Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2015 10 Aug.

Die Vorgeschichte (Remix eines alten Textes)

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 1 Comment

Wer erinnert sich nicht an die erste Begegnung mit Joanna Newsoms Stimme!? Ein wenig schrill und kindlich-naiv klang sie auf ihrem Debut THE MILK-EYED MENDER (2004). Kurze Songs mit Harfe, die verzücken, aber auch irritieren konnten. Fasziniert war man von der Kratzbürstigkeit, und bald suchten Kritiker dafür nach den richtigen Wörtern und Referenzen. Auf einmal schien da wieder ein seltenes helltönendes Original (wie Björk, und davor Kate Bush) neue Räume zu erkunden. Die Independant-Szene hatte eine neue, schräg singende Heldin mit Pippi Langstrumpf-Flair, aber insgeheim fragte man sich schon, ob der Zauber beim nächsten Mal noch wirken würde.

YS (2006) ließ alle Befürchtungen zerbröseln. Auf einmal begegneten uns phantastisch ausufernde Lieder, jenseits der Regeln für Strophe und Refrain. Mit den ausgefeilten Produktionstechniken von Jim O Rourke und Steve Albini sowie raumgreifenden Violinen und Violas von Altmeister Van Dyke Parks entstand ein überragendes Werk. Karl Bruchmaier sah das anders, wir kamen da nicht auf einen grünen Zweig:) Als vielen dämmerte, daß YS rasch Klassiker-Status erlangen würde, stand die Frage im Raum, ob das denn nun der Gipfel war, und ob allmählich alle Exzentrik einer sanfteren Gang- und Sangesart weichen würde.

HAVE ONE ON ME war dann nicht nur ein simpler Trinkspruch (und eine sexuelle Anspielung), es war auch die Fortsetzung des Zaubers mit neuen, nie greifbaren Rezepturen, in einem Werk, in dem Momente der Trunkenheit in allen möglichen Formen (Sex, Liebe, Umnachtung etc.) reich gesät waren. Es gab seltsame Lieder  in diesem Dreifach-Album:  die kurzen, nur von der Harfe begleiteten Stücke (auf einigen wechselt sie zum Klavier); es gab lange, mäandernde Gebilde, die zwar beim ersten Hören geradliniger daherkommen als beim Vorgänger, aber dann doch eigenartige Kurven nahmen.

Die Lieder begannen oft spartanisch, und dann wurde ihnen gutes altes Cinemascope eingehaucht. Der Gitarrist und Tambura-Spieler Ryan Francesconi arrangierte viele Parts mit Holzbläsern und Streichern. Einiges hörte sich exotisch an, neben der Tambura etwa die Kaval, die ebenfalls aus dem Osten Europas kommt. Auch die Kora, eine 21-saitige Harfe aus Mali, durfte zum Duett mit Newsoms europäischer Harfe aufspielen (außer Frage steht, daß Joanna Newsom die archaische Koramusik eines Toumani Diabate sehr schätzt und diese in ihrem Studium nicht minder intensiv studierte wie die weltoffene Klassische Musik eines Claude Debussy).

Solche Duftnoten anderer Kulturen hinterlassen häufig einen schalen Nachgeschmack – bei dieser Jägerin alter spirits und vibes passten sie bestens zu den Roots-haltigen Banjo-Sounds und anderen Schwingungen eines lang vergangenen Amerika!

Die Texte  können durchaus mal Schwindel erzeugen, dann wieder ist der Wortwitz scharfzüngig, und die gute alte Tante Liebeslied um einige hinreißende Zeilen bereichert!

– I regret how i said to you, Honey, just open your heart, when I have got trouble even opening a honey jar.

Vieles drehte sich ums Verbandeln und Entbandeln, um die Balance von In-Sich-Ruhen und Außer-Sich-Sein. Manches machte sich eine wunderlich alte Sprache zunutze, die den Straßenstaub gar nicht erst abschütteln musste.  HAVE ONE ON ME mischte Autobiographisches, Fiktives und Mythisches in einer Perfektion, die an einen gewissen Herrn Dylan erinnert. Kein Wunder, daß sie zu ihren Lieblingsautoren Carson McCullers und William Faulkner zählt (nehmen Sie sich mal bei Lust und Laune die Neuübersetzung von Faulkners LICHT IM AUGUST vor, oder John Steinbecks FRÜCHTE DES ZORNS, und Sie erfahren mehr darüber, welche Quellen die Lady auf HAVE ONE ON ME u.a. anzapft, als von diesem ganzen Elfenquatsch, der ihr angedichtet wird!)

Songweise wirkte das so, als habe Joanna Newsom vor sich hin fabuliert, an entlegenen Orten, in Bildern, die Traumszenen beschwören und sich auf manche Dunkelheit einlassen. Das Herz bleibt ein einsamer Jäger. (Kleine Fußnote nebenher – Newsom war eine Zeitlang zusammen mit Bill Callahan (aka Smog); da muß sie auch Muse gewesen sein, denn manche von YS abstrahlende Streicherklänge inspirierten Bill Callahans Klasse-Album I WISH WE WERE AN EAGLE. Und auch die Alben von Smog sind ja, man denke an  Highlights wie RED APPLE FALLS und KNOCK KNOCK, wundervoll knorrige Zeugnisse des Driftens und Nie-Ankommens und Zurücksehnens – Sie kennen dieses Platten nicht? Bitte nachholen!).

Die Stimme ist über die Jahre anders geworden, hat sich entwickelt, findet – buchstäblich – etwas tiefer gelegte Räume (kurze Kiekser gibts trotzdem noch). Auch wenn der Kelch einiger Lieder hier und da überfloss (have one on me, Joanna, cheers), war das Werk erstaunlich formbewußt. Durchgearbeitet. Durchdacht.

Und nun also, Ende Oktober, der nächste Streich! DIVERS. Das Cover ist mal wieder aus der Zeit gefallen. Flower Power der etwas anderen Art!

 
 
 

 

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1 Comment

  1. Lajla nizinski:

    Früher hast du aber gut geschrieben:) der Text ist wie STROMAE singt: Formidable


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