Ich ist ein Anderer. Ich ist ein Waffenhändler. Dass Rimbaud auch das war, verschweigt die Salonpersonnage, die so gerne das berühmte Zitat auf ihre Kunstkataloge printet oder ganze Seiten darin mit seichten Interpretationen füllt. Warum nicht primärliterarisch vorgehen: „Der Künstler ist der große Kranke, der große Verbrecher, der große Verfemte und der höchste Wissende.“ Das ist eine kluge, genaue Selbstreflexion.
Mit einem Auftrag an die künstlerische Nachhut, die so gerne mit der Banane von Andy Warhol hausieren geht, fährt er fort: „Er kommt an im Unbekannten und selbst wenn er seine eigenen Visionen nicht mehr begreift, so hat er sie doch geschaut. Mag er zugrunde gehen an seinem riesigen Sprung durch die ungehörten und unnennbaren Dinge; andere furchtbare Arbeiter werden kommen und an jenen Horizonten anfangen, wo er zusammengebrochen ist.“ Viele „Abarbeiter“ kamen und saugten sich an seinem Honig satt. Den Beginn soll Van Morrison machen. In TORE DOWN A LA RIMBAUD fabuliert der irische Dichter:
Showed me different shapes and colors
Showed me many different roads
Gave me very clear instructions
When I was in the dark night of the soul
Folgen soll Bob Dylan, der LES ILLUMINATIONS, das sind 44 Rimbaud Gedichte, wahrscheinlich by heart kann. Inspiriert von dem Gedicht „VILLES“ – Glockentürme verkünden die Gedanken der Völker – dichtet Bobby:
Ring them bells ye heathen from the city that dreams
Ring them bells from the sanctuaries cross the valleys and streams
For they deep and wide.
Das leidenschaftliche Verhältnis zwischen Paul Verlaine und Rimbaud hat Dylan in den Song gewebt: YOU’RE GONNA MAKE ME LONESOME WHEN YOU GO. Dort singt er triste Wahrheiten:
Relationships have all been bad
Mine’ve been like Verlaine and Rimbaud.
Dylan’s Symbolkraft und Versrhythmen sind in HARD RAIN ähnlich stark wie in Rimbaud’s „Das trunkene Schiff“. Ein anderer Rimbaudmaniac ist Jim Morrison. Ich stimme dem oft gezogenen Vergleich der beiden Protagonisten – Poet und Rebell – nicht so ganz zu. Rimbaud war sicher ein großer Poet, ein Sprachsinnenverwirrer: „Wie ehrvoll, als das Mädchen, die Süße, die Brüste riesig, die hellen Augensträhle“ …. – aus Au Cabaret-Vert. Dagegen gibt Jim Morrison, der orgiastische Rocksänger, der rockende Jesus am Kreuz, der Sohn des Gottes Pan, den Rimbaud schwärmend in seinem einzigen Liebeslied versinnlicht, wohl eher den Rebell.
WAITING FOR THE SUN ist ungewidmet ein Sehnsuchtsong für Rimbaud. In Charlesville – Mézière, in den französischen Ardennen gelegen, wächst er auf. Hier regnet es fast immer. Nicht jeder hält dieses Klima aus. Ehen werden geschieden, weil der eine Partner lieber ans Meer will. Untreue Liebespaare verstecken sich in den tiefen Wäldern und proben hier ein verändertes Leben. Anrückende Gäste reisen noch in derselben Stunde wieder ab, weil sie Angst vor Depressionen haben. Auch für Rimbaud ist es die grüne Hölle. Immer wieder bricht er aus den Ardennen auf, nach Paris, nach London und später in die weite Welt.
Al’aurore, armes d‘ une ardent patience, nous entrererons aux splendid es villes …
Sein literarisches Leben ist kurz, er schreibt vom 9. bis zum 19. Lebensjahr. Mit 37 stirbt er bereits. Als Schulbub schreibt er das Gedicht „A la music“. Darin äußert er seinen tiefen Hass gegen das Spiessbuergertum. Heute gleicht der Ort in seiner ganzen Tristesse noch immer dem beschriebenen Bild, es ist grau, feucht und neblig. Nur der Rimbaud-Kitsch strahlt partout. Das hätte dem Geschäftsmann vermutlich gefallen. Zum Abschied gieße ich ein halbes Glas Champagner auf sein Grab, mit der anderen Hälfte proste ich Sloterdijk zu, slantje, du musst dein Leben ändern.