Die Sendung ging Ende Juli über den Sender, im Deutschlandfunk. „Swing low. Der Einfluss der Gospelmusik im Jazz“. Gut, dass ich das Rundfunkprogramm jener Woche gründlich gelesen habe. Ein Thema, das mich einst in seinen Bann gezogen hatte, durfte ich mir nicht entgehen lassen. Ich habe die Sendung mitgeschnitten. Sie bot nicht nur einen Blick in die Historie: field recordings, Louis Armstrong, Charles Mingus, Sonny Rollins … ok, das war zu erwarten. Aber, dass die Jüngeren diese ehrwürdige Tradition immer noch – oder wieder ? – schätzen und in berührender Weise verarbeiten, hat mir gezeigt, dass es tief geht, weit reicht.
Jaimeo Brown verarbeitet in seinem Album TRANSCENDENCE Samples, vorwiegend Gesänge der Gee’s Bend Quilters. Weder von Brown noch von den Quilters hatte ich bis dato gehört oder gelesen. Jaimeo Brown schreibt in seinen Anmerkungen zu dieser Aufnahme:
„In research of my thesis on ‘How the Black Church Affected Jazz’ , I encountered the Gee’s Bend Quilters and was deeply inspired by their haunting renditions of spirituals from Alabama. My desire to bring light to their life-changing music and quilted artwork was the inspiration to begin the TRANSCENDENCE project. […] Growing up in a time when musical education was taught for the sole purpose of entertainment, the raw and unfeigned black spirituals sung by the Gee’s Bend singers made a deep impression on me. The primary purpose of black spiritual music is to build community and provide a medium of healing and worship.“
Zu Zeiten der Sklaverei war „community building“ eine extrem wichtige Funktion. Größere Versammlungen wurden den Sklaven nur zum Gottesdienst zugestanden und selbst da meist unter Aufsicht. Neben „healing“ und „worship“ waren Spirituals ein Instrument der „conspiration“, oft verwendet für „codified messages“, wenn die Flucht ins „promised land“, in den Norden bis nach Kanada, gewagt wurde:
When Israel was in Egyptsland
Let my people go
Oppressed so hard they could not stand
Let my people go
Go down, Moses, way down in Egyptsland
Tell ol’ Pharao
Let my people go
„Moses“ war der Code-Name von Harriet Tubman, jener rebellischen Frau, die nach ihrer Flucht immer wieder als wichtige Persönlichkeit der underground railroad vielen Brüdern und Schwestern in die Freiheit verhalf.
Kenntnis von Gesängen wie „Nobody knows the trouble I have seen“ oder „Swing low, sweet chariot“ erlangte man in Europa eigentlich erstaunlich frühzeitig, nämlich durch Studenten der Fisk-University Nashville, die etwa seit 1873 mehrere Tourneen auf dem alten Kontinent unternahmen. 1896 traten sie unter anderem in den Leipziger Hauptkirchen auf. In der Leipziger „Illustrierten Zeitung“ vom 29. Februar war zu lesen: „Nicht allein dadurch, daß sie die Aufmerksamkeit einem musikalischen Literaturzweig zuwendet, von dem man in Europa vielfach so gut wie keine Ahnung gehabt hat, nämlich dem Negerlied, wird diese aus acht farbigen Sängern und Sängerinnen bestehende Corporation so denkwürdig und bedeutsam, sondern zugleich dadurch, daß sie diese Literaturgattung in einer Vollendung ausführt, die schwerlich nach der Seite der technischen Abrundung, noch nach der Seite des seelenvollen Ausdrucks sich überbieten läßt.“ (aus Musikgeschichte in Bildern, Band IV, Seite 156, Leipzig 1971)
Da ich mich stets immens für Musik interessiert habe, ist so manches Liederbuch aus dem Lehrbuch-Bestand meines Gymnasiums in meine Bibliothek ausgewandert worden. Ich besitze ein „Bayerisches Liederbuch“, das im Jahr 1949 herausgegeben wurde. Es enthält im Abschnitt „Aus fremden Landen“ einen einzigen Spiritual Song: Somebody´s knocking at your door. Damit klopft die afro-amerikanische Musik zaghaft an die Schultüren. Hat man einen Kulturschock befürchtet? Da musste schon eine Fußnote zu diesem „Geistlichen Negerlied aus der Zeit der Sklaverei“ angebracht werden: „Die Negro Spirituals zeichnen sich durch eine eigenartige Verbindung von Rhythmus und Melodie aus. Sie entstammen wohl heidnischen Ritualgesängen, in die später melodische Elemente der christlichen Hymnen aufgenommen wurden. Texte und Melodien sind voll naiver Inbrunst und religiöser Hingabe.“
1949 – da war doch noch etwas! Die amerikanische Musikzeitschrift Billboard ersetzte den Begriff „Race Records“, mit dem in erster Linie von farbigen Musikern für farbige Hörer produzierte Musik gemeint war, durch die neutrale Bezeichnung „Rhythm & Blues“.
Eine Empfehlung: das Don Byron New Gospel Quintet. Man kann übrigens auch gut und gerne Atheist sein, und vom Gospel fasziniert. Wie Brian Eno. Bevor Paul Simon sich einmal von Brian Eno produzieren liess, schenkte er dem Engländer eine dicke Box voller Gospelsongs. Vielleicht gingen die beiden deshalb sehr freundlich miteinander um. Wenn Eno mal wieder die Geradlinigkeit der Lieder des Graceland-Mannes unterwanderte, schickte er ihn einfach in die Stadt. Manchmal erlebte Simon hinterher ein blaues Wunder. Tritt Brian Eno ab und und zu mal bei der BBC auf, bringt er nur zu gerne Gospelplatten mit.