Wie immer in der Weihnachtszeit hoere ich Bob Dylan: Ring them bells. Immer gibt es einen Grund, wachzuruetteln. Schiller hat es mit der Glocke versucht, die Spaziergaenger von Dresden tun es nicht. Meine drei Jahre am Dresdner Goethe-Institut haben mir einen guten Einblick in die Dresdner Verhaeltnisse gegeben. Was dort an Gewaltpotential vorhanden ist, ist gruselig, die Fremdenangst verstaendlich. Das Fremde aber wirklich kennenlernen zu wollen, ist nicht Dresden spezifisch, das gab es schon immer ueberall.
In der Erzaehlung zu Zeiten des dreissigjaehrigen Krieges Else von der Tanne von Wilhelm Raabe sitzt ein Pfarrer ueber seiner Weinhnachtsrede, die ihm nicht gelingen will. Seine Gemeinde hasst die Fremden, die aus Magdeburg in den Harz gezogen sind: ein Vater und seine Tochter Else. Der Vater ist Magistrat, also gebildet und grenzt sich allein dadurch von den einfachen Doerflern ab. Als dann auch noch ihr Pfarrer sich mit dem Magistrat anfreundet, ist das Verrat fuer sie, Gewalt beginnt ihren Lauf zu nehmen.
Byung-Chul Han hat in einer Zeitung geschrieben, dass die Demonstranten in Dresden und anderswo aus Angst vorm eigenen Scheitern sich versammeln, um gegen einen imaginaeren Feind (= der Islam) anzutreten. „Der Ausschluss des imaginaeren Fremden befreit sie von dem Gefuehl, nicht dazuzugehoeren.“ Das ist ein interessanter Gedanke.
Ueber einen anderen Fremden in der Fremde habe ich in der Adventszeit gelesen: Hans Keilsons Tagebuch 1944. Keilson muss als deutscher Jude nach Holland fliehen, er bleibt das ganze Jahr 1944 in Delft versteckt. Seine Frau und sein Kind sind nicht bei ihm. Er verliebt sich in eine junge Frau, er beschreibt seine Selbstzweifel in diesem Tagebuch. Selten habe ich eine so selbstreflexive Literatur gelesen.
Im Anhang sind seine aus dieser Zeit angefertigten Sonetten zu lesen. Sie lesen sich schoen, wenn man verliebt, getrennt oder sich trauen will, also stehen ganz im Leben.