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2015 2 Jul.

Gregor öffnet seinen Bücherschrank

von: Gregor Mundt Filed under: Blog | TB | 6 Comments

Drei wunderbare kleine große Bücher möchte ich gerne weiterempfehlen. Zunächst von Erri de Luca Das Gewicht des Schmetterlings (Deutsch von Helmut Moysich). Erri de Luca, geboren 1950 in Neapel, politisch aktiv, arbeitete in den unterschiedlichsten Berufen, Kraftfahrer, Lagerist, Werksarbeiter bei Fiat, veröffentlicht 1989 seine erste Erzählung über seine Kindheit in Neapel. Inzwischen umfasst sein Werkverzeichnis zahllose Erzählungen, Romane, Lyrik, Sachbücher zur Bibel und sogar eine Bibelübersetzung. In letzter Zeit engagiert sich der Autor auch bei musikalischen Projekten. Die Erzählung Das Gewicht des Schmetterlings erschien 2013 kongenial übersetzt von Helmut Moysich (Professor für Deutsche Literatur in Cagliari/Sardinien) in Deutschland. Erzählt wird die Geschichte eines einsamen Jägers, der am Ende seines Lebens, nachdem er im Laufe der Jahre in den italienischen Alpen hunderte Gemsen erlegt hat, nun mit dem König der Gemsen, dem Unbesiegbaren, kämpfen will. – Der Leser wird von diesem Büchlein gepackt, entführt in die Einsamkeit der Bergwelt und mithineingenommen in diesen letzten Kampf des alten Jägers. Ein kleines Meisterwerk!
 
 
 

 
 
 
Ein vollkommen ungewöhnliches Buch jetzt: Per Olav Enquists Das Buch der Gleichnisse, und unterhalb des Titels heißt es: „Ein Liebesroman“. Ob es ein Liebesroman ist, darüber könnte man trefflich streiten – aber nicht mit mir, ich finde diese Frage und auch die Anmerkung, ob es in diesem Buch überhaupt um Gleichnisse gehe, wirklich unwichtig. Ein Erzähler findet einen verloren geglaubtes Büchlein mit Liebesgedichten, die sein Vater einst geschrieben hatte. Diese Gedichte motivieren den Erzähler dazu, sich der Frage nach der Liebe zu stellen. Der Erzähler, aufgewachsen in einer streng konservativen Freikirche, musste erst einmal lernen, mit der anerzogenen puritanischen Sexualmoral umzugehen. Hilfreich war dem fünfzehnjährigem Jungen bei diesem Unterfangen eine einundfünfzigjährige Frau… Mehr wird nicht verraten. Es geht um etwas in diesem Buch, um Liebe und Tod, um die Befreiung aus einem vollkommen verquastem Christentum: „Die Vernunft hatte ihm gesagt, dass er bisher in einer Sekte gelebt habe, doch jetzt wolle er nein sagen. Und daraufhin war er ausgestoßen worden, nicht nur aus der Gemeinde, sondern auch von der Familie. Von Frau, Eltern und Kindern. Und hatte ausziehen müssen, praktisch auf ungesatteltem Pferd. … Sein ganzes Leben lag in Trümmern, aber er hatte Frieden mit seinem Gewissen geschlossen.“ Der Autor, Jahrgang 1934, gilt als einer der bedeutensten Autoren Schwedens. Dieses Buch, erschienen schon 2013, ist eine Kostbarkeit.
 
 
 

 
 
 
Das dritte kleine Büchlein möchte ich nur kurz erwähnen: Gräser der Nacht von Patrick Modiano. Auch mit seinem jüngsten Buch, erschienen 2014, begeistert mich der Autor der leisen Töne wieder ungemein. Und natürlich ist wieder jemand verschwunden, eine Frau, Jean Dannie, in die sich der Erzähler einst verliebt hatte … „Du hast eine kurze Zeit deines Lebens – einfach so in den Tag hinein, ohne dir Fragen zu stellen – unter seltsamen Umständen gelebt, umgeben von seltsamen Menschen. Und erst viel später kannst du endlich verstehen, was du erlebt hast und wer diese Menschen aus deiner Umgebeung eigentlich waren, vorausgesetzt, man gibt dir endlich die Möglichkeit, eine verschlüsselte Sprache zu entwirren …“

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6 Comments

  1. Lajla Nizinski:

    Wunderbar Gregor. Erri de Luca kenne ich nicht. Das wird eine neue spannende Entdeckung. Neapel ist eine meiner Lieblingsstädte. Besonders zu Fussballhochzeiten und während Mafiamüllstreiks. Da wurde die Pizza erfunden und nur da schmeckt sie unschlagbar corssgut. Ah, und die neapolitanischen Lieder …

  2. Uwe Meilchen:

    Von Enquist habe ich ein, zwei Buecher mit Gewinn und Genuss gelesen; natuerlich „Der Besuch des Leibarztes“ – und zuletzt das autobiographische „Ein anderes Leben“ in dem er von seiner Alkoholsucht und den Kampf dagegen erzaehlt. Vorallem sein ruhiger, stiller Erzaehlstil nahm mich bei der Lektuere seiner Buecher immer wieder sehr gefangen.

  3. Gregor:

    Na, das freut mich, Lajla – du wirst begeistert sein, wenn du dieses Buch liest. Übrigens, Neapel, vor ein paar Jahren hat Brian Eno dort in einer riesigen Höhle sein 77 Million-Paintings-Projekt vorgestellt. Das muss unglaublich gewesen sein, wie mir ein Freund erzählte.

    Uwe, auch dieses Buch, Das Buch der Gleichnisse, ist natürlich autobiographisch gefärbt. Was den Erzählstil des Autors angeht, hast du vollkommen recht.

  4. Martina Weber:

    „Das Gewicht des Schmetterlings“ hattest du mir ja am Stand auf Sylt gezeigt und in Händen gehalten wie einen großen Schatz …

    Zum „Buch der Gleichnisse“ fällt mir die Thematik einer noch unbekannten Autorin ein, die ihren Namen auch nicht öffentlich lesen will und für ihr Manuskript mit ähnlicher Thematik derzeit einen Verlag sucht, sie will das Buch unter Pseudonym veröffentlichen. Es geht da ebenfalls um eine religiöse Sekte, die sich in den 60er Jahren als Gegenbewegung zur Studentenbewebung formiert hat. Die Frau, um die es in dem Buch geht, war zum Zeitpunkt der Gründung der Sekte vielleicht 12 oder 13 und sie musste ihr gesamtes Leben dieser Sekte unterordnen und konnte gar keine Individualität entwickeln. In dem Buch geht es ebenfalls um eine Befreiungsgeschichte. Die funktioniert durch ein Gespräch, wobei wir nur den Part der betroffenen Frau hören. Ich hatte die Autorin gefragt, wie sie die Sprache für dieses Buch gefunden hat, und sie nannte mir einen Titel von Hermann Lang: „Die Sprache und das Unbewusste“. Es geht hier um den Ansatz Jaques Lacans, wonach – hier nur eine Setenz – das Unbewusste wie eine Sprache gebaut ist. – Das Schweigen ist auch wie eine Sprache gebaut, übrigens.

  5. radiohoerer:

    Hallo Gregor,

    mein Lieblingsbuch von Erri de Luca ist „Das Meer der Erinnerung“. Dutzende Male gelesen. Wunderbares schmales Büchlein. Er braucht überhaupt wenige Worte … Und: „Ich bin da“. Enttäuschend: „Die Krümmung des Horizonts“.

    Lg an alle !

  6. Michael Engelbrecht:

    Gregor, allerfeinste Gegengewichte zu unserer monatlichen Thrillerkolumne. Ob ich noch mal in die Stimmung kommem. Modiano zu lesen und zu geniessen wie früher. Selbst jetzt, kurz vor einem Paristrip? Ich glaube, der „sound“ ist mir übervertraut, und die Geschichten versinken konstant im Vagen, hier und da mal ein Grabstein. Ich glaube, in diese Redundanzen will ich nicht mehr hinein. Das Thema des Enquistbuches fasst mich nun gleich gar nicht an. Natürlich ein grosser Autor wie Modiano, keine Frage. Bleibt Erri de Luca. Das wäre ein Buch zum Mitnehmen auf die Reise in die Äusseren Hebriden. Ich hoffe, es ist nicht moralisierend.


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