Im Dezember 1964 erschien eine Auskopplung aus dem Beatles-Album „For Sale“, ein Cover des Chuck Berry-Stückes „Rock And Roll Music“. Die historischen Bezüge waren mir natürlich fremd, abér diese Single, die erste meines Lebens, war die Eintrittskarte in ein neues musikalisches Universum. Ich konnte mich seit meinem zarten achten Lebensjahr daran nie satthören. Bis dahin sass ich, schon im Vorschulalter, morgens neben dem Kohleofen auf einem grossen roten Kissen, und hörte die Musik des Westdeutschen Rundfunks. Später hätte ich sagen können: Nachkriegswirtschaftswunderbiedermeier. Ich konnte meist schnell mein Gefühlsurteil fällen (fucking frühreif). In jungen Jahren war man natürlich noch besonders verführbar für allerlei Süssholzraspelei von Caterina Valente bis Frieddie Quinn, aber auch grossformatige Tanzorchester betraten die heimische Bühne. Als Kind mochte ich keine Bläsersätze, Duke Ellington war damals auf Japanreise, und ich sollte ihn erst viel später kennenlernen, in einem abgelegenen Traumhotel auf Mallorca. Und dann eben die Single, die mein Leben über Nacht veränderte. „The basic track was recorded with drums and bass on track one, two guitars on the second, and Lennon’s vocals on track three. Afterwards Lennon, McCartney and George Martin all overdubbed a piano part on a Steinway together.“ In dieser Zeit waren meine Leibgerichte (ich weiss, das ist von brennendem Interesse, denn Musik geschieht nie in einem Vakuum) Apfelpfannekuchen, Waldbeerpfannekuchen, Nudeln mit Ketchup, Himmel und Erde, Nudeln mit Zucker (ist mir gerade noch eingefallen), Haferflockensuppe und Brandtzwiebäcken, und Pfefferpotthast. Es geht ja nicht immer nur um Seelennahrung. Aber was für eine Zeit: nachts, in einem meiner Serienträume, besuchte mich eine indianisch aussehende Amazone, die mich am ganzen Körper massierte. ich konnte das nicht einordnen. Morgens dann Schule: „Gebrüder Grimm“ hiess der alte Bau, ich schoss Tore auf dem Schulhof, ich rieche heute noch das Leder meines Schulranzens. Einmal starb über Nacht der Vater eines Schulkameraden, der Helge hiess. Zuhause legte ich die magische Single auf, und die Welt fing sich an zu drehen, wenn ich meinen Hüpftanz dazu aufführte. Ohne Hüftschwung, Elvis blieb mir ohnehin fremd, ausser wenn ihm jemand im Hotel das Herz brach. Und seinen schrägen Lachanfall auf einer Live-Platte mochte ich auch gern. Gabi war acht Jahre alt, wie ich, sie schlief ein Stockwerk, also allenfalls drei Meter unter mir. Ich wäre so gern in ihr Bett gekrochen. Ich weiss nicht genau, was ich dann getan hätte, aber ich hatte schon Küsse im Fernsehen gesehen, ich hatte eine nächtliche Liebeslehrerin, wahrscheinlich hätte ich geschnurrt wie eine Katze und endlos ihre Lippen geleckt. Rock And Roll Music. Viele Jahre später schlief ich mit einer der schönsten Frauen Dortmunds (sie hiess nicht Claudia), und sie war tatsächlich 1966 bei den Beatles in Essen. Nein, erzählte sie mir, sie gehörte nicht zu den Teenagern, die kreischten und reihenweise in Ohnmacht fielen. Und dann nahm sie mich noch einmal.
2015 22 Dez
Es war einmal vor langer Zeit (Weihnachts-Remix)
von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 2 Comments
2 Comments
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Uwe Meilchen:
I’ve got no kick against modern jazz / Unless they try to play it too darn fast / And lose the beauty of the melody / Until they sound just like a symphony …
Alleine das Pianospiel von George Martin und, natuerlich die shouter Qualiaeten von John Lennon …, schon alleine dieser Anfangsakkord auf dem Piano … ,-D
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Michael Engelbrecht:
So kurz vor Weihnachten also drei „Beatles“-Stories: einmal „Penny Lane“, einmal „Beatle Bone“ von Kevin Barry, einmal die Geschichte meiner ersten Single. Letztere ein Remix.