Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

Unzählige Mädchen meines Studiengangs stürzen sich auf die Seminare über mittelalterliche Liebeslyrik. Hohe Minne, niedere Minne: Verse über schöne Frauen, deren Tugenden, ihre roten Lippen, und glänzendes Haar.

Während meine Kommilitoninnen um mich herum dahinschmelzen, lässt mich dieses aussichtslose Schwärmen um die Damen des mittelalterlichen Hofes eher kalt.

Betrachten wir den Komplex der Minnelyrik doch einmal ganz nüchtern. Ein Sänger beobachtet eine Frau aus sicherer Entfernung. Er bewundert ihre Anmut und ihre Schönheit und dichtet deshalb süße Zeilen über seine Herzensdame. Natürlich ist ihm bewusst, dass er niemals ihre Gunst gewinnen wird. Er beklagt sein Leid, aber dennoch verspricht der Verliebte, niemals mit seiner Werbung aufzuhören, denn neben der Qual der unerfüllten Liebe bereitet es ihm größte Freude, diese unnahbare Frau zu ehren.

Wie rührend! Das muss wahre Liebe sein!“ – finden die Teilnehmerinnen des Seminars. Mir fällt dazu leider nur ein Wort ein: Stalking.

Ein Mann, der geradezu fanatisch an einer Wunschvorstellung festhält, obwohl er selbst bereits erkannt hat, dass es eben nur ein Wunsch ist und bleiben wird. Trotz dieser Erkenntnis lässt er nicht davon ab, sein Objekt der Begierde zu beobachten bis er jedes Detail über sie in Erfahrung gebracht – und natürlich besungen – hat.

So romantisch einige Menschen diesen Gedanken finden, mich schreckt es eher ab. Nicht, dass ich keinen Sinn für Romantik habe – ganz im Gegenteil. Allerdings muss ich zugeben, dass Punk-Poeten wie Blink182 ihre Gefühle auf eine schönere Art ausdrücken, wenn sie wie in „Rock Show“ das wunderbare Mädchen besingen, das von der Schule geflogen ist und mit dem sie nach Vegas ziehen wollen.

This entry was posted on Mittwoch, 3. Juni 2015 and is filed under "Blog, Musik aus 2012". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

10 Comments

  1. Martina Weber:

    Auch ich habe eines dieser Minnesangseminare besucht, allerdings nicht aus Begeisterung an dieser Form der Verehrung, sondern weil es Teil des Studienplans war. Nietzsche sei Dank habe ich das Germanistikstudium ja hingeschmissen. Abgesehen davon, dass ich weder Althochdeutsch noch Mittelhochdeutsch besonders interessant fand, hat mich die Minnelyrik ebenfalls angenervt. Ich kenne in meinem Jahrgang keine Frau, die die Minnelyrik aus grundsätzlichen Überlegungen her gut findet. Inzwischen hat es sich nämlich herumgesprochen: Es geht dem Sänger nämlich gar nicht um Frau. Beim Minnesang handelt es sich letztlich um ein Spiel. Und zwar keines zwischen einer Frau und einem Mann, sondern es geht um einen Wettkampf unter Männern, nämlich darum, wer der beste Sänger ist. Ich fand es so öde, dass ich mit dem Schulabbrecher in unserem Kurs nach Las Vegas gereist bin.

  2. Martina Weber:

    Und selbst wenn es dem Sänger um die Frau gegangen wäre, hätte es mich nicht interessiert. Finde es sehr gut, dass ich nicht während des Mittelalters geboren wurde. Ich glaube, ich wäre da nicht besonders glücklich gewesen.

  3. Martina Weber:

    Hier gibt´s die lyrics zum girl from the rock show. cool :), much better than walther von der vogelweide:
    https://www.youtube.com/watch?v=b2-frR11uP4

  4. Lajla nizinski:

    Ha Micha, hast du meine Magisterarbeit über den Minnesänger Regenbogen in irgendeiner verstaubten Bibliothek gefunden? Ich hatte Handschriften über seine Lieder aus aller Welt angefordert und dann eine eigene hochdeutsche Version verfasst.
    Der Minnesänger konkurriert immer mit dem Gemahl, der meint, dass seine Auserwählte neben ihm liegt und schläft, sie steht aber am Fenster und hört den schmeichelnden Worten des Sängers zu. Als mich meine Mutter im 15.Jh an den Minnesänger vergab, war ich über ihre Wahl sehr glücklich:)

  5. Michael Engelbrecht:

    Ha, Lajla,du hältst das wieder für einen Trick von mir, ich bin aber nicht Barbara Gremm, und habe ihren Text (der per Mail zu mir kam) nur gepostet. Barbara Gremm arbeitet gerade an ihrer Bachelor-Arbeit über die „künstlichen Welten von Stephan George“, rückt also auch damit in den Kreis einer potentiell neuen Manafonistin (versinkt aber derzeit in eben diesen künstkichen Welten).

  6. Lajla nizinski:

    Ja, auch very tricky der Vornamenverwechsler. Götz.

  7. Michael Engelbrecht:

    Götz?

  8. Michael Engelbrecht:

    Und, Ladies, ich kenne keine Punkpoeten wie Blink182, das ist überhaupt nicht meine Musik.

  9. Jochen:

    Modern Stalking (Genre: modernder Minnesang) … ;)

    PS: Dann gehöre ich wohl auch zu den „fortgeschrittenen Manafonistas“ (Martina), denn Michas Sprachductus war hier ad hoc entlarvt.

  10. Michael Engelbrecht:

    Watson is wrong.


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