Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

 

– Steffen, ehrlich, John hat dir einen Hundertdollarschein als Papierschwalbe in deinen Gitarrenkofffer segeln lassen, 1978, im Central Park, als du „Imagine“ gespielt hast?

 

– Genau, Michael, ich war kein guter Gitarrist, aber ich glaube, ihm gefiel, dass ich das Lied sehr melancholisch gesungen habe, fast hoffnungslos. Ich bin ja damals ein Meister des Liebeskummers gewesen, und „Heart of Gold“ tönte eher illusionslos als nostalgisch. Das hat wohl Johns dunkle Seite berührt, keine Ahnung!

 

– Aber, John ging es doch ganz gut, 1978. Er trank viel weniger, ernährte sich makrobiotisch, war wieder mit Yoko vereint, er lebte (so las man damals) in den Tag hinein, der kleine Sean war an seiner Seite, und Brotbacken war sein neues Hobby.

 

– Gut erinnert! Manchmal war er wirklich zu Spässen aufgelegt, aber es kam immer wieder diese Dunkelheit durch, eine Ungeduld auch, die sich jederzeit in Bitternis verwandeln konnte. Das habe ich jedenfalls über ihn gelesen, später, nach seinem Tod.

 

– Aber was genau verfolgte ihn? Er hatte doch alle Ressourcen der Welt, Meditation zu praktizieren, und den einen oder andern Psychoanalytiker aufzutreiben, der nicht einem Woody Allen-Film entsprungen war umd selbst einen an der Waffel hatte.

 

– Ich habe versucht, dem nachzugehen. Und alle Quellen erforscht. Natürlich ist das jetzt Jahrzehnte her, aber es gibt nun genug Material über Johns Reise nach Westirland, in jenem Jahr 1978. Ein ganzes Buch. Und Therapie schwebte ihm ja auch vor, Urschreitherapie.

 

– Die Janov-Mode, okay. Urschreitherapie in Irland? Verdammt lang her. Ich hatte damals die Hoffnung, dass John zu so einer Art Beatles-Spätform auflaufen würde, er hatte immer noch Songs im Blut, die die Beatles mit Kusshand 1967 in den Abbey Road Studios aufgenommen hätten. Denke nur an ein paar Songs von „Double Fantasy“!

 

– Hätte, hätte, Fahradkette. Tatsächlich begab er sich auf diese Art Wallfahrt, zu dieser fast unbewohnten Insel im Westen von Irland, die er ein Jahrzehnt zuvor gekauft hatte. Er soll damals eine Schreib- und Songblockade gehabt haben, und machte sich angeblich grosse Sorgen, dass all sein Glück schlicht verrotten würde.

 

– John Lennon reist also auf eine entlegene Insel mit hoher Regenwahrscheinlichkeit, wahrscheinlich hat er noch „Hundert Jahre Einsamkeit“ im Gepäck, um sich die volle Dröhnung der Melancholie zu geben.

 

– Ich glaube, es war für ihn einer Art Rosskur, eine Notwendigkeit, etwas, dem du dich manchmal vielleicht stellen musst, um dich wieder lebendig zu fühlen. Es ging bei der Reise wohl darum, bewusst dunkle Orte aufzusuchen und das Beste aus dem zu machen, was man dort findet.

 

– Ich reise im Januar wahrscheinlich in die schottische Wildnis. Mein Reiseführer ist Robert MacFarlanes Buch „Karte der Wildnis“. Ich freue mich total auf die dunklen, kalten Orte dort. Ich leihe mir einen Land Rover und will in diese Urlandschaften eintauchen. Die Vorstellung allein setzt in mir schon Glückshormone frei. Und auf der Isle Of Barra habe ich schon klargemacht, einen Tag mit den Fischern in See zu stechen. Ich bin zu doof, einen Fisch zu köpfen. Aber ich bin voller Lust auf wilde Natur. Aber, okay, was fand John Lennon nun vor Ort?

 

– Er fand zunächst einen Inselkauz namens Cornelius. In langen Gesprächen wird ihm klar, dass die Vergangenheit weiterhin ihre Schatten über ihn auswirft, trotz allem, was er sich von der Seele geschrieen, geschrieben und gesungen hat. Er ist nach wie vor geschockt vom Tod seiner geliebten Mom Julia. Ein banaler Autounfall. „You never get past what happens to you when you’re 17.” Das sagt John, jedenfalls in dem Buch. Ich habe den Satz nie vergessen.

 

– Adieu, Traumatherapie, oder was?!

 

– Michael, ich war selber 17, als John erschossen wurde von diesem kranken Schwein. Ich war gerade auf der Heimfahrt von einem Bruce-Springsteen-Konzert, und sechs Wochen lang trug ich ein schwarzes Armband.

 

– Ich arbeitete damals in einer Therapie für Alkohol- und Medikamentenabhängige in Furth i. W., da war wohl auch nicht viel mehr los wie auf dieser Regeninsel. Ich wohnte in einem Kaff mit drei Häusern, Bergeinöden. Als ich von seinem Tod morgens im Radio hörte, traten mir gleich Tränen aus den Augen. Abends hörte ich „Double Fantasy“ und „Discreet Music“, das weiss ich noch genau, mein Abschiedsritual. Natürlich auch eins von der eigenen Kindheit und Jugend.

 

– Ich glaube, der Autor des Buches, ich komme gerade nicht auf seinen Namen, ist selber so erschrocken wie einst Lennon, dass die Vergangeneheit letztlich ein unerreichbarer Ort bleibt. Das Jetzt verschwindet fortlaufend. Für den Lennon, den ich in dem Buch kennengelernt habe, liegt seine Mutter Julia sozusagen „auf der dunklen Seite jedes vorbeiziehenden Augenblicks“. So ungefähr hat es der Buchautor ausgedrückt, ah, ja, er heisst Kevin Barry.

 

– Mhm, ich bin darüber nun nicht so erschrocken, mein Guter. Ich meine, ich würde gerne in mein 17. Lebensjahr zurückreisen und ein paar Dinge korrigieren, aber wir kennen ja das Zeitreiseparadoxon. Over and out. Vor allen Dingen, wenn ich mein Selbstbewusstsein von heute in das Damals transferieren könnte. Und ich habe auch ein paar schlimme Dinge erlebt. Behütete Kindheit fand in der alten BRD nur auf dem Adventskalender statt.

 

– An einem Abend hat John eine Erscheinung, und eine Stimme flüstert ihm die Worte zu: „Reality, John, tends not to hang around.“ Jetzt komme ich auch auf den Titel. Das Buch heisst „Beatlebone“ und ist randvoll mit Geistern und Gepenstern. Ich habe neulich ein Interview mit diesem Kevin Barry gelesen, und darin sagt er, dass die Siebziger Jahre ganz klar Teil historischer Fiktionen sind. Aber er meint auch, dass, wenn wir die richtigen Stimmen und Stimmlagen finden, bestimmte Momente anhalten können.

 

– So dass die Fiktion stabil bleibt, eine Zeitlang. Mhm. Ich finde die Idee dieses Buches ganz reizvoll, aber ich bin noch ein wenig skeptisch. Ich werde mir mal eine Leseprobe gönnen, in Schottland. 

 

– Magst du eigentlich Whisky?

 

Überhaupt nicht. 

 

– Welche Musik nimmst du mit für den Geländewagen?

 

– Immer nur eine Handvoll Cds. In diesem Fall habe ich schon sortiert: Astral Weeks, von Van Morrison. Die neue Tindersticks, die im Januar erscheint. Hybrid, von Michael Brook. Dis, von Jan Garbarek. Und, ganz wichtig, wenigstens eine Frau an meiner Seite, das jüngste Album von Patty Griffin. Vielleicht treffe ich dort ja auch so einen Hobbitt wie diesen Cornelius! 

 

This entry was posted on Dienstag, 22. Dezember 2015 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

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