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2015 9 Mrz

Jazzities (5) – „I’m through with love“

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 39 Comments

Jeder Freund guter Musik kennt den Ausdruck „break-up-Album“. Es gibt solche Trennungsalben in rauer Menge, kitschige (Coldplay), gute (Beck, Richard und Linda Thompson, Dan Michaelson & The Coastguards, und, anno 2015, Björk und Natalie Prass) und grossartige (Marvin Gaye, Bob Dylan u.a.). Aber gibt es solche Trennungsalben (nicht einzelne Schmerzgesänge) auch im Jazz? Das müsste doch der Fall sein. Und keine absolute Ausnahme. Shit happens everywhere. Ich weiss nicht, ob Paul Bleys „Open, To Love“ ein „break-up-Album“ ist, stammt doch der Grossteil der Kompositionen von seinen Ex-Geliebten Annette Peacock und Carla Bley. Trennungsalben könnten im Jazz durchaus heimlicher Natur sein, sie sind nicht unbedingt an Songs und Texten festzumachen.  Also, dies ist die Frage: kennt jemand solche Alben aus der Geschichte des Jazz, in welchen eine Trennung und all die daran gekoppelten Formen des Schmerzes thematisiert sind, offen oder verdeckt? Lassen wir die einschlägigen Frank Sinatra-Alben aus tristen New Yorker Nächten mal aussen vor. Überlegen Sie in Ruhe! Fällt Ihnen etwas ein? Bei mir ist gerade „tabula rasa“.

This entry was posted on Montag, 9. März 2015 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

39 Comments

  1. Ulrich Kriest:

    Interessante Frage. Verarbeitet der Jazz das individuell Biografische so unvermittelt wie der Pop? Und: wo sind die großen Paar-Beziehungen im Jazz, von deren „break-up“ sich zu erzählen lohnte? Ist nicht das Solo-Werk von Robert Wyatt ein einziges „break-up“-Album? Mr. Theweleit, übernehmen Sie!

  2. Henning Bolte:

    haha! Wyatt, Theweleit … .

  3. Henning Bolte:

    Paul hat eigentlich sein ganzes Leben lang Stücke von Annette und Carla gespielt …!

  4. Henning Bolte:

    It’s a bit a weird idea, a jazz album like that … but surely there are reflexes in the music. Maybe “Crepuscule With Nellie“ is a good starting point … And then this story by Nellie about her husband:

    “I used to have a phobia about pictures or anything on a wall hanging just a little bit crooked. Thelonious cured me. He nailed a clock to the wall at a very slight angle, just enough to make me furious. Finally I got used to it. Now anything can hang at any angle and it doesn’t bother me at all.“

  5. Michael Engelbrecht:

    1) aber ganz zu Anfang, recht frisch nach der Trennung, könnte Paul ein Trennungsalbum gemacht haben. Später wären es Alben mit Reminiszenzen und lang verheilten Wunden gewesen?

    2) Der wunderbare Robert Wyatt hat nie ein break-up-Album im engeren Sinne einer Liebesverlustbearbeitung gemacht …

    3) Ich weiss es nur, weil sie es mir erzählt haben, und es ist weitaus mehr Fusion als Jazz: Exploded View von Steve Tibbetts und Marc Anderson ist tatsächlich ein break-up-Album. Ist mir über Nacht eingefallen …

  6. Ulrich Kriest:

    Ich dachte bei Wyatt an das traurige Ende der Affäre mit Soft Machine. Klammert man normative Zwangsheterosexualität einmal aus, sollte auch der Jazz eine paar Geschichten abwerfen.

  7. Michael Engelbrecht:

    Klar, aber break-up-Alben sind ja nun mal per definitionem Trennungszyklen mit verflossenen Hetero- oder Homo-Partnern …

  8. Michael Engelbrecht:

    Ich möchte fast von einer Marktlücke nach Frank Sinatra sprechen :)

  9. Ulrich Kriest:

    Partnern, die miteinander kreativ waren. Also Miles und Betty oder Max und Joy oder James und Carly oder Matthias und Kathrin. Was ist mit Carla und Michael?

  10. Michael Engelbrecht:

    Tja, aber die Musik dazu, zu einem „Break-Up“. Als Miles die Musik für den „Fahrstuhl zum Schafott“ vor laufenden Bildern improvisierte … war das zugleich ein „Trennungsalbum“? Da lief ja irgendwas mit Jeanne Moreau … die Tristesse war wohl eher dem Film geschuldet.

  11. Henning Bolte:

    Bietet offensichtlich keinen Stoff für Jazzmusiker und Jazzalben. Die im Übrigen ja auch wohl ganz anders zustande kommen als Popalben. Und die Musik, die auf Alben rausgebracht wurde, musste in erster Linie VERKAUFT werden. Was heute nicht unbedingt mehr so ist. Natürlich spielt das persönliche Erleben/Schicksal bei Jazzmusikern in die Musik rein, keine Frage. Aber ein ganzes Album zum Thema machen, würde wohl eher von der Musik ablenken und damit der Tiefe des Einwirkens in die Musik entgegenstehen.

    „Crepuscule with Nellie“ ist nicht umsonst als Beispiel gewählt. Monk drohte Nellie, seinen Urhalt, zu verlieren. So setzte er 1957 Angst auf seine Weise in Minne und Schönheit um. Und Nellie wurde ja zum Glück auch wieder gesund.

    Wer will, kann sich einyoutuben.

  12. Michael Engelbrecht:

    Jazzsänger sangen oft und eher die Lieder anderer Komponisten. Und „break-up“-Alben sind oft an Texte und Songwritertum gebunden.

    Ausnahme tatsächlich Frank Sinatra, der die Lieder anderer zu seinen eigenen werden liess, und sein Liebesunglück zwei Plattenseiten lang besang. Grandios gelang dies auch Bob Dylan und Marvin Gaye, nur schrieben die ihre Songs meist selbst. Es gibt bestimmt auch im Jazz solche Alben, nur erkennt man die nicht, weil sie rein instrumental sind. Und der Musiker nichts weiteres dazu verlauten liess.

    Und natürlich: BLUE von Joni Mitchell ist ein überragendes Werk ihrer Karriere, und es wurde gewiss schon oft als „break-up“-Album bezeichnet, denn darin spiegelte sich eben auch ihre Geschichte mit Graham Nash.

  13. Gregor:

    Das „break-up“-Album überhaupt: Tears von Paul Bley. Eines der besten Alben des Pianisten. Über Jahre, ich glaube etwa ab 1977, hatte man von Bley nichts gehört, was, wer seine Aufnahmetätigkeit kennt, absolut ungewöhnlich ist. Erst am 19.Mai 1983 geht der Meister wieder ins Studio, zu Jean-Jacques Pussiau nach Paris und nimmt dort solo die Platte Tears auf, ein Meisterwerk: bis auf ein Stück hören wir nur Eigenkompositionen!

  14. Michael Engelbrecht:

    Du weisst aber nicht, wer sich ggf. damals von ihm trennte? Oder doch? Du ziehst Rückschlüsse durch Schaffenspause, Titel, und die Musik selbst? Machst den Sherlock!

  15. Michael Engelbrecht:

    Paris/London – Testament. Da erzählt Jarrett selbst im Beiheft von seiner Trennung und dem Blues in London zur Weihnachtszeit, also der Londonteil zumindest scheint als break-up-Album zu taugen.

  16. Michael Engelbrecht:

    Guck mal, Gregs, hast du das Teil hier:

    http://luckypsychichut.blogspot.de/2009/06/paul-bley-trio-canada.html

  17. Gregor:

    Ich lese den Titel der Platte, ich höre die Musik, der Rest ist meinetwegen Sherlock! Hör die Platte und du gibst mir recht, auch, wenn du nichts sonst weißt!!!

  18. Michael Engelbrecht:

    Ich liste dann mal, mit der gebotenen Vorsicht, und errare humanum est

    Break-Up-Alben aus Jazz und Fusion:

    1) Frank Sinatra: In the wee small hours
    2) Paul Bley: Tears
    3) Steve Tibbetts: Exploded view
    4) Keith Jarrett: London – Testament
    5) Giovanni Guidi Trio: This is the day (unter konkretem Break-Up-Album-Verdacht, mit Indizienkette)

  19. Gregor:

    Nein, dies ist eine der wenigen Platten von Bley, die ich definitiv nicht besitze, habe gerade alles durchgeschaut.

  20. Jochen:

    Not Jazz, but just these days: still live covering and for the first time really discovering Alanis Morisette´s break-up album Jagged Little Pill. For most guys out there in the bush of ghosts for sure it´s old hat – not for me, thief in the bush of chords … ;)

  21. Henning Bolte:

    Paul Bley ist seit langem und bis heute mit der Videokünstlerin Carol Goss liiert. Sie lernten sich 1973 kennen, arbeiteten zusammen und heirateten 1980.

    ‚Open, To Love‘ wurde 1972 aufgenommen. 1971 operierte das Trio Paul Bley, Annette Peacock, Han Bennink. 1972 erschien ‚Dual Unity‘ von Bley/Peacock.

    Und?

    Heisst?

  22. Michael Engelbrecht:

    Dass keiner nichts Genaues weiss. Das eine schliesst ja das andere nicht aus. Biografien sind nicht geradlinig, break up Werke können nachgereicht werden, gestaute Trauer findet ihren Aderlass. Man spricht von „viszeralem Gedächtnis“. Carol beweist nun gar nichts.

  23. Henning Bolte:

    Gar nichts, aha.

  24. Michael Engelbrecht:

    Auch dass er bei TEARS fast nur eigenen Kompositionen folgt, könnte für bewusste Ablösung, für eine letzte, viel zu lang aufgeschobene Trauerarbeit sprechen. Die Musik selbst sowieso. Break-Ups halten sich oft nicht an die Chronologie laufender Beziehungen. Komplizierte Materie. Und natürlich jede Menge Spekulatius.

  25. Michael Engelbrecht:

    P.S. : beweist wirklich nichts. Ist halt nur ein Indiz, das die Wahrscheinlichkeit verringert. Was letztlich bleibt, ist die Frage an den Künstler selbst. In einem anderen Fall bin ich gerade in dieser Hinsicht aktiv. Beweisführung jenseits der Anmutung und Spekulation.

  26. Michael Engelbrecht:

    Dass du mit Dylan nichts am Hut hast, weiss ich ja mittlerweile, Ulrich. Aber worauf bezieht sich „Dylans Mülltonne“? Ein Ausdruck für biographische Spurensicherung? Und wenn der von dir Genannte Vieldenker und Nervösquassler aus Karlsruhe ins Spiel gebracht wurde, dürfte ihm ein wenig Spurensicherung sicher gut tun, sollte er mal den break-ups im Jazz nachspüren wollen.

  27. Henning Bolte:

    Tröh-tröh, tröh, blöh-blöh, blöh, höh-se quöh

  28. Michael Engelbrecht:

    Klingt nicht nach einem break-up-Song, Henning, eher nach Dylans Mülltonne.

  29. Michael Engelbrecht:

    ABBA: The Visitors

    Only fools say ABBA didn’t have killer songs. They never seemed to be part of the counter-culture, but they created evergreens in big numbers, and one of the most bitter break-up songs ever.

    And, yep when divorce was all around and the end near, they produced this break-up album full of harsh moments, brutal truths, open animosity, but, well, delvered with elegance.

    „Ring, ring — why don’t you have your lawyer give my lawyer a call?“ Unlike the forgiving members of Fleetwood Mac, ABBA thought that two divorces covering all four band members was plenty of reason to break up, but at least they left us with this deeply downbeat 1982 swan song.

    „Agnetha and Björn had separated years earlier, but now it was Benny and Anni-Frid’s turn at splitsville. Cooperation was not at a peak. „It could be frosty sometimes,“ Björn Ulvaeus told Savista magazine. „It was getting harder to say, please do that again [without hearing] ‚No, I don’t want to!'“ „I believe we were all a bit tired of each other,“ in the studio as well as at home,“ said Anni-Frid Lyngstad. (Needless to say, an album as focused on the end of things as The Visitors was not a major source of material for the Mamma Mia! musical, although „One of Us“ did manage to sneak in there somehow.)“

  30. Uwe Meilchen:

    „The Visitors“ ist mein Lieblingsalbum von ABBA ! Trennung(en) und Abschied… man hoere „When All Is Said And Done“ und „Like An Angel Passing Through My Room“, man lese die lyrics

    Und mir faellt noch ein Album ein dass Trennung thematisiert; zwar nicht direkt aus dem Bereich Jazz, wohl eher JazzFunk/Soul…
    „Here, My Dear“ von Marvin Gaye
    http://en.wikipedia.org/wiki/Here,_My_Dear
    The album was notable for its subject matter being dedicated to the fallout of Gaye’s marriage to his first wife, Anna Gordy Gaye.

  31. Michael Engelbrecht:

    Da war aber wohl eher wenig Jazz drin. Klar, ein grosses verrücktes Trennngsalbum von Marvin G.

    Der grösste Abschiedssong von ABBA: The winner takes it all.

  32. Lajla Nizinski:

    „Why cant we go on as three“ kein Jazz, aber ein Break up Song der Konventionen. From CSNY experienced.

  33. Martina Weber:

    6) Arild Andersen: Clouds In My Head, vor allem: Song For a Sad Day

  34. Michael Engelbrecht:

    Nun, da lässt sich viel mutmassen, am Ende kann ja für manche Melancholie etwas ganz anderes als das Fortgehen einer Liebe zuständig sein. Arild Andersens trauriger Tag mag hundert andere Gründe gehabt haben.

    Am besten, man kriegt es direkt in den lyrics mitgeliefert. Vollends gefloppt scheint da meine jüngste Recherche zu sein, das ist aber erst in ein, zwei Wochen eine Story wert. Vielleicht gibt es ja noch eine unerwartete Wendung, und mein Schuss ins Leere kommt dann doch zurück aus dem Schwarzen. Denn nur meine kleine Indizienkette hat diese Jazzities (5) in Gang gebracht, und nun scheint sie gründlich widerlegt.

  35. Henning Bolte:

    Gut! Karl Popper lässt grüssen!

  36. Martina Weber:

    @ Michael: Nö, dieser sad day hatte genau damit zu tun, jedenfalls mit einer schweren Beziehungskrise. Habe gerade deine Sendung wieder gehört, in der du es so anmoderiert hast ;)

  37. Martina Weber:

    Allerdings ist das nicht erkennbar, wenn man nur die Musik hört :)
    Da könnte es alle möglichen Gründe geben, für den sad day.

  38. Jan Reetze:

    ABBA faszinieren mich tatsächlich immer noch und immer wieder. Keine der beiden Sängerinnen hat für sich genommen eine besonders bemerkenswerte Stimme, aber die beiden Stimmen zusammen können eine Tresortür knacken. Und man muss immer wieder mal zum Kopfhörer greifen, um zu hören, wie raffiniert die Gesangsarrangements und die Abmischungen tatsächlich sind. Dass die es dann noch schaffen, die Texte exakt syllabisch auszunotieren und für den Refrain immer eine Zeile zu finden, die man selbst dann versteht, wenn man kein Englisch kann, und dass das Ganze ins Herz trifft (jedenfalls meistens) – das ist die hohe Schule des Popsongs. Das konnten so perfekt sonst nur noch die Brill-Building-Leute.

  39. Henning Bolte:

    Ein überraschendes Findfundstück: ein Review von Paul Bleys TEARS von niemandem anderes als, ja, Eugene Chadbourne:

    http://www.allmusic.com/album/tears-mw0000985573


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