Lieder, Gedichte und Geschichten über, aus und um Straßenbahnen
Aus der Mixtape-Kiste
Tracks:
15 Straßenbahnlinie 3 – Hildegard Knef
16 Tram – Igor Letov
17 Olgaeck – Füenf
„Dicht wie Löcher eines Siebes stehn
Fenster beieinander, drängend fassen
Häuser sich so dicht an, dass die Straßen
Grau geschwollen wie Gewürgte stehn.
Ineinander dicht hineingehakt
Sitzen in den Trams die zwei Fassaden
Leute, ihre nahen Blicke baden
Ineinander, ohne Scheu befragt.“
Alfred Wolfenstein (1883-1945), Städter (1914)
Karl Marx on a tram
Er stieg jeden Morgen an der gleichen Haltestelle zu, eigentlich unscheinbar, mit Brille und Aktentasche, insgesamt beige wirkend. Vielleicht hätte ich ihn nie bemerkt, wenn nicht manchmal, nämlich dann, wenn sie verschlafen hatte, auch Claudia J. aus der 8b an dieser Station eingestiegen wäre. Das kam selten genug vor, und noch viel seltener setzte sie sich auf den Platz neben mir, den ich mit Schultasche, Hausaufgaben und Turnbeutel für sie freigehalten hatte. Wir begannen dann mit unserer Unterhaltung, die in der Regel aus einem Hallo hin und einem Hallo her bestand, was für das wochenlange Sitzfreihalten zwar etwas wenig an verbaler Kommunikation darstellte, aber ich war auch nonverbal glücklich an diesen Tagen. Für den beigen Stammfahrgast hatte ich dann keine Zeit; aber an all den claudialosen Tagen erhielt er meine Aufmerksamkeit und auch Hochachtung; beim Einsteigen begrüßte er nämlich die Umsitzenden jeden Morgen freundlich mit den gleichen Worten: „So, müssa mr wiedr!“ (mehr mit Ausrufe- als mit Fragezeichen). Spätnachmittags bei der Heimfahrt sah ich ihn nur, wenn ich Sportunterricht hatte. Das war am Donnerstag, aber ich bin sicher, dass er an den anderen Wochentagen beim Einsteigen das gleiche sagte: „So, hemmr s wiedr!“
Das war meine Einführung in die Philosophie von Karl Marx (und Ernst Bloch); nie fand ich etwas in ihr so leicht zu verstehen wie die Theorie vom Reich der Notwendigkeit und dem Reich der Freiheit. In beiden lebt der Mensch, muss es auch, meistens jedenfalls.
Tracks:
18 Liebe kleine Schaffnerin – Manfred Krug
19 Passo a prenderti col tram – Fabrizio Emigli
20 Man on a tram – Bedroom Philosopher
21 Gablenberg – Füenf