Vor Tagen, in aller Früh, meldete sich ein Nierenstein. Das ist so spassig wie ein Messer, das jemand langsam in deiner Niere hin und her dreht. Schnell war ich in der Notaufnahme, und zu Anfang wirkten das Opiumderivat und Buscopan, aber nach dreissig Minuten arbeitete das Messer wieder in alter Frische. Ich kenne die Statistik nicht, aber ich nehme mal an, einer von 10000 Menschen hat wie ich eine multiple Schmerzmittelallergie (seit 1998). Ausser Paracetamol und Opiumderivaten wird jedes Analgetikum lebensbedrohlich. Novalgin, ein grossartiges Mittel bei Nierensteinen, kann ich genauso vergessen, wie das volle Programm von Ibuprofen bis Aspirin. Und so war ich der erste Patient, den der Stationsarzt in sechs Jahren nicht schmerzfrei bekam. Und das ist ein Euphemismus. Auf der Schmerzskala 0-10 turnte ich bis zur OP am folgenden Tag, also ca. vierundzwanzig Stunden lang meistens zwischen 7 und 9 rum, nur gelegentliche Schmerzpausen waren mir vergönnt.
Ich verlangte nach stundenlangem Stöhnen und Schmerzgeschrei eine Notfall-OP, der diensthabende Stationsarzt möge ein Team zusammenrufen, er könne meinen Extremschmerz nicht in den Griff kriegen. Ich wurde laut, und verlangte von ihm zu handeln. Sofort. Mein Verlangen wurde abgelehnt. Er sagte mir auch noch, wir seien hier nicht im Kindergarten. Fehler. Er wusste nicht, wem er das sagte, er kannte mich nicht. Daraufhin wurden ihm ein paar deutliche Mitteilungen gemacht. Ich war nicht allein, und nicht ohne Zeugen. Er entschuldigte sich später, aber er lag falsch mit der positiven Bewertung seiner weiteren Behandlung: auch Tramal half nur sehr wenig. Schlaf war ein Minutenluxus in dieser Nacht.
Die Operation lief gut, nur muss ich jetzt eine Woche mit einem Schlauch zwischen Niere und Harnleiter rumlaufen, der beim Pinkeln zu krampfartigen Schmerzen führt. Vielleicht würde da Novalgin helfen, aber das darf ich ja nicht. Dieser Schlauchschmerz dauert manchmal nur zwei Minuten, zweimal in den letzten zwei Tagen hielt er über eine Stunde an, und der Schmerz kommt nah an den eines aktiven Nierensteins ran. Am 20.11. soll mir der Schlauch entfernt werden. Ich teilte dem Arzt mit, nur unter Vollnarkose, er sagte, nein. Ich sagte, als mir vor zwei Jahren von einem fachlich anerkannten Urologen schon mal so ein Schlauch entfernt wurde, hätte ich, ohne Hysteriker zu sein, mehrere Minuten Blut und Wasser geschwitzt und geschrien. Der Arzt sagte, wahrscheinlich hätte der Urologe mit festem Besteck gearbeitet, sie würden es mit flexiblem Besteck machen. Und ich würde kaum was merken. Mir fehlt da etwas der Glaube.
Aus meiner Sicht wäre man in meinem Fall zu einer sofortigen Notfalloperation verpflichtet gewesen (wenn nicht formaljuristisch, dann medizinethisch). P.S.: Bitte bloss keine Besserungswünsche, die helfen mir nicht. Ich habe den Text auch nicht geschrieben, um eine Welle von Mitgefühl zu entfachen. Wenn ich aus dieser Sache heil herauskomme, wird dieser Text (mit weiteren Details) dem Chef der Urologie zugänglich gemacht, angereichert mit klaren Fragen und freundlicher Bitte um Antworten. Ich kann extrem unlustig werden in sachlich geführten Dialogen, ich wahre die contenance, ich vergreife mich nicht im Ton. Es genügt, eiskalt sein zu können. Kann ich. Nur jetzt nicht, wo sich die Blase wieder meldet. Manchmal hört sich mein Stöhnen auf öffentlichen Toiletten für zufällige Zeugen wohl so an, als würde ich mir einen runterholen. Ich versuche, wenn ich nicht allein bin, so leise wie möglich zu sein. Von aussen betrachtet, besitzt das eine gewisse Tragikomik. (Ich werde diese Text umgehend einem bekannten Urologen zukommen lassen, einer Juristin, einem befreundeten Arzt, und sie um Rat bitten. So muss ich das ganze Elend nicht immer aufs Neue erzählen.)
NACHTRAG AM ABEND: ich habe, wie es so schön heisst, „an einigen Stellschrauben gedreht“. JETZT KÖNNEN SICH EINIGE PERSONEN, wie es ebenso schön heisst, WARM ANZIEHEN. Wie das Juristen werten, lasse ich mal offen: ich nenne das UNTERLASSENE BZW. DILETTANTISCHE HILFELEISTUNG, DAS VERWEIGERN EINER NOTFALLOPERATION. HOHE DYSFUNKTIONALITÄT IN KRISENINTERVENTIONEN. Der Leidtragende war ich. Und das wird Konsequenzen haben.