„Dirty old river, must you keep rolling / Flowing into the night“. Ich spazierte sehr gerne durch die Nacht von Kristiansand. Die Arbeit war getan und Lust obendrein, die Musik von Cyclobe die Überraschung jenes Septembertages. Ossian Brown, einer der Bandleader, hatte vor Jahren ein Fotobuch zum Thema „Halloween in England“ veröffentlicht, mit vielen uralten Bildern – Kinder in alter Zeit, die dem Grauen ein Schnippchen schlugen.
Ich gehe (eine richtige „Mörderwanderung“!) über gepflegte, hölzerne Hafenbrücken, an riesigen Fischlagerhallen vorbei, lasse den winzigen Küstenpark links liegen, jetzt komme ich zum Stadtrand, die Strasse steigt an, aus einem Studentenwohnheim kommt Musik der Rolling Stones, eine alte Platte, ich glaube, es ist „Let It Bleed“, eine gute Stunde zieht ins Land, ich komme noch an dem Laden mit den verzerrten Technoklängen (ein ewiges Umpf-Umpf der bekloppten Art) und der grossen Kebab-Pizza vorbei (open till 4.30 in the morning!), dann sinke ich ins Bett, nur die Gedanken rotieren noch, ich remixe meinen Tag live, steige aus allen „loops“ aus, na ja, ein paar kreisen noch ums Gehirn herum, ich stehe noch einmal auf, nehme einen Soft Drink aus der Mini-Bar, und lege in meiner virtuellen Jukebox einen Song auf, der mir aus Gründen, die ich nur zu gut kenne, ganz nahe kommt, „Waterloo Sunset“, von den Kinks.
Die „Doom-Folk“- und „Drone-Spezialisten“ von Cyclobe kommen mir wieder in den Sinn, die mit ihren Synthesizern, hurdy-gurdy-klängen und sonstigem historischem Klanggerät, wie die Kinks, aus einem alten England stammen, wild entschlossen, dessen letzte Spuren zu sichten, in einer dunklen, songfreien Zone, herrlich archaisch, und „very strange in a positive way“. Die Art von Musik, bei der Musikjournalisten immer gerne den „heidnischen Gral“ der britischen Folk-Historie (Abteilung: Kino) ins Spiel bringen, den Horrorfilm-Klassiker „The Wicker Man“. Tatsächlich haben Cyclobe ein Faible für Soundtracks, und jüngst alte Filme von Derek Jarman neu vertont.
Nachklang: Ich werde die Waffeln im Hotel Norge vermissen, die anregenden Gespräche, die grosse Crew, die sich um das Wohlergehen aller Gäste kümmerte, die meistens klugen Festivalplanungen der künstlerischen Leiter Jan Bang und Erik Honore, die Gespräche mit Sidsel und Eivind, mit Arve und Jon (Hassell), Fiona K. und Dave B., das wunderbarste Ehepaar aus Kristiansand, Freigeister durch und durch, ich weiss, Dankeslisten sind langweilig, aber diese ist ja nun auch schon zuende und sowieso unvollständig.
Was Menschen oft verkennen, ist die Freude, wenn man weiss, dass man etwas Grossartiges einfach loslassen kann, so richtig, und für immer. Ich hoffe, die beiden Direktoren werden einmal Steve Tibbetts und Marc Anderson nach Norwegen holen, damit sie „Northern Song“ neu inszenieren. Dann, und nur dann, würde ich noch einmal dort sein. Der unnahbarste Mensch, der mir dort begegnet ist, heisst David Sylvian. Gespenstern begegnet man eben nicht nur in alten Schlössern.