Die letzte Single, die ich mir kaufte, war „Wonderful World“ von Black. Single-Charts sind musikalisch schon lange uninteressant geworden; meine großen Singles-Zeiten waren die Teenagerjahre, als Radio Caroline, Europawelle Saar, Radio Luxemburg und BFBS (Top Twenty) dauernd kleine Feuerwerke entfachten.
Wenn man bei Gregor die Jukebox anwirft, ist man plötzlich wieder 17, man möchte die zwei knapp bemessenen Minuten von „Summer in the City“ davon überzeugen, nie vom Plattenteller zu verschwinden, man möchte mit Ray Davies durch die damals schon abgefuckte Carnaby Street laufen und seinem Bruder, diesem „Dedicated Follower of Fashion“, zusehen, wie er sich abgedrehte Klamotten kauft.
Man möchte dem schönsten Girl der Strasse (die leider immer mit einem andern knutschte) die eigene Single-Sammlung zeigen, und sie davon überzeugen, dass bei langsamen Stücken (keine Hemmungen bei „Nights in White Satin“) die Küsse besonders intensiv sind. Transistorradiozeiten, heimliches Hören spät abends, als die Luft unter der Bettdecke oft knapp wurde!
ABBA wurde damals von uns Junghippies verschmäht, galten sie doch nie als Teil der Gegenkultur. Und doch, heimlich musste man sich eingestehen, die hatten was, und heimlich habe ich sie auch genossen, nicht gerade „Waterloo“, aber andere Songs umso mehr. „The Winner Takes It All“ ist genial und tief traurig. Wie bemerkte Jan doch jüngst: „ABBA faszinieren mich tatsächlich immer noch und immer wieder. Keine der beiden Sängerinnen hat für sich genommen eine besonders bemerkenswerte Stimme, aber die beiden Stimmen zusammen können eine Tresortür knacken. Und man muss immer wieder mal zum Kopfhörer greifen, um zu hören, wie raffiniert die Gesangsarrangements und die Abmischungen tatsächlich sind. Dass die es dann noch schaffen, die Texte exakt syllabisch auszunotieren und für den Refrain immer eine Zeile zu finden, die man selbst dann versteht, wenn man kein Englisch kann, und dass das Ganze ins Herz trifft (jedenfalls meistens) – das ist die hohe Schule des Popsongs. Das konnten so perfekt sonst nur noch die Brill-Building-Leute.“
Wie gut, dass es auch anno 2011 immer noch Songs gab, die einen durch Zeit und Raum fliegen lassen, auch wenn sie nicht mehr in kleinen Papierhüllen stecken, und keine Jukebox mit ihnen gefüttert wurde. Killersong Nr.1 meiner damaligen Jahres-Top-10 ist der Titelsong des herrlichen Kate Bush-Albums: manche der 50 Wörter für Schnee wirken so skurril, als hätte Thomas Pynchon daran mitgearbeitet.
Jedenfalls höre ich diese Songs immer noch mit einer ähnlichen Begeisterung wie einst „Haha Said The Clown“ oder „Sunny Afternoon“. Gerade kam der Postbote und brachte Sam Lees neues Album „The Fade In Time“. „Folk full of drama and surprise“ (see comment 2). Fehlt nur noch ein Heimsieg von Borussia Dortmund, und die täglichen Dosenöffner und „Regressionen im Dienste des Ichs“ (Groddeck, alter Psychoanalytiker) wären perfekt.
1) Kate Bush: 50 Words for Snow
2) Brian Eno and the words of Rick Holland: Cloud 4
3) Wilco: One Sunday Morning (Song for Jane Smiley’s Boyfriend)
4) Jeffrey Lewis: Kongru Green Slime
5) The Mountain Goats: Sourdoire Valley Song
6) Bill Callahan: Riding for the Feeling
7) Bon Iver: Michicant
8) Giovanna Pessi / Susanna Wallumrod: Who by Fire
9) Jayhawks: Tiny Arrows
10) Wire: Clay