Manafonistas

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Archives: November 2014

11:45. Der Schmerz, den die Harnschiene beim Urinieren auslöst, bleibt unerträglich. Und hält meist bis zu zehn Minuten danach an, mit ungeheurer Wucht. Ich habe meine Rituale: erst schreien, um dem Schmerz ein Ventil zu öffnen. Dann in den Schmerz hineinatmen. Ich habe meinen wuscheligen weissen Schmerzteppich, Selbsthypnose geht gar nicht. Der Plan ist heute, wenigstens den ersten und letzten Text zu verfassen (der Jokleba-Part, im Moment ist es unklar, ob ich Jon Balke in Köln noch interviewe; hängt davon ob, ob nach der Entfernung des Schlauches am Dienstag mein altes schmerzfreies Ego reibungslos die Geschäfte übernimmt). Die Erschöpfung nach jeder einzelnen „Schmerzarie“ ist so beträchtlich, dass es leicht fällt, ins Blaue zu schreiben, aber schwer, konzentriert zu arbeiten. Das ist wie die Aufforderung, nach einer kleinen Schmerzfolter die Hausaufgaben zu machen. Ich kann defokussieren, aber nicht so gut fokussieren. Ich schreibe dies als Divertimento, und „Tagebuch des Projekts: JazzFacts.“ Als kleine Spannungsgeschichte mit offenem Ausgang. Morgen früh Vorbesprechung in der Anästhesie – keine Scheu zu fragen, ob man mich einen Tag ins künstliche Koma abschiessen kann. Das wäre bis zur OP wie Wolke 7 im Traumland. „Cuckooland“. Ah ja, Robert Wyatts Biografie, ruhig erzählt, gut geschrieben, Karl Lippegaus stellt sie in der Sendung vor.

2014 15 Nov.

Loop me in 2

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Julia Stoschek ist eine junge reiche Galeristin, die ein gutes Geschick besitzt, die amerikanische Avantgarde nach Duesseldorf einzuladen. Gestern Abend zeigte William Basinski sein neues Werk „Cascade“ in der Stoschek Foundation.

Es war seine Urauffuehrung. Er kam in eleganter, enganliegender Lederkleidung in den Raum, stellte sich an den mit Technik ueberbordenden Tisch und begann fast wortlos mit seiner Performance. Hinter ihm lief ein Video, gedreht von seinem Lebensgefaehrten James Elaine. Es zeigte fast ausschliesslich Bilder von bewegtem Wasser. Irgendwann schloss ich die Augen, weil ich staendig an flying toasters denken musste. Er stand ueber eine Stunde fast unbeweglich vor seinem Werkzeug: dem Laptop, dessen Apple Logo er ueberklebt hatte [why?] und den beiden links und rechts aufgebauten tape decks.

Die Musik hoerte sich fuer mich zunaechst „rotten“ an. Zuhause haette ich meine kaputte Anlage sofort entsorgt. Aber hier war es wohl part of the game. Links von mir sass eine Frau, die nach 5 Minuten ging, rechts von mir sass ein Mann, der die ganze Zeit die Augen geschlossen hielt. Ich langweilte mich die ersten 15 Minuten, weil alles sehr aehnlich fliessend klang und noch dazu durch ein Echo gedoppelt wurde.

Als die Klaenge vollkommen unerwartet leiser wurden, wurde ich wieder hellhoerig und verfolgte bis zum Schluss das Konzert mit Begeisterung, die Klaviertoene schienen aus dem bereits gehoerten Soundtrack heraus zu wollen. Basinski verabschiedete sich mit den Worten: „Thank you, oops, I forgot my words.“ Und verschwand.
 
 
 

 

Es wird nicht leicht, die kommenden JazzFacts am Donnerstagmorgen zu produzieren. Bis jetzt habe ich  keine Manuskriptzeile geschrieben, das grobe Konzept stand allerdings schon vor der „Schmerzarie“ fest. Ich habe gestern die Struktur festgelegt, die Sendung in drei Teile geteilt.

Nicht nur die beiden „eingekauften“ Themen werden in diesen 55 Minuten „Jazz und Politik“ als ein Thema definieren: Karl L. stellt die neue Robert Wyatt-Biografie vor, und Michael K. einen Fotoband aus den wilden Aufbruchszeiten des Jazz in den USA zwischen 1957 und 1975.

Ich weiss nicht, ob ich das neue Opus von Anouar Brahem (mit angeblich dezenten Jazzelementen) noch rechtzeitig bekomme – der tunesische Oud-Spieler sieht sein Werk von den Unruhen der letzten Jahre in seinem Heimatland Tunesien beeinflusst, und auch Jon Balke schrieb mir in einer Mail, dass das neue Album „Outland“ mit seinen zerklüfteten Soundgebilden von der gewaltigen Schräglage des Jahres mitgeprägt wurde.

So sehen die drei Abschnitte aus:

 

1) Jokleba: Outland

2) Albatrosh: Night Owl 

Beitrag Eins: „Different Every Time“ (Biografie Robert Wyatt)

 

3) Supersilent: Supersilent 12

4) Erik Honore: Heliographs

5) Sidsel Endresen & Stian Westerhus: Bonita

 

Beitrag Zwei: „Black Fire! New Spirits!“

6) Jokleba: Outland 

 

Bei einigen dieser Produktionen ist der Begriff „Jazz“ sehr weit auszudehnen, vertraute Jazzelemente sind bei Supersilent und Erik Honore nur in Spurenelementen ausfindig zu machen. Und das Gitarrenspiel von Stian Westerhus ist schon sehr post-post-post-fusion. Aber an den Rändern, nicht in den Konventionen, warten die grösseren Überraschungen. Auf der Couch ins Blaue zu schreiben, ist relativ leicht. Ich hoffe, ab morgen jeden Tag jeweils drei Moderationen zu schreiben. Dienstag soll der Harnleiteiterschlauch unter Vollnarkose gezogen werden, in einem anderen Institut. Warum habe ich als ultima ratio kein Morphium bekommen? Die Schmerzattacken verhindern das Alltagsritual. Ich könnte im Cafe meines Vertrauens nicht mehr zur Toilette gehen, ohne mich hnterher ca. zehn Minuten stöhnend auf dem Boden zu wälzen. Not funny.

Was verbindet das Gedicht mit dem Film? Zunächst einmal gar nichts. Film schwarz, Poesie weiß, oder umgekehrt, daraus entsteht dann ein Zebra, also ein schönes und interessantes Tier. Poesiefilme wurden seit den Anfängen desFilms gedreht, sogar schon zu Stummfilmzeiten. L´invitation au voyage. Das Zebra Poesiefilmfestival gibt es nun schon seit dem Jahr 2002, alle zwei Jahre in Berlin, veranstaltet von der Literaturwerkstatt Berlin, die kürzlich sogar ein Poesiezentrum gegründet hat. In diesem Jahr gab es mehr als 700 Einsendungen aus der ganzen Welt, alle Filme haben englische Untertitel. Zu den Gewinnerfilmen in diesem Jahr zählt „The Dice Player“ von La’eb Al Nard, nach einem Gedicht von Mahmoud Darwisch.

 
 
 

 
 
 

Nicht weniger existenziell, aber sehr witzig ist die Verfilmung des Ernst Jandl-Gedichtes „essen – stück mit aufblick“ durch Peter Böving:

 
 
 

 
 
 

„Transit“. Ein Film über ein Leben nach einem Gedicht von Julietta Fix, der Frau, die hinter fixpoetry.com steht. Und auf deren Website es jede Menge poetryletter anzusehen gibt, das ist dann die Verbindung von Gedicht und Grafik oder Foto oder Gemälde. Aber das ist ein anderes Thema.

 
 
 

 
 
 
Alle Links zu den Filmen im 1. Kommentar.
 

2014 13 Nov.

Gong: I See You

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Warten wir mal bis 2032. Denn dann sollen sie ja persönlich auf die Erde kommen, die Pot Head Pixies in ihren fliegenden Teekannen, und sollen uns die Erleuchtung bringen. Bis dahin hält uns – hoffentlich – weiterhin Daevid Allen auf dem Laufenden.
 
 
 
gong_iseeyou
 
 
 
I See You ist meine momentane Dauerdudelplatte. Je öfter ich sie höre, desto mehr wächst sie in mir. Daevid Allen (voc, g), Dave Sturt (b), Ian East (sax, fl), Fabio Golfetti (g), Kavus Torabi (g) und Orlando Allen (dr) sind den diversen Besetzungen der Gruppe in den 1970er Jahren musikalisch ebenbürtig. Gilli Smyth (aka Shakti Yoni) und ihr charakteristisches „space whisper“ ist wieder dabei, auch wenn es inzwischen ein wenig greisenhaft klingt – die freundliche Hexe ist ja immerhin schon 81. Das Booklet enthält ein wirklich wunderschönes Foto von ihr. Daevid Allens Stimme hat sich kaum verändert. Obwohl auch er inzwischen 76 ist, klingt er frisch wie eh und je. Und auch, wenn er nicht genannt wird, bilde ich mir ein, dass in wenigstens einem Track („Thank You“) auch Steve Hillage dabei ist.

Die Platte ist über einen längeren Zeitraum an diversen Orten der Welt aufgenommen worden. Dass sie trotzdem aus einem Guss ist, dürfte Orlando Allen zu danken sein, Daevids und Gillis Sohn, der nicht nur ein sehr guter Drummer ist, sondern die Platte mustergültig produziert hat und wohl überhaupt inzwischen derjenige ist, der das Projekt Gong zusammenhält. Besonders bemerkenswert sind die vielen kleinen eingestreuten Reminiszenzen an die Gong-Klassiker der frühen Jahre; manche davon bemerkt man fast nur im Kopfhörer richtig. Was sehr gut ist, denn dadurch driftet I See You an keiner Stelle in Nostalgie oder reine Wiederholung ab.

Das Deluxe-Cover enthält ein 28-seitiges Booklet mit Texten, Kommentaren und Daevids typischen Zeichnungen. Die eigentlich geplante Tournee musste abgesagt werden. Gilli kann nicht mehr reisen, und Daevid ist von seiner Krebserkrankung und einem Sturz noch nicht ausreichend genesen, um eine Tour durchstehen zu können. Schade, aber I See You ist mehr als nur eine kleine Entschädigung.

Die Plattenfirma schreibt, man könne ja nicht wissen – möglicherweise sei dieses Album der Schwanengesang. Damit muss man wohl in der Tat rechnen, und wenn es so käme, dann wäre es ein würdiger Abschluss. Ich will es trotzdem nicht hoffen. Ich möchte nämlich gern noch den dritten Teil von Daevid Allens Autobiografie („Gong Dreaming“) erleben. Hast du gehört, Freund Hein? So viel Zeit muss mindestens noch sein!
 
 
Gong
I See You
Madfish SMACD 1023

Vor Tagen, in aller Früh, meldete sich ein Nierenstein. Das ist so spassig wie ein Messer, das jemand langsam in deiner Niere hin und her dreht. Schnell war ich in der Notaufnahme, und zu Anfang wirkten das Opiumderivat und Buscopan, aber nach dreissig Minuten arbeitete das Messer wieder in alter Frische. Ich kenne die Statistik nicht, aber ich nehme mal an, einer von 10000 Menschen hat wie ich eine multiple Schmerzmittelallergie (seit 1998). Ausser Paracetamol und Opiumderivaten wird jedes Analgetikum lebensbedrohlich. Novalgin, ein grossartiges Mittel bei Nierensteinen, kann ich genauso vergessen, wie das volle Programm von Ibuprofen bis Aspirin. Und so war ich der erste Patient, den der Stationsarzt in sechs Jahren nicht schmerzfrei bekam. Und das ist ein Euphemismus. Auf der Schmerzskala 0-10 turnte ich bis zur OP am folgenden Tag, also ca. vierundzwanzig Stunden lang meistens zwischen 7 und 9 rum, nur gelegentliche Schmerzpausen waren mir vergönnt.

Ich verlangte nach stundenlangem Stöhnen und Schmerzgeschrei eine Notfall-OP, der diensthabende Stationsarzt möge ein Team zusammenrufen, er könne meinen Extremschmerz nicht in den Griff kriegen. Ich wurde laut, und verlangte von ihm zu handeln. Sofort. Mein Verlangen wurde abgelehnt.  Er sagte mir auch noch, wir seien hier nicht im Kindergarten. Fehler. Er wusste nicht, wem er das sagte, er kannte mich nicht. Daraufhin wurden ihm ein paar deutliche Mitteilungen gemacht. Ich war nicht allein, und nicht ohne Zeugen. Er entschuldigte sich später, aber er lag falsch mit der positiven Bewertung seiner weiteren Behandlung: auch Tramal half nur sehr wenig. Schlaf war ein Minutenluxus in dieser Nacht.

Die Operation lief gut, nur muss ich jetzt eine Woche mit einem Schlauch zwischen Niere und Harnleiter rumlaufen, der beim Pinkeln zu krampfartigen Schmerzen führt. Vielleicht würde da Novalgin helfen, aber das darf ich ja nicht. Dieser Schlauchschmerz dauert manchmal nur zwei Minuten, zweimal in den letzten zwei Tagen hielt er über eine Stunde an, und der Schmerz kommt nah an den eines aktiven Nierensteins ran. Am 20.11. soll mir der Schlauch entfernt werden. Ich teilte dem Arzt mit, nur unter Vollnarkose, er sagte, nein. Ich sagte, als mir vor zwei Jahren von einem fachlich anerkannten Urologen schon mal so ein Schlauch entfernt wurde, hätte ich, ohne Hysteriker zu sein, mehrere Minuten Blut und Wasser geschwitzt und geschrien. Der Arzt sagte, wahrscheinlich hätte der Urologe mit festem Besteck gearbeitet, sie würden es mit flexiblem Besteck machen. Und ich würde kaum was merken. Mir fehlt da etwas der Glaube.

Aus meiner Sicht wäre man in meinem Fall zu einer sofortigen Notfalloperation verpflichtet gewesen (wenn nicht formaljuristisch, dann medizinethisch). P.S.: Bitte bloss keine Besserungswünsche, die helfen mir nicht. Ich habe den Text auch nicht geschrieben, um eine Welle von Mitgefühl zu entfachen. Wenn ich aus dieser Sache heil herauskomme, wird  dieser Text (mit weiteren Details) dem Chef der Urologie zugänglich gemacht, angereichert mit klaren Fragen und freundlicher Bitte um Antworten. Ich kann extrem unlustig werden in sachlich geführten Dialogen, ich wahre die contenance, ich vergreife mich nicht im Ton. Es genügt, eiskalt sein zu können. Kann ich. Nur jetzt nicht, wo sich die Blase wieder meldet. Manchmal hört sich mein Stöhnen auf öffentlichen Toiletten für zufällige Zeugen wohl so an, als würde ich mir einen runterholen. Ich versuche, wenn ich nicht allein bin, so leise wie möglich zu sein. Von aussen betrachtet, besitzt das eine gewisse Tragikomik. (Ich werde diese Text umgehend einem bekannten Urologen zukommen lassen, einer Juristin, einem befreundeten Arzt, und sie um Rat bitten. So muss ich das ganze Elend nicht immer aufs Neue erzählen.)

NACHTRAG AM ABEND: ich habe, wie es so schön heisst, „an einigen Stellschrauben gedreht“. JETZT KÖNNEN SICH EINIGE PERSONEN, wie es ebenso schön heisst, WARM ANZIEHEN. Wie das Juristen werten, lasse ich mal offen: ich nenne das UNTERLASSENE BZW. DILETTANTISCHE HILFELEISTUNG, DAS VERWEIGERN EINER NOTFALLOPERATION. HOHE DYSFUNKTIONALITÄT IN KRISENINTERVENTIONEN. Der Leidtragende war ich. Und das wird Konsequenzen haben.

2014 12 Nov.

Teapot Special

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„This teapot has a way to fly yet“

 

manafonistas saying („new running gag for future texts“) when weird things can produce uplifting effects

 

to be used freely without signing & quoting & copyright

 

thx, HQ

  1. True Detective (Season One)
  2. Fargo (Season One)
  3. Rectify (Season One)
  4. Longmire (Season Three)
  5. Mad Men (Season Six)
  6. Homeland (Season Four)
  7. Happy Valley (Season One)
  8. Person of Interest (Season Three)

 
the worst album:

  • Pink Floyd – The Endless River

 

(all my respect for Andy Gill who wrote what has to be said about this nirwana-new-age-noodlings in „The Independant“ followed by a shitstorm of hard-core fans who defend this piece of crap with a kind of fanatism that resembles the denial of Darwin’s evolution theory by fundamental Christians. A look at the cover speaks volumes.)

 

P.S. A reminder for all manafonistas who are still part of the game (11 at the moment) to send your TOP 20 or TOP 10 albums of 2014 to Jochen’s or my email adress. Ian has already send his ones (full of surprises, and several records I’ve never heared of) – deadline is December 1st. Anyone who thinks Anouar Brahem’s or Sidsel Endresen’s albums might join the list have to be quick: Sidsel’s one can already be ordered via Rune Grammofon,  Anouar Brahem’s „Sovenance“ will be released on Nov. 28th (ECM). And Sylvian’s new one will see the light of day in the last half of November.

All will be posted on December 6th.

2014 9 Nov.

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bleeding edge
 
 
 

Ein weiterer, ziemlich bedrückender Ausflug ins Deep Web zunächst, eine seltsame DVD dann, eine Freundin, Cornelia, will mit Maxine shoppen gehen, das ist nicht gerade das, wonach Maxine der Sinn steht, überhaupt, stellt sie bei Cornelia Anzeichen von fortgeschrittenem DPS fest. Was das nun wieder ist? Ganz einfach: Discountpreistupor. Aha! Okay, ich gebe zu, `Tupor´ nachgeschlagen zu haben: Slang word for „class“ used by some groups in the upper Midwest.

Anderes Thema jetzt – schon mal so eine Beschreibung eines Chefschreibtisches gelesen?:

„… Chandler Platt, der hinter einem Schreibtisch aus vierzigtausend Jahre altem neuseeländischem Kauriholz residiert, eher eine Immoboilie als ein Möbelstück, was den müßigen Betrachter, und sei er in derlei Dingen noch so unbeleckt, zu der Überlegung führt, wie viele Sekretärinnen wohl bequem darunter Platz haben und welchen Komfort sie genießen – Toilette, Internetzugang, ein paar Futons, damit die Schnuckelchen in Schichten arbeiten können …“

Ganz anderes Thema jetzt:

Wer hätte gedacht, dass Pynchon einmal über IKEA schreiben würde, doch, er schreibt, aber wie:

Erster Hieb:

„Später findet Maxine ihn (Horst) im Esszimmer, wo er versucht, aus Spanplatten einen Computertisch für Ziggy zusammenzubauen. Aus mehreren Fingern quillt Blut, die Lesebrille droht, von der verschwitzen Nase zu rutschen, auf dem Boden liegen geheimnisvolle Verbindungsteile aus Metall und Plastik, sowie die zerfledderte, zerrissene Bauanleitung herum. Er schreit. Das diskursbestimmende Wort ist: `Scheiß-IKEA´.“

Zweiter Hieb:

„Wie Millionen Männer weltweit hasst Horst den schwedischen Möbelgiganten. Er und Maxine haben einmal ein ganzes Wochenende damit verschwendet, die Filiale in Elizabeth, New Jersey zu finden, die gleich neben dem Flughafen liegt, damit der viertreichste Milliardär der Welt Logistikosten spart und der Rest der Menschheit sich auf und neben dem New Jersey Turnpike verfahren kann.“

Dritter Hieb:

„Bei IKEA war eine ganze Abteilung damit befasst, falsche oder fehlende Teile zu ersetzen, ein dort nicht allzu exotisches Thema.“

Vierter Hieb (eigentlich kein Hieb, eine schlichte Feststellung einer nicht sehr kundenfreundlichen Gestaltung der Ausstellungsräume):

„In den genannten Verkaufsräumen läuft man endlos lange zwischen bourgeoisen Kontexten oder `Lebensmittelpunkten´dahin, auf einem vorgegebenen Fraktalweg, der sein bestes tut, alle Punkte der vorhandenen Fläche zu berühren. Ausgänge sind deutlich gekennzeichnet, aber unerreichbar.“ So ist es!

Anderes Szenario jetzt:

Die Kinder kommen zurück! Horst hat mit den beiden Jungs wirklich nichts ausgelassen. Und wir Leser lernen eine Menge über Spiele, natürlich Computerspiele. Wir erfahren allerdings auch auf welchem beruflichem sich Gebiet Horst aufzuhalten beliebt: Er hat es u.a. mit der Weizenbörse in Chicago.

Gregor M.

 

 

Paranoia und Verschwörungstheorien wuchern weiter: die Stinger Raketen auf dem Dach des Deseret, dort die Paschtu Schrift auf einem Batteriedeckel: „… vielleicht echt, vielleicht auch von CIA, damit es nach Mujaheddin aussieht, um Aktion zu verdecken.“ „Sie (gemeint sind graue Hintermänner) wissen es und sie werden es nicht verhindern.“ Die ganze Handlung steuert immer mehr auf 9/11 zu, dessen Schilderung dann fast nebensächlich scheint. Doch wahrscheinlich waren die Bewohner der Upper West Side weit entfernt von den Twin Towers und haben die Attentate in erster Linie vor dem Fernseher verfolgt. March bringt die Anschläge mit der Bush Administration in Verbindung und zieht Parallelen zum Reichstagsbrand, Schwager Avi meint, dass „jeder Judenhasser 9/11 den Mossad in die Schuhe schieben will.“ Dazu letzte Woche in der Zeit (ironisch): „Man verschweigt und die Wahrheit! Die CIA und der israelische Geheimdienst Mossad stecken hinter den Anschlägen vom 11. September 2001.“

Gleichzeitig beginnt die Handlung klarer zu werden. Mein Eindruck: Pynchon erzählt nun geradliniger und direkter, er mäandert und schnörkelt weniger. Erzählerische Löcher werden gefüllt (z.B. der Auftritt von Brooke und Avi). Vielleicht habe ich mich nach 414 Seiten an den Stil gewöhnt. Es tauchen schon immer wieder Figuren auf, an die ich mich zunächst nicht erinnere: z.B. Cornelia, Frau von Rocky – sind wir ihr in der koreanischen Karaoke Bar begegnet?

Zum heimlichen Hauptthema Gentrifizierung in New York: „… alles verblasst zur Yup-Gleichgültigkeit, während die Hochhäuser, frei von allen Selbstzweifeln, ihren Marsch nach Norden fortsetzen.“ Die alten Gebäude „werden allesamt abgerissen und mit Bulldozern auf die Deponie für verblassende Erinnerungen geschoben.“

Überhaupt: Erinnerung, das Verhältnis zur Vergangenheit, schimmert vielfältig durch die Handlung: Maxine leidet an einem „Anfall von Flashback-Intoleranz“, an einer anderen Stelle heißt es: „Nostalgie umschleicht sie, stets bereit, aus dem Hinterhalt in sie einzusickern.“ Und auf einer Party laufen alte „Songs, deren Hooklines noch heue im Hinterhalt liegen, um einen in einer müßigen Stunde zu überfallen“.

Pynchons Musikkenntnisse kommen nicht zu kurz. Nas und „The World is Yours“ werden genannt. Nicht gerade obskur – schließlich widmet die 33 1/3 Reihe Nas’ Album „Illmatic“ einen Band – muss man aber trotzdem erst mal machen. Wenig später werden dann noch Urge Overkill erwähnt; Pynchon kennt scheinbar wirklich alles.

Bleeding Edge spielt in einer Zeit, als eine Medientechnologie gerade eine andere ablöst: Maxine benutzt sowohl einen VHS Rekorder, als auch einen DVD Spieler.

Gänsehaut und „Nein, tu es nicht!“-Gedanken hatte ich, als Maxine auf dem Weg zu Windust durch Flur und Treppenhaus eines furchterregenden Apartmenthaus irrt, die Wohnung betritt und … so langsam beginne ich die Charaktere ernsthaft zu mögen. Das Buch entwickelt auf der Zielgerade endlich einen Sog.

Olaf W.

 

 

Letzte Woche waren meine Gefühle dem Buch gegenüber so ambivalent, dass ich zu einer neurotischen Verarbeitung greifen musste und eine Schreibhemmung entwickelte. Zum Glück hatte ich gerade wieder einmal „Shining“ gesehen, Stanley Kubricks Verfilmung des Stephen-King-Romans mit den genialen Kamerafahrten durch ein saisonal leerstehendes Rocky-Mountain-Hotel, hinter einem Dreirad her, über Teppichkanten, durch unzählige Flure, endlose Gänge, vorbei an Hunderten von Türen und abermals Türen, und hier wird das Abschweifen des Rezensenten geradezu pynchonesque, wissen doch nur wenige, in welchem Film wir jetzt gelandet sind, und noch weniger: warum? Und es gibt auch keine Hilfe vom Pynchon-Lexikon. Und wieder zurück:

Der Vater des Dreirad fahrenden Jungen, Jack Torrance, gespielt von Jack Nicholson, bietet sich bei nahender Schreibhemmung zur Identifikation regelrecht an. Auch er leidet an dieser für Schriftsteller so unangenehmen Neurose, die bei ihm allerdings in den blanken Wahnsinn führt. So entdeckt seine Frau eines Tages, dass auf Hunderten beschriebener Seiten nicht Romanteile zu lesen sind, sondern immer nur der eine Satz, sinngemäß übersetzt: „Zu viel Arbeit, zu wenig Spiel, macht Jack zum Langweiler.“ In manchen deutsch synchronisierten Fassungen des Films steht hier der Satz: „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nie auf morgen“.

Auch Pynchon macht sich (zu) viel Arbeit, indem er wohl den Inhalt seiner (virtuellen?) Zettelkästen komplett unterbringen will. Das passt nicht immer zum Stand der Dinge im Buch und wirkt dann ermüdend. Eigentlich müsste alles Erwähnte eine Geschichte haben, in die eingebettet es erst lebendig werden kann. Es müsste erzählt werden, aber das Erzählen ist nicht Pynchons Stärke. (Bei der Lektüre von Patrick Modianos Buch „Aus tiefstem Vergessen“ entstand dagegen sofort Interesse an den Protagonisten, Sympathie, Beziehung…)

Vielleicht mag Pynchon seine Romanfiguren gar nicht? Das würde auch erklären, warum er sie immer wieder verlässt. Wenigstens kommen Maxine‘s zwei Jungs aus ihrem Urlaub mit dem Vater Horst zurück. Das ist meine Lieblingsszene der Woche: die beiden berichten ihre Erlebnisse, und es klingt wie die Gelben Seiten gehobener Junkfoodgastronomie. Danach werden sie den Großeltern überstellt, und Maxine kann sich ungestört in die nächsten Abenteuer stürzen.

Wolfram G.

 

 

Maxine begleitet Cornelia zu „Loehmann´s“, einem Shopping-Paradies für Shopaholics, zu dem man nur jüdischer Begleitung Zutritt bekommt, verschwindet dann aber auf die shooting-range, trifft dort `Weinkenner´ Randy, dem Ice die Zutrittsberechtigung zu seinem Anwesen entzogen hat und hetzt zurück zu „Loehmann´s“, um Cornelia vor dem Zusammenbruch zu retten. Diagnose: DITS („Discount Inventory Tag Stupor“, Sonderangebotsanhängeransehenmüssenkoller). Maxine fragt Cornelia um Rat, das Stinger-Video betreffend, und die schickt sie zum „Kümmerer“ Chandler Platt („financial community big shot and fixer“). Platt schaut sich das Video an, spricht mit ein paar Freunden („in the preInternet sense of the term“) und ist erstaunt: Die Freunde reagieren merkwürdig, so als wüssten sie, was passieren wird. Platt rät ihr, „terrorist-related activities“ zu vermeiden. Horst und die Kinder kommen zurück und berichten von ihrem Urlaub („Horst couldn’t help noticing how the places had, most of them, grown more ragged since his time“). Horst bleibt („The boys will be thrilled, I think.“) und wird häuslich („Fucking IKEA“). Maxine wird von Tworkeffx.com zur „Geeks Cotillion“, einem Figurentanzball, eingeladen. Tworkeffx.com ist ein Pleiteunternehmen, das gerade von Gabriel Ice aufgekauft wurde. Horst lernt tanzen („Long as I don´t have to sway my hips“) und begleitet sie. Trotz Umsatzeinbrüchen ist die Tworkeffx-Party ein Mega-Event der IT-Branche („creepy retro-pissing contest with Josh Harris“). Maxine triff dort Eric, der sie nach einer „Klodyssee“ („unisex and privacy-free“, „seethrough acrylic“, „number of theme restrooms“, „godfather of postmodern toilets“, „… come/To the Toilet! Flush all those/Troubles and dance!“), zu Felix bringt, der ihr Gabriel Ice („… eyes less expressive than many Maxine has noted at the fish market“) vorstellen will. Maxine hört ihn seinen Jüngern die Devise „Go North“ verkünden („My geek brothers! …the future is out there on the permafrost … gain control of the supply of cold as a natural resource of incomputable worth …“) und wendet sich ab. Auf dem Weg nach Hause beteiligt sich der Taxifahrer an einer arabischen Funkkonferenz, von der Maxine nur das Wort „Inshallah“ versteht, das Horst mit „Arabic for `whatever´“ übersetzt. Der Fahrer korrigiert ihn: „If it is God´s will“. Am nächsten Tag fällt Horst auf, dass die Aktien von United Airlines und American Airlines in großem Umfang zum Kauf angeboten werden. Am Montag geht Horst zum Football und will bei einem Freund übernachten, am Dienstag fliegen zwei Airliner in das World Trade Center, in dem Horst sein Büro hat.

Trotz der offenbaren Inhaltsfülle bewegt sich Bleeding Edge wieder in ruhigeren Fahrwassern, sodass ein wenig Zeit bleibt, Horst und die Maxine-Horst-Beziehung kennenzulernen. Vielleicht ist es von der Tagesform abhängig, aber der aktuelle 100-Seiten-Brocken kam mit doch ein wenig leichter verdaulich vor. Was mit gefällt, ist die Beiläufigkeit, mit der Pynchon den Anschlag auf das World Trade Center schildert und doch (vor allem in Gestalt von March) den gängigen Verschwörungstheorien Raum gibt. Köstlich ist die IKEA-Schilderung: „Inside the store proper, you walk forever from one bourgeois context, or „room of the house,“ to another, along a fractal path that does its best to fill up the floor space available. Exits are clearly marked but impossible to get to. Horst is bewildered, in a potentially violent sort of way. „Look at this. A barstool, named Sven?““ Bin jedenfalls gespannt, wie’s weitergeht!

Thomas S.

 


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