„I’m out wandering the streets / Silently carrying a song.“ Natürlich hat das jeder schon mal gehört, darüber gelesen, oder es irgendwo aufgeschnappt, das merkwürdig häufige Vorkommnis, dass ein Mann (wenn man sich erinnert, ist da immer nur von einem Mann die Rede, obwohl es auch Frauen machen) kurz aus dem Haus geht – oft heisst es, er habe noch gesagt, dass er Zigaretten (oder Brötchen) holen gehe – und dann nie wiederkommt. In den seltensten Fällen wird dieser „Mann“ entführt oder von einem Bus überfahren. Er geht einfach fort, für immer, fast so, als gebe es ein geheimes Zeugenschutzprogramm, dass ihm oder ihr eine neue Identität und ein anderes Leben beschert. Da legt jemand allerdings nur (wenngleich vage) Zeugnis ab über seinen, mit einem einzigen Schlag beendeten, „normalen Alltag“. Vielleicht ist jeder so einem Menschen schon einmal begegnet, morgens, flüchtig, beim Blick in den Spiegel, hat ihn dann aber rasch aus dem Gedächtnis und Freundeskreis gestrichen. Kaum einer dieser Menschen kehrt je zurück, und, ohne dass Beweggründe entschlüsselt werden, landen sie alle in den bunten Seiten der Statistik. Das Verschwinden von Sixto Rodriguez ist eine ganz andere Geschichte.
2016 25 Mrz
Diese Sache aus den bunten Seiten der Statistik
von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 3 Comments
3 Comments
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Jan Reetze:
Wer den „Mann“ beim Blick in den Spiegel sieht, ist schon halb weg. Hinter den Spiegeln geht es weiter, überall, wo ich nicht bin, ist es besser, das Gras auf der anderen Seite des Zaunes ist immer grüner, zu Hause ist dort, wo die Rechnungen ankommen. Eine frühere Freundin von mir hat mal gesagt: Die Leute vergessen immer, dass sie sich selber mitnehmen.
Alle anderen holen wirklich nur Brötchen. Und spät nachts, ganz kurz vor dem Einschlafen, geht ihnen „Ich war noch niemals in New York“ durch den Kopf.
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Uwe Meilchen:
Und nicht nur nimmt man sich selber mit – man kommt auch irgendwann einmal zurueck; aehnlich wie Roland und der schwarze Turm.
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Uli Koch:
Mitunter vergisst man sich aber auch mitzunehmen und dann ist es mit dem Zurückkommen auch so eine Sache …
Kannte mal einen, der auf dem Weg zum Brötchenholen einen kleinen Hirnschlag erlitten hatte. Klein halt, so, dass er weiter Fahrrad fahren konnte. Den ganzen Tag, denn er wußte nicht mehr warum er fuhr und wohin. Einfach immer weiter bis er erschöpft war. Dann fiel auf, dass er keinen Plan hatte. Und kein Ziel. Und sich selbst vergessen hatte. Sogar seinen Namen wusste er nicht mehr. Hat ein Weilchen gedauert, bis er die Basics wieder gelernt hatte und war teilweise ganz schön schaurig auf dem Weg dahin. Später hat jemand sogar die Story für eine Neurologische Fachzeitschrift aufgeschrieben. War ihm aber eher egal. Hätte noch nicht einmal sein altes Leben wiederhaben wollen. Nicht weil’s mies war, sondern einfach nur, weil er nicht mehr wusste wie es gewesen war …