Ich habe mit Gregor nie über Reggae gesprochen, und mit Schrecken stelle ich fest, dass in seinem Jukeboxlager wohl keine einzige Reggae-Single auftaucht. Oder habe ich den Song mit den „Israelites“ übersehen? Egal, vielleicht bin ich ja der einzige Manafonist, der eine spezielle Beziehung zu dieser jamaikanischen Musikform hat – aber es wäre schön, wenn neben Ian (dem ich ja offensichtlich „Bass Culture“ weggeschnappt habe), noch der eine oder andere eine heissgeliebte Platte aus Kingston, Jamaica, mit einer kleinen Geschichte zum Besten geben könnte.
Die „Geschichte“ kann auch erfunden sein (Psychorealismus – s.u. – ist nicht gefordert), oder eine kleine Besprechung. Nur, bei 20 Highlights, gilt es, eine Spielregel zu beachten – ein Künstler darf nur einmal auftauchen, und Bob ist nunmehr auch schon „vergeben“. Gerne würde ich Thomas Weber vom Kammerflimmer Kollektief bitten, mir seine liebste Reggaeplatte via Mail zu liefern, mit einer kleinen Story aus seinem Bewusstseinsstrom – er ist tatsächlich der einzige Reggae-Obsessive, den ich kenne.
Oder einer unserer Leser bietet in den Kommentaren hier eine Story an zu seinem Favoriten, ein Reggae-Opus, das er oder sie noch heute liebend gerne hören, nichts, was bloss Erinnerungsseligkeit versprüht und an das Patchouli einer verflossenen Liebe erinnert – und ich maile dann zurück. Ach, eine weitere Platte ist bereits vergeben, sie wird – in diesem gnadenlosen Countdown unangefochtener Meilensteine – die Nr. 3 sein: The Congos, und „Heart of The Congos“. (M.E.)
Auf geht’s:
Die „Mutter aller Begegnungen“ führt, wie so oft, in die Adoleszenz, und in diesem Fall, nach J a m a i k a … : In Harry J´s Kingston Studio an einem heissen Nachmittag Ende September 1972 hereinzuspazieren, an dem Abend, als The Wailers “Slave Driver” aufnahmen, bedeutete gleichsam, ein neues musikalisches Universum zu betreten. Ich war noch grün hinter den Ohren, und hatte über meine erste Freundin, die 15 Jahre älter war als ich sowie Hard Core-Verfechterin von Patchouli und Haschisch, ein Flugticket bekommen, das mich nach einem langen Trip voller aufregender erster Eindrücke, in einem zerbeulten Taxi in 10, Roosevelt Avenue, Kingston, Jamaica, ablieferte.
Meine Jeans waren voller Staub, die Wasservorräte gingen zur Neige, Jane war natürlich schon vor Ort, und stellte mich dem englischen Journalisten Richard Williams vor, eine Legende schon damals (wie ich später erfuhr). Ich ahnte ja nicht, dass ich hier einem Stück Musikgeschichte beiwohnen sollte, der Produktion der Urfassung jenes Albums, das Bob Marley & The Wailers in Windeseile zu einem der ersten “Third World-Helden” der Rockhistorie machte. “Catch a Fire” wurde bald in einem Atemzug genannt mit Stevie Wonders “Talking Book” oder Marvin Gayes “What´s Going On”.
Bis dahin hatten sich die meisten meiner bewusstseinsverändernden Erfahrungen auf einem ramponierten Plattenspieler von Dual abgespielt, und meine kurzen England-Trips, auf denen ich Atomic Rooster, Fleetwood Mac und Steamhammer (letztere im Londoner Marquee Club, verraucht, laut, unfassbar) erlebte, hielten sich in Grenzen. Aber ich zehrte natürlich davon, und Jane hielt mich mit meinen 17 Lenzen für einen Teenager mit Potential.
Ganz legal war weder unsere Beziehung noch der Drogenvorrat, den sie später in einem Spezialfach durch sämtliche Flughafenkontrollen schmuggelte. Dank Bunny Livingston (der spielte Congas und Bongos bei den Wailers) wurde ich mit einer ganzen Sammlung der jamaikanischen Ganja-Kultur vertraut gemacht, und ich erlebte Songs wie “Stir It Up” durch einen fein gesponnenen Nebelschleier, an dessen Ränder die seltsamsten Farbeffekte aufblitzten. Wieso ich damals noch nicht den Entschluss fasste, Musikjournalist zu werden, wird mir immer ein Rätsel bleiben.
Wenn man so will, habe ich die ersten Interviews meines Lebens mit Peter Tosh und Aston Barrett gemacht, aber natürlich lief kein Bandgerät mit, und ich habe auch nicht viele Fragen gestellt, sondern bloß endlos bedeutsame Ausrufe von mir gegeben wie “fantastic!!” oder “so groovy!!”. Ich war ziemlich stoned. Später zweifelten meine Studentenkumpels in Würzburg massiv am Wahrheitsgehalt dieser Geschichte (“wann kommt Jane denn Tarzan besuchen” war einer der Sprüche, die mir um die Ohren flogen).
Egal. Ich habe ja manchmal selber meine Zweifel, wenn ich die Musik auflege: Island Records brachte “Catch A Fire” 2002 in einer Deluxe-Edition raus, mit der lang vergriffenen Urfassung und der in den frühen 70ern in England erschienenen Ausgabe für den internationalen Markt. Ich habe mich nie an diesem Album sattgehört. Wenn Bob Marley wie in einem Mantra “400 Years, 400 Years …“ singt, verschwinde ich mitunter in der kleinen heruntergekommenen Küche in Harry J´s Kingston Studio, in dem Jane ein paar Spiegeleier brät und die Gänsehaut einfach nicht verschwinden will.