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2015 10 Aug

Was uns verfolgt, nicht nur nachts

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | Tags:  | 4 Comments

Die Idee stammt aus einem wiederkehrenden Kindheitstraum, sagte David Robert Mitchell. Immer wieder tauchte von weitem eine Figur auf, eine Art Monster, und es kam langsam auf ihn zu. Es konnte aussehen wie jemand, den er kannte. Oder auch nicht. Der junge Mitchell rannte davon oder kletterte aus dem Fenster. Später sprach er mit anderen darüber und es stellte sich heraus, dass es sich um einen verbreiteten Angsttraum handelt. Besteht nicht Kunst – jedenfalls auch – darin, sich eigenen Verletzungen und Traumata zu stellen, sie zu verarbeiten und dadurch vielleicht zu überwinden oder wenigstens für ein paar Momente zu vergessen? In Mitchells zweitem Spielfilm „It follows“ wird eine Kindheitsangst dramatisiert und sie wird in einer skurrilen kleinen Welt am Rande von Detroit durch Sex übertragen.

Es gibt einen einzigen völlig unbeschwerten Moment. Jay hatte gerade zum ersten Mal Sex mit Hugh, vorher ein paar Verabredungen mit ihm, ein abgebrochener Kinobesuch, ein kleines Abendessen. Während er irgend etwas am Auto macht, liegt sie spärlich bekleidet quer auf der Rücksitzbank des Wagens. Sie spricht sie zu ihm, aber eigentlich spricht sie zu sich. Dass es immer ihr Tagtraum gewesen ist. Jemanden gefunden zu haben, gemeinsam unterwegs sein, die Hand des Freundes zu spüren, die Straße, das Licht. Radio hören und wie die Blätter der Bäume damit beginnen, ihre Farbe zu ändern. Es kommt nicht darauf an, irgendwo anzukommen. Es sind Sekunden voll Glück, in denen ein Leben eine neue Wendung nehmen kann. Ein paar Momente später ist nichts mehr wie zuvor. Hätte sie ahnen können, dass etwas mit Hugh nicht stimmt? Vielleicht daran, wie er sich bei ihrem Spiel im Kinosaal verhielt, bevor der Film begann?

 

-Schau dich um, such dir jemanden aus, an dessen Stelle du gerne wärst.

-Okay.

(Pause)

-Die da vorne?

-Nein, die Frau ganz hinten. Die im gelben Kleid.

-Im gelben Kleid? Wo? Willst du mich ärgern? Da ist keine Frau im gelben Kleid…

-Nein? Lass uns rausgehen, schnell, mir ist nicht gut.

 

Der Film ist wie ein Traum strukturiert. Wie die Szenen ineinander übergehen. Wie es dunkel wird und das Licht verschwimmt. Du lässt dich treiben im Pool, eine Ameise läuft über deinen Arm. Bunte Metalldosen, die an Schnüren vor einem Fenster hängen. Das Geräusch, wie sie zusammenstoßen. Eine künstliche Wiese liegt vor einer Matratze auf dem Dachboden. Bunte Comics kleben auf Fensterscheiben eines verlassenen Hauses. Draußen rennt ein Eichhörnchen oder eine Ratte vorbei. Ein Traumlabor. Eine unwirkliche Welt, zeitlos, auch im Mix der Moden. Das Klamottenstyling stammt aus der Gegenwart, auch die riesige dunkle Hornbrille von Yara, die ein bisschen an die 60er Jahre erinnern, aber jetzt wieder modern sind. Nur einmal, in der vom eigentlichen Plot abgelösten Eingangsszene klingelt ein Handy, es gibt ein muschelförmiges elektronisches Lesegerät, es gibt keine Flachbildschirme, dafür aber Fernseher mit dickem Gehäuse und sie zeigen Spielfilme, Science Fiction oder Dokumentationen in schwarzweiß. Die Telefone stammen noch aus der analogen Zeit. Schwere Gardinen, alte Kommoden, und ein Spiegel, auf dem Familienfotos als Polaroid kleben. Der Retro-Trend weist auf den Wunsch nach Geborgenheit, und auch nach einer Technik, die simpel ist, und die nicht so leicht wie die digitalisierten Geräte der Überwachung unterliegt. Darin steckt auch ein kleines kritisches, politisches Element.

Was machen diese Jugendlichen eigentlich? Jay geht aufs College (oder ist es noch die Schule?), ihre jüngere Schwester Kelly und Paul verkaufen Eiscreme in einem kleinen Laden, vielleicht ist es auch nur ein Job und sie studieren etwas oder machen eine Ausbildung, Greg sitzt in Jays Literaturkurs, in dem T.S. Eliots „The Love Song of J. Alfred Prufrock“ besprochen wird. Yara würde man auch ein Studium zutrauen, auch wenn sie oft im Auto einschläft, aber vielleicht liest sie Dostojewski auch nur einfach so für sich. Diese jungen Leute sind längst keine Kinder mehr, sie sind aber auch noch nicht in einem erwachsenen Leben angekommen. Eine Zwischenwelt. Und sie leben noch im Haus der Eltern. Jay beschwört ihre Schwester, nichts der Mutter zu erzählen, aber wo ist die Mutter und wo ist der Vater eigentlich? Erwachsene tauchen nur selten auf, da öffnet mal eine Mutter die Haustür, eine Sekretärin gibt eine Information und irgendwo im Hintergrund redet ein Unidozent. Es entspricht der Wahrnehmung der Jugendlichen, ganz auf sich fixiert zu sein. Die Abwesenheit der Erwachsenen ist Teil der Traumlogik.

Was ist das für ein Virus, den Hugh auf Jay überträgt? Jay sieht Figuren, die auf sie zukommen, langsam, bedächtig, aber konstant. Sie haben etwas von Schlafwandlern, sie können Jay töten, und dann würden sie der Reihe nach alle, die den Virus weiter übertragen haben, verfolgen und töten. Jay kann dem Fluch nur entkommen, wenn sie den Virus weiter überträgt, indem sie mit jemandem Sex hat.

Jeder, der einmal infiziert war, kann die Monster sehen. Für denjenigen, der den Virus weiter übertragen hat, sind die Monster aber nicht gefährlich, sie verfolgen nur den akut Betroffenen.

Die Monster können jede Gestalt annehmen. Sie können aussehen wie Fremde, wie Freunde, wie ein Elternteil. Sie können ekelhaft sein, und oft wirken sie bedrohlich, sie können aber auch schöne Menschen sein, die aus einem Pfad im Schilf auftauchen. Es ist genau diese Verwirrung, die dem Film eine besondere Tiefe verleiht und die „It Follows“ von gewöhnlichen Horrorfilmen in eine ganz andere Liga hebt. Gerade weil die Monster nicht von normalen Personen unterschieden werden können, ist Jay wie alle Infizierten ständig in Panik davor, ein Monster könne sich ihr nähern und sie töten. Geh nie in einen Raum mit nur einem Ausgang. Jay kennt sich nicht mehr mit sich selbst aus. Sie weiß, dass mit ihr etwas nicht stimmt, aber sie kann nicht fassen, was es ist. Und sie kann dem nicht entkommen. Wie der Schreck vor dem eigenen Körper sich zeigt: Jay steht im Badezimmer, vor dem Spiegel, jetzt in kindlicher weißer Unterwäsche, sie wagt es kaum, den Slip vorne herunterzuziehen und sich anzuschauen. Natürlich geht es ums Erwachsenwerden. Sex zu haben als Übergang von der Kindheit zum erwachsenen Leben. Die Unsicherheiten und Missverständnisse, die damit zusammenhängen. Darum geht es auch in der Szene in dem Gedicht von T.S. Eliot. Ein Mann dachte, nach Marmelade, Tee und Keksen am Nachmittag hätte auch die Frau Lust auf ihn. I am Lazarus, come from the dead. Sich mit den eigenen Alpträumen zu beschäftigen und sie zu überwinden, das kann aber auch eine lebenslange Aufgabe sein. „It Follows“ ist keineswegs ein Film, der vor allem Jugendliche anspricht. Grenzüberschreitungen sind in jeder Lebensphase interessant.

Der Film ist nicht nur in einer Traumlogik gebaut. Er erschließt sich auch wie ein Traum. Sehr fein sind verschiedene Fäden miteinander verwoben. Oder auch nicht.

Da sehen wir auf einem Polaroid, das an Jays Kinderzimmerspiegel klebt, ein Bild des Vaters, der später im Schwimmbad erscheint und Jay mit alten elektronischen Geräten bewirft. Der – für die Freunde – unsichtbare Vater, der seine Tochter unter Wasser hält, so dass sie zu ertrinken droht. Der Vater, der von Jays späterem Freund getötet wird. Dann wieder Auslassungen. Warum ist der Swimmingpool später zerstört und leer? Ist die Zeit eines sich-treiben-Lassens im Wasser vorüber? Überhaupt, das Wasser: Da ist der Strand und die See wie ein Meer. Da ist die Großzügigkeit der amerikanischen Autos, die Weite, der Raum. Es ist die Art, wie es dunkel ist und wie die Straßen beleuchtet werden, nachts. Die Art, wie Bilder verschwimmen vor der Windschutzscheibe im Weitwinkel. Es ist das Weiche im Licht. Vor allem aber sind es die Freunde, die da sind und die versuchen, ihr Schutz zu geben. Und irgendwann liegen alle in einem Zimmer herum, erschöpft, und übernachten gemeinsam, ganz harmlos in ihren Schlaf-T-Shirts und Boxershorts oder sommerlichen Hemdchen. Und reden über alte Geschichten, die Blätter der Bäume rauschen ein bisschen im Wind. Eine der großen Stärken des Filmes besteht darin, diese Freundschaft spürbar zu machen, als Notwendigkeit, als Sehnsucht, als Ideal. Wahrscheinlich gibt es solche Freunde nur im Film. Das ist es, was in „It Follows“ mitten ins Herz trifft. Eine Freundschaft sogar mit der eigenen ein bisschen jüngeren Schwester. Und obwohl Jay lieber mit Jungs befreundet ist, gehört auch Yana dazu, die mit ihrer riesigen Brille Dostojewskis Roman „Der Idiot“ auf einem muschelförmigen e-book liest und irgendwann ein bisschen altklug eine Passage über die Auflösung der Persönlichkeit vorträgt, und damit Paul meint und man könnte das als ein Mosaiksteinchen in der Interpretation des Schlusses dieses Filmes sehen.

Eine nicht erzählte Geschichte in der Geschichte. Da ist Greg, der ein paar Jahre älter ist als Jay, er ist ein bisschen außerhalb des engen Freundeskreises und macht auf unnahbar und cool. Als er einmal wie nebenbei zu Jay sagt, „wenn ich damals nur netter zu dir gewesen wäre“, dann ist klar, was da gelaufen ist. Und auch wenn Jay ganz nebenbei irgendwann zu Paul sagt, dass sie auf der High School mit Greg Sex hatte, „keine große Sache“, so sieht es doch eher danach aus, dass Jay gehofft hatte, wegen ihres Charakters geliebt worden zu sein. Während Greg seinen Blick ständig auf andere Frauen wirft. Und da ist der schmächtige Paul, der gern so furchtlos wäre wie Greg. Im Traum nimmt der Träumende die Gestalt verschiedener Figuren an. Sind wir am Ende selbst die Monster unserer Alpträume? Die Monster als das personifizierte Nichts, das uns immer bedroht, weil wir unser Leben immer wieder neu erschaffen müssen. Nicht nur, wenn es darum geht, nach Abschluss der Schule Weichen zu stellen.

In einer Traumwelt muss nichts logisch sein. Alles erschließt sich auf der unterbewussten Ebene. Es wirkt nach. Nachdem ich „It Follows“ zum ersten Mal gesehen hatte, im Kino, ging ich in einen riesigen Supermarkt, der bis Mitternacht geöffnet hat. In den Gängen bewegte sich ein großer Mann mit weißem Haar, sein Gesicht war blass geschminkt, er ging an mir vorbei und ich schaute ihn an, schwarzer Kajal um die Augen. In diesem Moment flackerte das Neonlicht. Ich war die einzige, die es bemerkte.

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4 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Cool.

  2. radiohoerer:

    Wunderbar !

  3. Sabine:

    Hab gleich ge“startpaged“, wo der Film läuft, in meiner Gegend leider nirgends. Da muss ich wohl auf die dvd warten. :-/

  4. Martina Weber:

    Die DVD gibt es schon. Ich habe sie aus Großbritannien bestellt und den Film fünf Mal gesehen. Ich leihe sie dir aus, Sabine.


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