Das tageslichtleuchtende Brüllorange, in dem dieses Werk daherkommt, wird auf dem Foto nur unvollständig deutlich. Und diese Farbe setzt sich drinnen fort, nicht nur als gelegentlicher Seitenhintergrund, sondern manchmal sogar als Textfarbe. Die in den Buchdeckel eingestanzten Löcher geben drei der insgesamt 35 Portraitfotos auf dem Schmutztitel frei.
Na gut, kann man so machen. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das Resultat nun eine besonders originelle Buchgestaltung ist oder eine echte Designkatastrophe. Tut mir leid, das muss jeder für sich entscheiden. Aber mit so etwas muss man wohl rechnen, wenn man es mit Erik Spiekermann zu tun hat.
Er wird es nicht besonders originell finden, als Designguru bezeichnet zu werden, aber dass Erik Spiekermann einer der wichtigsten Schriftgestalter und Designer der Gegenwart ist, wird man nicht bestreiten können. Mit seinem Werk ist jeder, der mit halbwegs offenen Augen durch die Gegend läuft, schon in Berührung gekommen. Er hat etliche Bücher des Rotbuch-Verlages grafisch und typografisch gestaltet, er hat Schriftdesigns für die Deutsche Bahn entworfen, für die Telekom, für das Informationssystem der Berliner Verkehrsbetriebe nach der Wiedervereinigung, für den WDR, für Bosch, für Audi, für VW und für den Düsseldorfer Flughafen, von ihm stammt das Corporate Design der City of Glasgow — und hunderte kleinerer Arbeiten, denen jeder mal begegnet ist. Mit ein bisschen Übung kann man seinen Stil sogar erkennen.
Oft wird die Typographie eines Buches, einer Zeitung oder einer Website gar nicht wahrgenommen. Wie anders ist es zu erklären, dass wir permanent mit der Helvetica (oder ihrem Microsoft-Klon Arial) oder der Times New Roman zugetextet werden, als gäbe es keine anderen Schriften auf der Welt. Wobei ich gegen diese gar nichts habe, sie sind nur schon längst so abgenudelt, dass keine Überlegung mehr hinter ihrer Nutzung zu stecken scheint. In den USA werden inzwischen selbst die Namen auf Grabsteinen in der Times New Roman eingraviert; wahrscheinlich einfach deshalb, weil sie standardmäßig auf jedem Computer vorhanden ist.
Ich habe seltsamerweise schon als Kind einen Blick für Schriften gehabt, ohne dass mir das damals bewusst war. Eines meiner frühen Lieblingsbücher, Michael Endes „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“ von 1960 war für mich nicht nur die Geschichte selbst, es war (und ist bis heute) auch die Palatino, aus der es gesetzt ist. Auch die grüne Ausgabe des „Herrn der Ringe“ ist für mich untrennbar mit dieser Schrift verbunden; die andere Schrifttype der englischen Ausgabe (irgendeine etwas schmal geratene Times-Variante) verändert für mich die inhaltliche Färbung der Geschichte mindestens so stark wie die Sprache selbst. Die Musik der Gruppe Kraftwerk wird für mich immer gekoppelt bleiben mit der guten alten Futura — sie hätten für ihre „Mensch-Maschine“- und „TEE“-Covers keine bessere finden können. Typographie bestimmt den Sound eines Buches oder überhaupt aller beschrifteten Objekte und beeinflusst dadurch auch den Inhalt selbst. Mein erster Blick gilt meist den Buchstaben W, R, a und g, dazu auch den Ziffern 1, 2 und 5. Sie tragen die Substanz einer Schrift in sich. Immer fand ich, dass das „g“ im Logo der Süddeutschen Zeitung irgendwie verkümmert wirkt. Ein Roman, gesetzt aus der Bodoni, ist für mich eine Geschichte; derselbe Roman, gesetzt aus der Garamond, klingt für mich anders, er ist nicht dieselbe Geschichte. Es war und ist für mich ein Rätsel, weshalb so viele Autoren und Verlage offenkundig überhaupt keinen Gedanken daran verschwenden, für den Text, den sie veröffentlichen wollen, die richtige Schrifttype zu finden.
Klar, dass mich jemand wie Erik Spiekermann interessiert. Gerade auch, weil er nicht nur sein Handwerk versteht, sondern auch ein recht meinungsstarker Typ ist. Johannes Erler, der diese Biographie verfasst hat, lässt Spiekermann selbst, aber auch viele seiner Wegbegleiter und Mitarbeiter zu Wort kommen, darunter Neville Brody, Christoph Niemann oder Stefan Sagmeister. Das Buch ist eine Collage aus Interviews, kurzen Essays, Fotos — und natürlich jeder Menge Schriften und dem Prozess ihrer Gestaltung. Manchmal geht es um Millimeterbruchteile, die den Charakter einer Schrift verändern können, und das sieht man hier.
„Hello, I am Erik“ verwendet übrigens nur eine einzige Schrifttype, „Real“ genannt. Diese allerdings in etlichen Varianten. Das Buch ist deutsch und englisch in identischer Aufmachung zu bekommen; am Ende findet sich ein Code, mit dem man einen kompletten Fontsatz von Erik Spiekermann downloaden kann.
Johannes Erler:
Hello, I am Erik — Erik Spiekermann: Typographer, Designer, Entrepreneur
Verlag die gestalten, Berlin 2014
ISBN 978-3-89955-519-6