Das ist das Zauberwort für diese drei Platten (alle gibt es derzeit auf Vinyl), jedenfalls in meinen noch ganz frischen (Gefion), sehr lebendigen (Five Years Later) und etwas verschwommenen (Animato) Erinnerungen: Transparenz. Es zielt auf die Durchlässigkeit und Durchsichtigkeit des Raumes. Es wäre interessant, einmal die Erinnerungen an das erste Hören alter Platten zu sammeln (je tiefer der Höreindruck, desto umfassender die Gedächtnisspur).
Gefion erschien in diesem Jahr, und wurde von einigen Manafonisten mit Freude wahrgenommen (wieder und wieder gehört). Five Years Later erschien 1982, Animato 1990. Wirft man einen Blick auf die Besetzungen, zwei Trios, ein Duo, rücken die Zeiten noch näher zueinander. Altvertraute, wiederkehrende Namen, die Gitarre tonangebend. Ohne die Transparenz zu behindern.
Five Years Later war, der Titel deutet es an, die zweite Zusammenarbeit der Herren Towner und Abercrombie, und, bei allem Zauber, den der Anfang innehatte auf Sargasso Sea: das zweite Werk war aufregender, intensiver. Oft verhält es sich umgekehrt. Und der Zweitling entpuppt sich als Nachklang, Wiederholung, Musik mit vertrautem Instruktionsmanual. Nicht so hier.
In der Erinnerung hat das erste Stück die markanteste Spur hinterlassen, besonders diese eine Passage aus Late Night Messenger, die John Kelman so beschreibt: „Building to a first inevitable peak, Towner quickly shifts to a simple but effective preparation device—a matchbook, interlaced in the strings of his guitar near the bridge that makes it buzz—adopting a more percussive and propulsive underpinning to allow Abercrombie to take flight …“
Ich bekam diese Schallplatte, als ich in Bergeinöden wohnte (eine Geliebte, drei Häuser sind ein Dorf, ein Auto) – ich bestellte sie, via „jazz by post“ aus der Gleichmannstrasse 10, ein mehrstöckiges Geschäft mit Staubsaugern, Waschmaschinen und dem aufregendsten Jazz der Welt. An das erste Hören kann ich mich nicht genau erinnern, aber ich sehe die Lautsprecher vor mir, die grosse Gartenwiese, den Ausläufer des Hohen Bogens.
Wenn wir miteinander schliefen, lief eher Remain In Light oder On Land – Five Years Later verlangte eine andere Aufmerksamkeit als Listening Wind oder Dunwich Beach, Autumn 1960. Die Talking Heads hatten sich unter die Haut gespielt, und die Musik war wie der Sex mit H. vollkommene Gegenwart. Die Zeit stand still, die Zeit zerfloss. Ich glaube, ich habe Five Years Later damals ohne Ausnahme alleine gehört. In meiner Kammer.
Acht Jahre später war ich wieder in der alten Heimat, und legte Animato auf den Plattenteller meines mittlerweile dritten oder vierten Plattenspielers. Ich weiss noch genau, wie durchscheinend das Klangbild war, und doch war da etwas, das mir nicht gefiel: lag es an den Farben von Vince Mendozas Synthesizer, an John Abercrombies Gitarrensynthesizer, ich weiss es nicht mehr. Hinkte die Musik den geheimnisvollen Suggestionen hinterher, die das Cover auslösten?
Die zwei Liegestühle von Five Years Later waren das perfekte Bild für die Musik – gut, dass in den Liegestühlen keine depressiven Figuren a la Edward Hopper lagen, die illusionslos ins Leere blickten. Ich fürchte, Hopper mochte Häuser, Leuchttürme und Tankstellen mehr als Menschen. Und nun, ein typisches ECM-Bild, auf Gefion, anno 2015. Eine Gestalt am Meer. „Looks like someone pissing in the wind“, sagte ein Freund.
Diese Platte des Gitarristen Jakob Bro (der Bill Frisell nähersteht als John Abercrombie oder Ralph Towner) funktioniert wie eine perfekte Erinnerungsplatte, allein, dass all diese Dejavues ins Offene treiben, nicht stranden oder eingekastelt werden von den erschöpfend abgehandelten Dingen der Welt.
Die Transparenz zeigt sich auch in Thomas Morgans Basstönen, in Jon Christensens Handhabung des Schlagwerks: noch reduzierter, noch weniger, noch mehr. Beseelt, animato. So the wind won’t blow it all away.
Die Verflüchtigung. Die Verlangsamung. Nun, auf dem sechsten Plattenspieler meines Lebens, landet, in der kommenden Woche Animato – seit Ewigkeiten habe ich die früh zurückgewiesene Musik nicht mehr gehört. Ich werde das frische Exemplar, wie damals, aus der Hülle holen. Und ich werde sie allein hören. Witzigerweise schauen mich von der Seite (vom Boden) vier maskierte Gestalten an, auch Remain In Light legte ich mir jüngst neu zu. Die alte, lang verlorene, Platte habe ich vielleicht sechshundertfünfundzwanzig mal gehört, allein 1982 befand sie sich im Dauerspielmodus.