Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2015 25 Mai

Tramway (B-Side)

von: Wolfram Gekeler Filed under: Blog | TB | 6 Comments

Lieder, Gedichte und Geschichten über, aus und um Straßenbahnen
 
 
Aus der Mixtape-Kiste
 
Tracks:
 
15 Straßenbahnlinie 3 – Hildegard Knef
16 Tram – Igor Letov
17 Olgaeck – Füenf
 
 
„Dicht wie Löcher eines Siebes stehn
Fenster beieinander, drängend fassen
Häuser sich so dicht an, dass die Straßen
Grau geschwollen wie Gewürgte stehn.

Ineinander dicht hineingehakt
Sitzen in den Trams die zwei Fassaden
Leute, ihre nahen Blicke baden
Ineinander, ohne Scheu befragt.“

 
Alfred Wolfenstein (1883-1945), Städter (1914)
 
 

Karl Marx on a tram

 

Er stieg jeden Morgen an der gleichen Haltestelle zu, eigentlich unscheinbar, mit Brille und Aktentasche, insgesamt beige wirkend. Vielleicht hätte ich ihn nie bemerkt, wenn nicht manchmal, nämlich dann, wenn sie verschlafen hatte, auch Claudia J. aus der 8b an dieser Station eingestiegen wäre. Das kam selten genug vor, und noch viel seltener setzte sie sich auf den Platz neben mir, den ich mit Schultasche, Hausaufgaben und Turnbeutel für sie freigehalten hatte. Wir begannen dann mit unserer Unterhaltung, die in der Regel aus einem Hallo hin und einem Hallo her bestand, was für das wochenlange Sitzfreihalten zwar etwas wenig an verbaler Kommunikation darstellte, aber ich war auch nonverbal glücklich an diesen Tagen. Für den beigen Stammfahrgast hatte ich dann keine Zeit; aber an all den claudialosen Tagen erhielt er meine Aufmerksamkeit und auch Hochachtung; beim Einsteigen begrüßte er nämlich die Umsitzenden jeden Morgen freundlich mit den gleichen Worten: „So, müssa mr wiedr!“ (mehr mit Ausrufe- als mit Fragezeichen). Spätnachmittags bei der Heimfahrt sah ich ihn nur, wenn ich Sportunterricht hatte. Das war am Donnerstag, aber ich bin sicher, dass er an den anderen Wochentagen beim Einsteigen das gleiche sagte: „So, hemmr s wiedr!“

Das war meine Einführung in die Philosophie von Karl Marx (und Ernst Bloch); nie fand ich etwas in ihr so leicht zu verstehen wie die Theorie vom Reich der Notwendigkeit und dem Reich der Freiheit. In beiden lebt der Mensch, muss es auch, meistens jedenfalls.

 
Tracks:
 
18 Liebe kleine Schaffnerin – Manfred Krug
19 Passo a prenderti col tram – Fabrizio Emigli
20 Man on a tram – Bedroom Philosopher
21 Gablenberg – Füenf

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6 Comments

  1. Lajla Nizinski:

    Du meinst also, es war notwendig, dass der FCK auf dem schlimmsten aller Plaetze landen musste, damit er in der naechsten Saison frei zum Aufsteigen ist?

    Welch Trost! ;)

    Wir kennen Manfred Krug als Schauspieler, er hat ausserdem viele kleine, lebensnahe und lebensfrohe Gedichte geschrieben. Singt er auch?

  2. Jan Reetze:

    Ja, Lajla, Manfred Krug singt auch, und nicht mal schlecht.

    Meine Empfehlung wäre noch immer diese CD hier, die seine ersten beiden LPs aus seiner DDR-Zeit zusammenfasst, entstanden 1975 und 1976 mit der Big Band von Günter Fischer. Mit Jazz hat das eher wenig zu tun, aber wenn alle Schlager dieses Niveau hätten, wäre das erfreulich.

  3. Uwe Meilchen:

    Abzuraten ist allerdings von dem neuen Album, das Manfred Krug 2014 veroeffentlicht hat; Duette mit Uschi Brüning, die m.E. nicht an die Pracht der alten AMIGA-Einspielung heranreichen.

  4. Michael Engelbrecht:

    War Manfred Krug da nicht viel zu tot, um es zu veröffentlichen?

  5. Wolfram Gekeler:

    @Lajla: „Ich komme aus Marokko, ich lebe in Deutschland, ich liebe diese Stadt, ich liebe Fußball!“ (Darmstädter Fan in den Abendnachrichten am 25.05.15). Wenn du ihn zufällig in seiner Begeisterung auch gesehen hast, dann wird das ein kleiner Trost gewesen sein. Zugegeben, dich hat es als einzige von uns hart getroffen. Gregor und ich wurden für den Stress wenigstens belohnt.

    Manfred Krug wurde als Sänger im Westen erst in seiner Rolle als Kommissar Stoever im Tatort bekannt. Es hatte rein zufällig mit einer kleinen Klimperei begonnen. Krug und sein Kollege Charles Brauer gaben fortan in jeder ihrer Tatort-Folgen ein Liedchen zum Besten. Mal passte es mehr, mal weniger, aber stets kam dabei ein surrealistisches Element in den Film, was ihm oft gut tat. Und „Corcovado“, von Krug hingehaucht, und Brauers Mundharmonikaspiel hatten durchaus Qualität. In ihrer letzten Tatort-Folge wurden sie sogar vom Hamburger Polizeiorchester begleitet.

    Zum Thema „Jazz in der DDR“ gibt es ein Buch von Rainer Bratfisch: „Freie Töne“.

    Zum Thema „Singende Tatort-Kommissare“ sind mir so an die 20 eingefallen. Es scheint eine sangesfreudige Berufsgruppe zu sein. An singenden Psychoanalytikern kenne ich bei Weitem nicht so viele. Eigentlich gar keine. Wahrscheinlich alles wegsublimiert.

  6. Lajla Nizinski:

    Jan, Uwe & Wolfram: danke für die Tipps. Unübersehbar, dass ich wenig Tatort-Erfahrung habe. Wahrscheinlich singt inzwischen Götz George den Schimanski-Blues.


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