„In Zeiten als Bild- und Musikmaterial noch auf Zelluloid und Vinyl bzw. Magnetbändern gespeichert wurde, filmte unser Klassensprecher Horst 1972 unsere Klassenfahrt nach London in Super 8. Jahre später, Anfang der 80ger Jahre filmte ich mit meiner stolz erworbenen VHS-Videokamera den Super 8-Streifen von der Leinwand ab. Gleichzeitig wurde mit Hilfe von Tonbandgerät, Cassettenrekorder, Plattenspieler und einem rudimentären Mini-Mischpult die Musik der 70ger-Jahre dem Filmmaterial unterlegt. Diese vertonte VHS-Version ruhte bis zum Beginn der Digitatisierung von Speichermedien im Regal und verlor aufgrund der räumlichen Nähe zu Lautsprecherboxen leider etwas an Qualität bzw. setzte eine Patina der Ära vor Beginn der Zeitrechnung in Bits und Bites an. Vor dem endgültigen Exitus wurde altes VHS-Material mit Hilfe eines DVD-Rekorders digitalisiert und auf DVD gebrannt.“ (Klaus Schäfer)
„Jean Luc Godard hat einmal gesagt, Kino bedeute, dem Tod bei der Arbeit zuzusehen. Er meinte da nicht etwa die Häufung von Todesfällen in Kriminalfilmen, sondern das Beobachten der Verwandlung von Gesichtern im Laufe der Zeit. Das Älterwerden. Nun hat es niemand von uns zur Schauspielerei gebracht, aber klar ist, dass einen, schon beim wiederholten Betrachten des Filmes über die Jahre hinweg, ein kleiner Schauer befallen kann: lang ist’s her!
Unser damaliger Klassensprecher hat hier einen Film abgeliefert, der sich vordergründig an alle Konventionen hält: Sehenswürdigkeiten in London und um London herum, kleiner Schabernack (Taubenfüttern am Trafalgar Square), ein etwas obsessives Abfilmen der „Bobbys“ (Buckingham Palast, „Changing of the Guards“ etc.) – und natürlich kommt auch „unser“ Dr. Egon Werlich öfter ins Bild, ganz und gar als Gentleman, umgeben vom hippiesken Outlook der Zeit.
Das Besondere steckt im Detail: fremde Gesichter, die kurz durchs Bild huschen, kleine Szenen am Rande, Dinge, die erst beim zweiten Gucken auffallen. Da ist auch einmal – endlich – eine Mädchenklasse, die uns fröhlich zuwinkt (und modisch alle Erwartungen jener Jahre erfüllt – eine der wenigen Szenen, in denen mal Girls auftauchen, ein kleiner Trip ins abendliche Soho hätte dem Film sicher gut getan!:). Oder ein Abstecher in den Marquee Club.
Bereichernd auf jeden Fall: der Soundtrack der Zeit, den Klaus im nachhinein und in minutiöser Kleinarbeit hergestellt hat, so erhält der Film Rhythmus, etwas mehr „Drive“, und Struktur. Bei dem flotten, jazzigen Stück (ist das die Gruppe „Nice“?) scheinen die Autos schneller zu fahren, der Film kriegt fast Slapstick-Tempo. Einige Songs erinnert man allenfalls flüchtig, andere sind Evergreens geworden.
Die Beatles waren 1972 schon zwei Jahre Geschichte, die ersten Strassenmusikanten nahmen „Heart of Gold“ in ihr Repertoire auf (oder war es dafür noch etwas zu früh?), in Deutschland prägten Kraftwerk und Can den „Underground“, eine junge Liedermacherszene liess aufhorchen, in London avancierte Roxy Music zum letzten Schrei (im Juni 1972 erschien ihr Debutalbum), und der Produzent Manfred Eicher veröffentlichte in jenem Sommer auf seinem Label ECM Chick Coreas Meilenstein „Return To Forever“.
Wir waren übrigens in jenen Tagen in London, als Deutschland in einem berühmt gewordenen Länderspiel England im Wembleystadion 3:1 besiegte (mit Overath und Netzer). Bei dieser Klassenfahrt der OIc bin ich leider nur kurz dabei gewesen. Mit hohem Fieber und anderen Unlustigkeiten wurde ich mit dem Flugzeug nach drei Tagen in die Heimat befördert, aber immerhin komme ich einmal auf der Überfahrt von Calais nach Dover ins Bild, als langhaariges Gespenst an der Reling. Those were the days.“ (M.E.)