Die Discipline Besetzung haette ich auch gerne live erlebt. Und nein, zu RUST NEVER SLEEPS habe ich keine Geschichte. Ich hatte die DoLP und den Film habe ich auch gesehen. Ich erinnere mich an riesige Verstaerkerattrappen. Geschichten -ich glaube, genau deswegen mag ich die Manafonistasseite so. Alle, die hier Musik oder Literatur vorstellen erzaehlen meist eine Geschichte dazu. Entweder weitergefasst oder etwas ganz Persoenliches, wie und wo die Musik, das Buch erlebt wurde oder noch erlebt werden wird. Wenn ich es recht ueberlege suche, finde und sammle ich Musik – anstatt Tagebuch zu schreiben. Ich weiss meist ca. wann und wo gefunden, was war bei mir da sonst noch so im Leben los. Kleine, wetvolle flashbacks anhand von Covern. Auch gerne von Orten an denen ich noch nie war. Wie eine Urlaubspostkarte.

    Ich schweife ab, aber es ist zumindest eine kleine Geschichte.

    Im Letzten Jahr in der Toscana, die schoene Stadt Lucca. Ich fand ein sehr kleines Musikgeschaeft und fragte die in Wuerde gealterte Verkaeuferin nach VINICIO CAPOSSELA. Sie brachte mir einige Cds, freute sich sichtlich, dass ich als Nicht-Italiener danach suchte und fragte mich:“Duh dei rillieh no him in Dschermanie?“. So habe ich diesen Satz und die Stadt Lucca im Sinn, wenn ich VINICIO CAPOSSELA hoere. Klar, man kann mittlerweile im Internet alles finden und fast sofort bekommen. Aber da fehlen die Geschichten.

  7. Michael Engelbrecht:

    Grosse weite Welt: den Namen Vinicio Capossela lese ich hier zum ersten Mal.

  8. Lorenz:

    Ein wunderbarer Querkopf. Seine Stuecke sind oft aussergewoehnlich intrumentiert. Unter seinen Gastmusikern waren schon Marc Ribot (oft), Frank London, Greg Cohen, Cameron Carpenter, Paolo Fresu, Calexico zu finden. Tom Waits kommt in den Sinn, in seinen wildesten Vokalmomenten vielleicht auch Don van Vliet. Auch visuell hat er auf der Buehne oder in Videos Eigenes im Kopf.

    Ein Blick lohnt sich:

    https://www.youtube.com/watch?v=F38XZZ_Xwjw&index=3&list=RDMBO3yNiGgPU


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