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2015 19 März

Whiplash

von: Jan Reetze Filed under: Blog | TB | 15 Comments

 
whiplash
 
 
 
Messerscharf. Keine Szene und kein Dialog zuviel. Keine ueberfluessige Sekunde.

Mit diesem Stoff koenntest du in Deutschland jahrelang von einer Produktionsfirma zur naechsten und von einem Sender zum naechsten laufen. Niemand wuerde diesen Film machen.

Deswegen interessiert sich in den USA kein Hund fuer deutsche Filme. Und das ist in Ordnung so.
 

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15 Comments

  1. Henning Bolte:

    Dieser Film ist international in Musikerkreisen heftig angegriffen und heftig diskutiert worden. Ich kenne keinen einzige Stimme aus diesem Bereich, die den Film verteidigt oder gar gelobt hätte.

  2. Henning Bolte:

    Mit der Vermarktung von Kulturprodukten, die nicht aus den USA kommen, ist es so eine Sache. Für europäische Musiker und Gruppen ist es praktisch unmöglich, gewinnbringend in den USA zu spielen. Meistens müssen sie wegen der hohen Schranken draufzahlen. Umgekehrt ist noch immer das krasse Gegenteil der Fall. Musiker und Gruppen und Gruppen aus den USA werden höher bezahl als Einheimische UND sie profitieren von der europäischen Kulturförderung. Es wird von der europäischen Unterhaltungsindustrie und den Bonzen aufrecht erhalten und gepflegt. In der klassischen Musik und besonders im Opernbetrieb ist das wohl anders.

  3. Michael Engelbrecht:

    Völlig ungeachtet, was hier kulturell korrekt ist oder nicht: ein ganz fesselnder faszinierender Streifen, ohne ein Gramm Fett.

    „The most immersive film experience since Gravity“, bemerkte die schlaue Filmkritikerin Catherine Shroud im Guardian, und obwohl ich öfter (ich bin ja auch schlau:)) ganz anderer Meinung als Mrs. Shroud bin: ja, das passt, Gravity ist bei mir auch noch mächtig gestiegen in der Achtung, als ich es mit einem guten Soundsystem sah.

    Whiplash verwandelte Zeit in einen Flug, und die Kritik mancher Jazzmusiker halte ich für klein und kariert. Für sehr klein, und sehr kariert. Entschuldigung, aber „wütende Debatte“: da nehmen sich ein paar Geschulte doch zu wichtig. Wütend durfte man werden, als Ken Burns mit Wynton Marsalis nur brunzblödes Geschwätz von sich gaben, was Free Jazz, Sun Ra und den elektrischen Miles betraf.

    Aber hier, bei Whiplash … es darf gelacht werden. Da kommt mal grosses Jazzkino daher, grossartig performt, mit klugen roten Fäden, mit der Kunst, auch Jazzfremde anzulocken, dann gibt es „wütende Debatten“ …

    Aus Deutschland kommt viel zu selten ein Film, der einen aus den Schuhen haut. Von Serien ganz zu schweigen. Ich muss schwer nachdenken, wann ich den letzten grossen deutschen Kinofilm gesehen habe. Ich kann mich nur an den einen oder andern erinnern, der, na ja, ganz gut war …

    Deutsches Kino ist oft gespreizt, pseudofiefsinnig, kunstverkrampft, formal anstrengend, Stoff für Seminaristen, und, ja, oft genug, der letzte Scheiss.

    WOLKE 9, dieses besonders gequirlte Problemgewälze, ist ein Prototyp der angestrengten Dämlichkeit, und keinen Deut diesem Feelgoodscheiss made in deutschen Landen überlegen. Dieselben Verklemmungen.

  4. Michael Engelbrecht:

    Und, Jessica Hausner ist nun ja mal Österreicherin, die Zeit des Anschlusses ist, glaube ich, vorbei. Und dieser Film hat durchaus einige differenzierte Verrisse erhalten, siehe Faz.net. Der Trailer macht mir schon mal klar: das ist ein Film für Herrn Kriest, bestimmt nicht für mich. Und das spricht jetzt weder für noch gegen den Film.

    Grosses Kino der letzten Zeit:

    Birdman, Whiplash, A Most Violent Year, Inherent Vice.

  5. Henning Bolte:

    The art of making good movies with cheaply cliché bullshit story lines – die Kacke fliegt mal wieder …

  6. Lajla Nizinski:

    Deutsche Filmwueste waere zu streng, es gibt ein paar Oasen besonders aus den 2013-er Jahren:

    Oh boy Jan Ole Gerster
    Banklady Christian Alvart
    Wolfskinder Rick Ostermann
    Die Vermessung der Welt
    Detlev Buck
    Gold Thomas Arslan
    Layla Fourie Pia Marais Co-Produktion D NL F SA
    More than honey
    Markus Imhoof [Schweizer]

  7. Jan Reetze:

    Lajla, ich würde die Filme gerne sehen. Aber sie kommen hier nicht her, selbst wenn sie auf Englisch gedreht sind. Man darf New York nicht mit dem Rest der USA verwechseln. Dort läuft maches in irgendwelchen Arthousekinos, was sonst nirgendwo hinkommt. Dort konnte Kraftwerk auch achtmal das MoMA füllen, letztes Jahr in Chicago waren sie kaum in der Lage, ein altes Kino zu füllen. Der letzte deutsche Film, der hier in Pittsburgh lief, war Wim Wenders‘ PINA, und der lief bezeichnenderweise nicht im Kino, sondern in einem Theater, und zwar genau einmal. Vor zwanzig Zuschauern.

    Was die Jazz-Debatte betrifft:

    In WHIPLASH geht es gar nicht primär um Jazz. Das ist dieselbe Argumentationsschiene, die regelmäßig nach einem TATORT von der Polizeigewerkschaft kommt. WHIPLASH würde genauso funktionieren, wenn es um einen überambitionierten Friseurmeister und seinen begabten Lehrling ginge. Die Amis wissen einfach (und das bekommst du hier auch im Drehbuchstudium knallhart beigebracht), wie man Geschichten erzählt, und zwar so, dass sie dich zwei Stunden lang in den Sessel nageln. Welche Argumente ich von deutschen Produzenten zu hören bekäme, weiß ich genau: Schöne Geschichte, aber zu aufwendig. – Zu weit draußen. – Die Geschichte ist doch völlig unglaubwürdig. – Jazz? Um Gottes Willen, wer hört sich denn sowas noch an? – Dafür gibt es kein Publikum. – Ich weiß gar nicht, welchem Sender ich das anbieten sollte. – Undsoweiterundsofort. Mit solchen Schreiben kann ich den Korridor tapezieren.

    Das Elend in Deutschland ist, dass schon lange nicht mehr Produzenten die Filme produzieren (und finanzieren!), die sie wirklich machen möchten, sondern schon längst die Filmfördergremien entscheiden, welche Filme finanziert werden. In die steigt dann auch das Fernsehen ein. Und die müssen dann dort in bestimmte Reihen passen. Was nicht passt oder passend gemacht werden kann, fällt hinten runter. Und deutsche Produzenten sind es nicht mehr gewohnt, sich das Geld mal woanders holen zu müssen. Und womöglich sogar noch das Risiko eines finanziellen Flops einzugehen.

    Nicht, dass alles in den USA besser ist, aber manches schon.

  8. Karsten:

    Meine Meinung zu Whiplash: mitreißender, kurzweiliger Film, super Schauspieler, eine Botschaft, die ich nicht teile; Jazz kommt übrigens nicht drin vor.

  9. ijb:

    „BIRDMAN ist nett, aber letztlich bedeutungslos“ – Endlich sagt das auch mal jemand. Ich bin beruhigt. Auf einem anderen Blatt Papier steht, dass man auch „Love Steaks“ etwas müde finden kann. Mich hat der gelangweilt. Ein kleiner netter Film, ja, aber kein Wunder.

    Was Jan Reetze schreibt, kann ich aus in Deutschland Filme machender Perspektive gut nachvollziehen und mit eigenem Erfahrungshorizont bestätigen. Gut zusammengefasst. Ansonsten kann ich mich auch Karstens Kurzkritik gut anschließen. Full Metal Jacket kam mir selbstredend auch in den Sinn. Warum auch nicht? :-)

  10. Michael Engelbrecht:

    Eine sehr angemessene und ohne müdes Pastiche-Geschwafel auskommende Besprechung des großartigen neuen Filmes von J.C. Chandor heute in der SZ, von Susan Vahabzadeh.

  11. Michael Engelbrecht:

    Sehr schön. Es lebe die Vielfalt.

  12. Michael Engelbrecht:

    Richtig gut ist auch der Soundtrack von A MOST VIOLENT YEAR….Martin Scorsese hat früher leider des öfteren die Tonspur vollgeballert mit Songs. Hier geschieht es viel spartanischer.

    „Cinematographer Bradford Young, who performed nostalgic wonders with 35mm stock on David Lowery’s Ain’t Them Bodies Saints, here opts for yellow-tinged “scope digital” to capture the chilly vistas of New York’s underworld (with added Detroit grime), the brisk exteriors arrestingly counterposed against brooding interiors. An angsty synth-inflected score from Alex Ebert, who cites synthpunk band Suicide as a tonal touchstone, evokes the period milieu without recourse to plastic pastiche.“ (Mark Kermode)

  13. Lajla Nizinski:

    @Jan, ja das kommt mir bekannt vor. Ich war mal teacher assistant an der USC in L.A.[1980] und zeigte in einem Seminar ueber neuen deutschen Film: Der junge Toerless von Schloendorff. 5! Studis kamen damals.
    @ Ulrich, ich habe NORTE in einem Filmkunstkino in Ddorf gesehen.Hat Stuttgart keine Artkinos?

  14. Michael Engelbrecht:

    Wohlfühl-Arthaus-Mainstream, eher nicht. Die drei Filme in so eine Rubrik packen, ist so, als würde man Jamie Cullum, George Winston und Craig Taborn als „good-feel musicians“ bezeichnen. Der Vielfalt halber diese feine Perspektivverschiebung („review“) bzgl. BIRDMAN, die einiges auf den Punkt bringt, und nicht mit Klischee-beladenen Allzweck-Hülsen für erfolgreiche Filme hantiert:

    „Mixing magical realism with some very dark doses of black comedy, the film adopts a feverish Black Swan-type vibe as Thomson angrily struts from one crisis to the next, not the least of which is the advent of an acid-blooded theatre critic.

    There’s no shame in saying that the style of this film is a big part of its appeal. Inarritu (who co-wrote with Nicolas Giacobone Alexander Dinelaris Jr. & Armando Bo) conceives the story as a prolonged anxiety nightmare of conflict, self-doubt and impending doom. Set in and around the theatre, the film is made to look as if it was filmed entirely in one unbroken, physically impossible tracking shot.

    Had the film been made in a more conventional style its impact would no doubt have been diminished. Continuous shots, when done properly, build tension as they are free of the attention-breaking effects editing can have.

    And this is masterfully done. Prepare to be enthralled, dazzled, delighted and disturbed.“

    – Jim Schembri

    Dagegen ist „3 Herzen“ ein stümperhafter Film, in dem die Liebenden eben auch an einem hanebüchenen Drehbuch scheitern. Das alles in einen Topf zu werfen, alle Achtung.

  15. ijb:

    zu „Love Steaks“: In der Tat, das war nett. Und ohne Frage gut, dass solche Filme auch mal wahrgenommen werden. Andererseits ist es dann halt leider wieder so, dass so ein Film völlig über den grünen Klee in den Himmel gehoben wird, nicht nur einen, sondern alle vier Nachwuchspreise beim Münchner Filmfest erhält, neun Monate später beim sich „Premierenfestival“ schimpfenden Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken eben jenen Hauptpreis nachgeworfen bekommt – und eine Nominierung zum Deutschen Filmpreis obendrein. Neben wer weiß noch was allem. Das nimmt dann oftmals gleich so abstrus überhand (und da hätte ich noch ein paar ähnliche Beispiele zur Hand), dass es wiederum ärgerlich und frustrierend ist, wenn andere Filme, die mit Sicherheit nicht weniger gut/ gelungen/ sehens-, diskussions- und „preiswert“ sind, ungerecht hinten runter fallen und mit Missachtung gestraft werden. Einfach auch deshalb, weil die Lass-Brüder auch eine gute Vermarktungsmaschinerie zu bedienen wissen und entsprechende Leute in entsprechenden Positionen zur Hand haben. Da wird dann nicht nur einer ihrer Filme derart herumgereicht, sondern läuft der nächste gleich bei Spiegel Online. Und so weiter. Ich merke oft, wie der Satz „Qualität setzt sich durch“ auch nur ein koketter Spruch derjenigen ist, die es eben schon geschafft haben. Insofern: Nett, ja.

    Ein (hoffentlich) vermittelnder Nachsatz zu „Birdman“ auch nochmal von mir: Ich (und meine drei Mit-Schauer) wurde(n) blendend von dem Film unterhalten, und Jim Schembris Aussagen lassen sich durchaus bestätigen. Andererseits gibt es genügend nicht zu Ende gedachte Elemente in dem Film, von denen vor lauter (ich sag mal provokant: (denn ich mag den Regisseur durch sein Werk hindurch sehr gerne, trotz kritischer Bewunderung)) Bravado und technischer Brillanz mehr oder weniger geschickt abgelenkt wird. Das ist keine Kritik, soll nur sagen, dass der Film mehr glänzt als Echtgold ist. Um zwei frühere Bälle aufzunehmen: Kein Vergleich zur wirklichen Regiemeisterschaft von „Inherent Vice“, der bestimmt in zehn, fünfzehn Jahren noch hochgeschätzt werden wird (wobei ich persönlich gestehe, dass er mich nicht so berührt hat wie viele andere Zuschauer und wie andere P.T.Anderson-Filme), wogegen ich vermute, dass man „Birdman“ in zehn Jahren eher als überschätzt empfinden wird. Erstaunlich dagegen, in welchem Ausmaß noch vor wenigen Jahren Iñarittus voriger Film „Biutiful“ ungerecht niedergeschrieben wurde. Der eine unverhältnismäßig unterbewertet (in Cannes war er damals im Kritikerspiegel der schlechteste Film des Jahres, mit ca. 0,9 von 10 Punkten), dem anderen erstaunlicherweise durch die Bank weg grobe Löcher und Unausgewogenheiten nachgesehen. (Zur Sicherheit betone ich noch einmal, dass er mich äußerst gut unterhalten hat. Noch einmal anschauen wollte ich ihn jedoch erstmal nicht, im Gegensatz zu „Inherent Vice“, mit dem ich einfach nicht warm wurde.)


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