In der zweiten Julihälfte erscheint eine Vinylbox der besonderen Art, von The National. Die Band spielte in einem Marathon ihren Song „Sorrow“ 105 mal am Stück. In New York City. Im MOMA. Auf neun Vinylplatten kann man sich nun all diese 105 Versionen zu Gemüte führen. Ich habe damals, als das Album HIGH VIOLET erschien (darauf befindet sich dieses Lied), die Brüder Berninger zu diesem Werk befragt (sie hatten wirklich was zu erzählen!). HIGH VIOLET ist mein Favorit der Gruppe (knapp vor BOXER). Leider habe ich dieses Gespräch in meinem alten Computer verloren, sonst wäre am 24. Juli der ideale Tag, es hier zu bloggen. Every repetition is a form of change, lautet ja bekanntlich eine der Aussagen der „Oblique Strategies“. Insofern ist dies mehr als nur ein kurioser Witz. Fast jeder kennt das Phänomen, ein bestimmtes Lied im Auto endlos zu spielen, immer wieder „repeat“ zu drücken. Aber auf diesem skurilen Objekt der Begierde gibt es ja nun laufend kleine Verwandlungen. Ca. 244 Euro kostet der Spass. Interessant fände ich es, eine Dokumentation darüber zu sehen (oder zu schreiben), was, sagen wir mal, 12 ausgesuchter Käufer dieses Werkes damit anstellen. Eins kann ich jedem Leser dieser Zeilen garantieren: durch das Medienecho, dass diese Unternehmung erfährt (der Song ist tatsächlich nichts weniger als grossartig und herzzerreissend), wird der Track in Zukunft in die Top 50 der Beerdigungslieder aufsteigen.
Archives: Juni 2015
2015 23 Juni
„Black Gold Records“
Michael Engelbrecht | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Comments off
My New York state of mind, June 2015. I don’t like taxidermied animals. Already in childhood days the made me think of death. I never befriended with taxidermists. Encounter a stuffed hyena, or taxidermic pigeons, and you immediately feel like entering a strange twilight zone, something disturbingly unreal. For example Black Gold Records on 461 Court Street in Carroll Gardens, Brooklyn. Which at least made me smile, and like the weirdos working there.
How this small storefront manages to sell coffee, antiques and records without being a cluttered, cramped mess we’ll never know.
This is a sampling space! All music is vinyl: garage-rock comps, Hawaiian exotica, free jazz treasures from Albert Ayler, imaginary or real soundtracks by Gordon Jenkins, some avant horizontal ambient music, and noisy stuff of every lost decade.
Even if the music’s not to your taste, the store’s oddball Victorian atmosphere is enough to keep you browsing, plus you can purchase coffee and bites from the likes of „Scratchbread“, and other local food purveyors after flipping through the goods.
There’s an ancient record player in the corner that seems to have survived its expiry date for a long time. If you put a record on, you’re running the soundtrack of the moment. Everybody is listening to your choices, cause there are no headphones: in my case the whole room was filled with Hollywood strings from the 50s of the last century, and a self-assured voice starts to tell a story: Once upon a time there was a woman with three cats and golden hair.
2015 23 Juni
Tattoo you
Jan Reetze | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: Matching Mole, Robert Wyatt | 2 Comments
2015 23 Juni
Das verpasste Keith Jarrett-Solokonzert (Reprise)
Michael Engelbrecht | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: Keith Jarrett | Comments off
Ich fuhr mit einem Studienkumpel nach Hamburg, die Siebziger Jahre zeigten sich von ihrer besten Seite, ECM veröffentlichte reihenweise Meilensteine, und als wir die Landesgrenze zu Schleswig-Holstein hinter uns hatten, hörte ich das beste Jazzprogramm, das es in der alten Bundesrepublik je gab. Michael Naura hatte Narrenfreiheit, holte alle möglichen Stars zum NDR, der Jazz boomte, ich war verliebt in Katrin E., und hatte vor, ihr Herz und ihren Körper zu erobern. Immerhin hatte ich die Einladung ins elterliche Herrenhaus “An der Glinder Au” in der Tasche.
Ich war noch ein Teenager, und hatte Katrin auf einer Nordseeinsel kennengelernt, wir spielten in den Dünen, verschlangen ganze Backbleche Pflaumenkuchen, ohne ein Pfund anzusetzen, und jeden Tag hörte ich grandiose Jazzmusik im NDR: der junge Jan Garbarek, Art Lande, Chris Hinze, Gary Burton, Bill Connors, Volker Kriegel, Dave Liebman, Chick Corea. Und plötzlich, die Tore Hamburgs waren noch ein Stück entfernt, verkündete Michael Naura im Autoradio, dass der “Meister” just an diesem vorweihnachtlichen Abend im Congresszentrum der Hansestadt auftrete. Solo. Ahh! Als ich dann in 2 Hamburg 74 oder 14 eintraf, der Nachmittagstee aufgetischt wurde, machte ich den Vorschlag, die ganze Bande, Katrin, ihr Bruder, die Clique, solle heute Abend aufbrechen, um den Magier am Klavier zu erleben. Die Reaktion war reserviert. Hanseatisch unterkühlt. Stattdessen nahm das Grauen seinen Lauf.
Ich war damals noch etwas schüchtern, sonst wäre mir das nicht passiert. Mit der angehimmelten Katrin und den anderen trottete ich in eine Old Jazz-Kneipe namens Rempter oder so, wo doofer Stimmungsdixie gespielt wurde, und sich eine biergetränkte Fröhlichkeit breitmachte. Die Nacht durfte ich im Zimmer des Bruders verbringen, der den Aufpasser spielte. Am nächsten Morgen, mit dem Katrin- und Jarrett-Blues in den Knochen, stellte ich mich noch überaus ungeschickt an beim Köpfen des Frühstückseis.
In dieser Story war die Vorfreude alles: wie ich in meiner Studentenbude, Wochen lang, Gato Barbieri hörte, das erste Kapitel seiner grandiosen Latin-Jazz-Platten (auf Impulse), „Fort Yawuh“ vom Keith Jarrett Quartet. Umd seine Solosscheiben, “Facing You”, immer wieder „The Köln Concert“ und „Bremen-Lausanne“. Ich träumte von Katrin, und wie immer, wenn das Verliebtsein sich in mir ausbreitete, fuhr mir wiederholt ein Schmerz in die Fingerknöchel, ein Stechen, ein Ziehen. Ein paar Jahre später war ich nicht mehr schüchtern. Gut so. Und in den Neunziger Jahren arbeitete ich zehn Jahre mit dem grossartigen Jazz-Macho Michael Naura zusammen. Manchmal spielte er in seinem Büro Evergreens auf dem Klavier, und, als er einmal einen Jarrett-Akkord erwischte, fiel mir kurz jener Abend ein, in weihnachtlich geschmückten Einkaufsstrassen – und die unerträglichste Dixieland-Kapelle aller Zeiten! Michael Naura ist heute 80, Keith Jarrett 70.
Gut, die Geschichte ist ein alter Hut und wurde hier schon einmal erzählt. Ich habe sie sicher schon sehr oft in Freundeskreisen zum besten gegeben, sowas nennt man „Repertoiregeschichten“, unvergessliche Episoden des eigenen Lebens. In diesem Fall wird die Sparte „verpasste Chancen“ bedient. In der Liebe, in der Musik gibt es diese Stories in Milliarden und Milliarden von Variationen. Man könnte sich meine Verblüffung vorstellen, wenn plötzlich aus den ECM-Archiven „The Hamburg Concert“ als versunkener Schatz gehoben würde, meines Wissen gab es damals keinerlei Senderechte, und ob das Konzert in den Münchener Archiven schlummert, werde ich aus purer Altgier mal erfragen. Es ist ja nun nicht soooo wichtig, dass ich eine grosse Welle drum machen müsste, und diese marginale Episode habe ich natürlich in der Radiostunde, als es mit Keith Jarrett durch die 70er Jahre ging, ausgespart. Ich musste da sowieso ganz viel aussparen, denn unendlich viel hätte auch noch gespielt, berichtet und erzählt werden können. Das „Belonging“-Quartett sah ich einmal beim Jazzfestival in Frankfurt, lang vor der Japanreise, und vor dem Auftritt im Village Vanguard (alles auf Tonträgern dokumentiert). Der Auftritt in Frankfurt war eher von der ruhigen, routinierten Sorte, und rührte mich nicht annähernd so wie die beiden Studioalben und die späteren Live-Platten des „europäischen Quartetts“.
2015 22 Juni
Die schöne frühmorgendliche Leere einer Autobahnraststätte mit Rickie Lee Jones im Player
Michael Engelbrecht | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | 3 Comments
2015 22 Juni
Poesie Deutschland Venezuela im Livestream Bermudafunk
Manafonistas | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | 1 Comment
Poesieaustausch Deutschland – Venezuela im Bermudafunk Freies Radio Rhein-Neckar e.V. : „Poetische wendungen – giros poéticos“ mit MARTINA WEBER (Deutschland) und ANA MARÍA VELÁZQUEZ (Venezuela). Im 1. Teil liest Martina aus ihrem Gedichtband „erinnerungen an einen rohstoff“ (Poetenladen 2013) und neue Gedichte. Es gibt auch zwei Gedichte von Martina auf Spanisch. Im 2. Teil liest Ana María eine Auswahl von Gedichten aus ihrem Buch Extranjera de por vida (El léctor cómplice 2013) auf Spanisch und Martina liest zwei Gedichte von ihr auf Deutsch.
Moderation und Gestaltung der Sendung: Geraldine Gutiérrez-Wienken
1. Ausstrahlung Mo. 22.6., um 15.00 Uhr
Wiederholungen:
Di. 23.6., um 2.00 Uhr (!)
Sa. 11.7., um 15.00 Uhr
So. 27.7., um 15.00 Uhr
bermudafunk.org/Livestream
It occurred to me today that 2015 is the 20th anniversary of Michael Landy’s Scrapheap Services. I wonder if there will be any events held to celebrate it?
You walk into the exhibition space, you’re kind of struck by the vibe of sterility in there. The walls and flooring are of a shade of white that place you in a nowhere, endless. Lots of little paper cut-out figures all over the floor. Your first instinct is to pocket one of the fuckers – the artist must have known this would be the case – and the gallery staff are watching you very closely. It’s almost like theatre. The video installation starts up, its audio a kind of measured, processed, cleansed language of corporate euphemism. The mannequins are unsettling: humanlike enough to be humanlike, but with limbs at slightly odd angles, like almost-there cyborgs, not space chimps.
„With this work Landy suggests our complicity in sustaining society’s potentially dehumanising processes through hierarchies of valuation: ‚everyone is complicit in the whole thing'“.
It’s a long time since I saw this installation – probably a decade or more. But it’s stuck with me – the humour of it, as well as the sheer fucking beauty of it.
2015 22 Juni
Mit Keith Jarrett durch die Siebziger – Transkript einer Live-Sendung im Deutschlandfunk (mit besonderem Dank an Helga Norhoof)
Michael Engelbrecht | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: Keith Jarrett | Comments off
Jesus hatte eine grüne Kiste dabei. Es war Sommer, im Schulhof versammelten wir uns um ihn. Abiturzeit. Jesus öffnete die dunkelgrüne Box, und sagte: „Sagenhafte Musik. Nur Klavier. Tim Buckley schwärmt von diesem Pianisten. Einer, Jungs, der auch auf dem Weg zu den Sternen ist. Hört euch Starsailor an!“ Jesus hatte gesprochen. In jeder Schule gab es einen, der wegen seiner wilden Matte mit Mittelscheitel, Jesus genannt wurde, wenn er zudem nur über ein Mindestmass von Charisma verfügte. Jesus hatte Ahnung von Musik, und eine scharfe Braut am Start. Da, im Pausenhof, waren wir aber noch schärfer darauf, diese Klaviermusik auf den Plattenteller zu legen. Wir kannten Keith Jarrett und die tollen Alben „Soundtrack“ und „Forest Flower“, bei denen er in der Band von Charles Lloyd Und seine wahnwitzige elektrische Pianomusik in Miles Davis‘ Band. Wie Miles hatte auch Lloyds Gruppe schon lange das Rockpublikum erreicht.
Bald liefen Jarretts Solokonzerte aus Bremen und Lausanne endlos auf unseren Plattenspielern. Gleichberechtigt neben „Atom Heart Mother“, „Thick As A Brick“ und „Sgt. Pepper“. Es waren die frühen Jahre von ECM. In den USA wunderte man sich über die Allianz des Pianisten Keith Jarrett mit dem deutschen Produzenten Manfred Eicher. Man sollte sich bald noch viel mehr wundern.
Ich weiss noch, wie ich damals dachte: bei dem exquisiten Künstlerkarussell des Münchner Produzenten müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn Keith Jarrett nicht bald die Wege von Jan Garbarek kreuzen würde. Und genau das passierte. Ich sah die Platte mit dem vier Luftballons zum ersten Mal in einem kleinen Dortmunder Plattenladen, „Belonging“, Jarretts europäisches Quartett mit Jan Garbarek, Palle Danielssonund Jon Christensen. Adrenalin schoss durch den Körper, eine halbe Stunde war ich zuhause, legte ich die Platte auf, und war sprachlos.
Keith Jarrett: Long as you know you’re living yours
Zwei Studioalben gibt es von der „Belonging“-Band. Ich erinnere mich, wie Palle Danielssson mir bei einem Gespräch Ende der Neunziger Jahre erzählte, er sei im Grunde immer noch fassungslos, wieso diese Band vor dem Ausklang der Siebziger Jahre schlicht aufhörte zu existieren. Wild und exstatisch waren die Live-Auftritte im Village Vanguard, dokumentiert auf „Nude Ants“, und erst vor einiger Zeit holte Manfred Eicher unveröffentlichte Livedokumente aus Japan aus dem Archiv, Tokyo, 1979. „Sleeper“ heisst das Opus, und hinterliess zurecht ein mächtiges Beben in der Jazzwelt. Mit einer begrenzten Zahl von Kompositionen brach man scheinbar Abend für Abend in unbekannte Regionen auf, das Gegenteil von Repertoiremusik.
Apropos Anti-Repertoire-Musik: drei Jahre zuvor, wiederum in Tokyo, aber auch in Osaka, Sapporo, Kyoto, Nagoya. Japaner sind bekanntermassen musikbesessen, und damals im November 1976 bekamen sie die volle Dröhnung. Der Produzent Manfred Eicher und der Toningenieur müsssen mächtig ins Schwitzen geraten sein, stets hellwach, denn sie wusste ja nie, was Jarrett, allein mit seinem Flügel, veranstalten würde. Es gab keine Redundanzen, keine sich wiederholenden Spannungsbögen – jedes dieser Konzerte wurde aufgezichnet, und erschien, auf zehn Schallplatten verteilt, unter dem Titel „Sun Bear Concerts“.
Wolfgang Sandner widmet diesen fünf Konzerten in seiner jüngste erschienenen Jarrett-Biografie die gebührende Aufmerksamkeit. Irgendwann, schreibt er über den Auftritt in Tokyo, schien er lange Zeit in sich versunken zu sein, er verzichtete auf expressive Gesten und virtuose Ausbrüche, bis er von einem kleinen Melisma, einem Ostinato verführt wird, diese Versunkenheit zu verlassen, und sich auf einmal wieder alle möglichen überraschenden Wendungen ereignen: „Und er kann nicht anders, irgendwann taucht er in einen blue-note-getränkten Rhythmus zwischen Gospel,und Worksong, der ihn zurückbringt zu den Anfängen des Jazz und der afro-amerikanischen Trance-Kultur.“ Hören Sie die Zugabe, die Keith Jarrett in Tokyo gab, eine Art des Ausschwingens nach der Stunde des Ekstatikers …
Keith Jarrett: Tokyo Encore
Keith Jarrett: Windsong
Keith Jarrett war ein klassisch ausgebildeter Pianist, und neben Interpretationen von Werken Klassischer Musik, hatte er bei seinem Produzenten alle Freiheiten, die Grenzgebiete Moderner Klassik und improvisierter Musik zu erkunden. Third Stream nannte man das in Jazzkreisen, das konnte Jarrett mal kitschig und überladen geraten wie auf dem Album „The Celestial Hawk“ – aber was für eine Meisterwerk gelang ihm Mot dem Album „Luminessence“, komponiert für Jan Garbarek und Streichinstrumente. Jarrett selbst spielt da keinen Ton.
Neben seinem europäischen und amerikanischen Quartett (zu letzterem komme ich noch) waren die ohne Netz und doppelten Boden, stets das Scheitern als Option beinhaltenden, Solokonzerte das Zentrum des Jarrett’schen Musizierens. Viele von Ihnen haben das berühmteste Solokonzert im Regal stehen, und man weiss, dass dieses Ereignis (eine der meistverkauftesgen Jazzplatten aller Zeiten) an missliche Umstände geknüpft war: Jarrett war überhaupt nicht glücklich mit dem alles andere als perfekt gestimmten Klavier.
Wolfgang Sandner fragt sich in aeiner Biografie sinngemäss, wie hypergenial „The Köln Concert“ g e k l u n g e n haben würde, hätte er es auf einem vollkommenen Instrument gespielt hätte. Meine Antwort: es wäre womöglich überhaupt nicht so ein grandioses Stück Musik geworden. Jarrett musste sich ja auf diesen Gegner einstellen, auf die Tücke des Objekts, vielleicht spürte er, er könne den „sperrigen Widersacher“ nur überliste mit etwas Atemraubenden, mir einer Überfülle an Ideen, einer anderen Körperlichkeit … aber das ist „Psycho Fiction“ …
Eine meine Lieblingssoloplatten des Amerikaners verdankt ihr Entstehen auch besonderen Umständen. Keith Jarrett und Manfred Eicher waren in Paris, im Mai 1976, im berühmten Davout Studio, um Musik für einen Soundtrack aufzunehmen, eine kleine Gefälligkeit für Jean Luc Godard. Die Wege von Eicher und Godard sollten sich später noch öfter kreuzen, eine andere Geschichte. Die Arbeit war schnell getan, Jarrett und Eicher hatten jede Menge Studiozeit übrig, man war von dem Klang des Instruments begeistert, und entschloss sich aus dem Moment heraus, Musik aufzunehmen.
Es enstand das Doppelbum „Staircase“. Wolfgang Sandner schreibt dazu: „Alles, was Jarrett in den elf Stücken erklingen lässt, besitzt Körperlichkeit. es gibt keine flachen Töne, nur runde, eckige, kubusartige, voller Tiefenschärfe. (…) Der zweite Teil des Titelstücks ist ein einziger Klangrausch, bei dem dennoch jeder Ton für sich erkennbar bleibt. Dann aber verdichtet sich das polyphone Spiel Jarretts in einer Weise, als erklängen die Glocken aller orthodoxen Kirchen im altslawischen Kiew auf einmal. Eigentlich reichen zwei Ohren nicht ais, alles zu erfassen, was da aus dem Korpus dringt.“ Versuchen wir es trotzdem, mit zwei Ohren …
Keith Jarrett: Staircase (2)
Mit Keith Jarrett durch die 70er – die Radionacht Klanghorizonte nähert sich lamgsam der Morgendämmerung. Ich bin am 18 August wieder hier, ab dann sind die alle zwei Monats zu hörenden Klanghorizonte fünf (!) Stunden lang, und gehen von 1.05 Uhr bis 6.00 Uhr. Das wird ein Spass werden. Die Milestones wandern wieder in die Abendstunden, dort stelle ich Ihnen Keith Jarretts „Solo Concerts Bregenz – München“ vor aus dem Jahre 1981. Schliesslich war der Zauber Ende der Siebziger noch lange nicht vorbei. In diesem Jahr ist Keith Jarrett 70 Jahre alt geworden, und das jüngst veröffentlichet Pianosoloalbum CREATION zeigt, in aller Ruhe und Intensität, dass sein kreatver Elan keineswegs versiegt ist.
Zum Abschluss DAS Meisterwerk des amerikanischen Quartetts von Keith Jarrett, mit Dewey Redman, Charlie Haden und Paul Motian. The Survivors‘ Suite. Es enstand im April 1976 im Tonstudio Bauer in Ludwigsburg. Und auch wenn ich Wolfgang Sandners jüngst erschienene Jarrett-Biografie aufgrund leicht überbordender Heldenverehrung teilweise nur mit einem Keith Jarrett-artigen, aber nicht lustvollen, Stöhnen goutieren kann – bei den Beschreibungen etlicher Klassiker des Jarrett-Werkeverzeichnisses liegt er, aller barocken Sprachfülle und ungebremster Euphorieattacken zum Trotz, in der Sache richtig. Was an Jarretts Orgelspiel in Ottobeuren allerdings so zauberhaft sein soll, werde ich nie begreifen. Und noch eins: Ikonisierungen behindern die natürliche Begegnung mit kreativen Schöpfungen, man miss nicht gleich immer alles an die Seite der Mona Lisa rücken. Etwas weniger Weihrauch schärft die Sinne.
Aber nun zur Survivors Suite. Hier durchdringen sich afrikanisches Erbe, Free Jazz, Gospelflair, tiefe Versenkung, reinste Melodienlust und hymnische Ekstase. Ich hatte das Glück, dieses Quartett bei einem seiner letzten Auftritte beim Jazzfestival OST-WEST in Nürnberg zu erleben, und es wird mir, obwohl ich ziemlich weit hinten sass, als eines der intensivsten Konzerterlebnisse meines Lebens im Gedächtnis bleiben. Am Mikrofon bedankt sich Michael Engelbrecht für Ihr Dabeisein. The Survivors Suite. Beginning.
Keith Jarrett: The Survivors Suite
–
Nachklang: Ich habe nur wenige Kürzungen und Änderungen vorgenommen. Radiomoderationen, improvisiert oder notiert, unterscheiden sich zum Glück von Texten für Zeitschriften, Bücher etc. So entgehen einem beim Lesen solcher Transkripte natürlich jede Menge Zwischentöne.
2015 21 Juni
Around Whiplash: the passion of drumming, the freedom of story-telling, and the jazz police
Michael Engelbrecht | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | 4 Comments
Andrew is an ambitious young jazz drummer, single-minded in his pursuit to rise to the top of his elite east coast music conservatory. A nightmare starts. When the jazz police had seen the movie, the right-wing academics of all colors saw their hour coming with furious responses that revealed a fair „amount“ of emotional intelligence. Lobbyists are lobbyists and thus a bit limited in their perception. The film was just telling a story, and a really good and complex one. And it would equally have succeeded in every other scenery, in an opera house, a sports agency, or a psychiatric clinic. Now comes the good news. Not all jazz drummers or teachers felt insulted. Exclusive to the Blu-ray is a 42-minute documentary featuring famous drummers who share stories and discuss their passion for the craft including the wonderful Chad Smith (one of my favourites), Peter Erskine, Gina Schock, Diane Perry and many more.
Poems vs. song lyrics?
Ian wrote today about his interest in art. Let me add that I agree and apart from the odd exhibition in some museums I never quite came to understand art. Modern art that is, like Damien Hirst for example is usually above me.
I can also admit that apart from the odd poem I had to learn and analize (= write about!) in school I never had an interest in poems … but just now, having turned fifty some month ago (ha!) I must admit that now I find an almost serene comfort in poems by Hilde Domin, Nelly Sachs and so on. – Having read books about Hilde Domin and Nelly Sachs and the life they lead it’s quite interesting to see how they developed a way to overcome their personal fate (Hilde Domin had to flee from Germany during the second world war) and express the unsayable.
Having said this, instead of having an interest in poems I always had an interest in song lyrics, which since my youth on seemed sometimes to reflect certain thoughts I had and couldn’t quite articulate in my own words. I vividly remember hearing Leonard Cohen singing „The Night Comes On“ for the first time (and recently on his new live album which was released some weeks ago made me think about it again) and I perfectly understood how it was for the person he sung about, the mother lying in her grave „under the marble and the snow“ and her advice for him to just go on (in life, that is I guess), „my shawl wrapped around you / my hands on your head when you go“. My personal life was in disarray at the time and I remember now that I suddenly understood that song lyrics (or, speaking in general terms music) can comfort me much more than any spoken words of condolence.
Some years ago many artists decided to collect their song lyrics in books. Perhaps it would be too easy (and sarcastic) to just suggest that they want to cash in on the money of their die-hard fans who want to collect everything from their favourite artists even though they already own all the lyrics in the booklet of the CD or the dustjacket in which the vinyl is safely stored. Paul McCartney, Bob Dylan and Leonard Cohens have already offered their lyrics to buy in book form.
I cannot count the times Bob Dylan was nominated for the Nobel Prize in literature …, so there must be a point in reading and enjoying song lyrics as I do.