Ich war ein Teenager und spannte – wahrscheinlich mit meinen verwegenen melancholischen Blicken – einem angehenden Angestellten der Post mit 15 Jahren seine schon zur Verlobung anstehende Freundin aus. Sie war 16 oder 17. Wir hörten bei mir zuhause, als meine Eltern bei Bekannten waren, ganz laut In-a-Gadda-da-Vida, ein Kracher von Iron Butterfly, zum Glück endlos lang für meine erste Erfahrung mit dem Phänomen des Zungenkusses. Leider hatte ich damals noch nicht das Sex-Camp von Kirsten durchlaufen (die mir viele Tricks zeigte, und es war hilfteich, dass keiner in den andern verliebt war. Wir wollten einfach nur gut vögeln, und Körperforschung betreiben).
In Petra W. war ich allerdings voll verknallt, leider aber so unerfahren, dass mir verheerende Fehler unterliefen. So verabschiedete sie sich von mir kurz und schmerzhaft mit einem Brief aus ihren Grossen Ferien in Besancon, vermeldete, dass ich einfach „wie eine Klette“ an ihr geklebt hätte, und sie es völlig bescheuert fand, dass ich beim Küssen schnurren würde wie eine Katze. Ich weiss noch, wie ich mich, mit dem Brief in der Hand, auf die Wiese hinter dem Haus warf und – vorerst – fertig mit der Welt war.
Bis auf meinen Sexkurs bei Kirsten, und vierzehn Tage an der bretonischen Küste mit einer recht anstrengenden Schönheit aus Körne, waren die frühen sexuellen Jahre verwirrend, weil nie mit erfüllter Liebe gekoppelt. Da war mir die Musik stete Hilfe, Ratgeber, Zukunftsversprechen und Horizont in einem. Mit diesen Kindertagen von Sehnsucht und Disaster verbinde ich einige Platten ganz besonders, „Foxtrot“ von Genesis (besser als jeder Selbsthilfescheiss, wenn man unglücklich in eine evangelische Pfarrerstochter vernarrrt ist), und „Aqualung“ von Jethro Tull. Ich hörte sie damals wieder und wieder, aber sie blieben dann beide auf der Strecke, als Soundtrack ais den „greenhorn days“.
Aber in einem Jahr, in dem ich erstmals „Tusk“ und „Sticky Fingers“ für mich entdeckte (beide kannte ich schlichtweg nicht, bis auf Einzelstücke), hatte ich Lust, nach Ewigkeiten mal wieder „Aqualung“ zu hören. Schliesslich hat die Bande zwischen „Thick as a Brick“ und mir bis heute gehalten, und so einem verschwurbelten Zeug a la Pink Floyds „The Wall“ bin ich nur selten auf den Leim gegangen. Ich setzte also alle Hebel in Bewegung, und bekam nun über Umwege eine vorweihnachtliche, kostenfreie Gabe: die „Deluxe“-Edition von „Aqualung“. Mit allem Drum und Dran.
Ich liess erstmal bewusst die damals zu oft gehörten Stücke mit dem Kinderschänder und dem Lokomotivendrama aussen vor, hörte mir den Stereo- und 5:1-Mix von Steven Wilson an, sass im Schneidersitz auf meinem Petrol-grünen Sofa, und plötzlich schwebte ich auch ohne den Meditationsblödsinn von TM etwa acht Zentimeter über dem Schaumstoff. (Die „Schaumstoffschwestern“ in Hamburg verschicken dieses rattenscharfe Mobiliar deutschlandweit.) Auf „Aqualung“ sind ja unglaublich viele gute Songs drauf! „Wondrin‘ Aloud“ – unfassbar. Ich lud mir das Buch zur Platte von Alan Moore (aus der Reihe 33 1/3) auf meinen E-Reader, und freue mich diebisch auf die Sylter Lektüre. Here come the days.