Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2014 30 Okt.

Wo sind die young Valentines?

von: Lajla Nizinski Filed under: Blog | TB | 21 Comments

Ein Medienpaedagoge an der Uni in Leipzig beschaeftigt sich fortlaufend mit jugendlichem Musikverhalten. Es ist eine sehr interessante Forschung, die Prof. Bernd Schorb betreibt. Seine Ergebnisse kann man im Internet lesen. Ich habe mir seine Studie Klangraum Internet – Auf neuen Wegen Musik entdecken durchgelesen. Mich interessierte besonders der Untersuchungspart ueber Jugendliche, die in ihrer Freizeit selber Musik machen. Als ich mir die Statistik genauer ansah, fiel mir auf, dass eine grosse Musikrichtung fehlte. Hier zunaechst mal die Anzahl der Jugendlichen, die Musik machen in Prozent:

 
Rock 47%

Pop 37%

Klassik 23%

House 20%

HipHop19%

Punk 16%

Soul / R’n’B 15%
 

Ich gehoere ja eher zu der Bear Family in Hamburg, deswegen die Frage an die ECM boyz: WO BLEIBT DER JAZZ? Warum fehlt er hier? Was koennte der Grund dafuer sein, dass Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren noch keinen Jazz produzieren? Ist es zu schwer? Das Improvisieren? Ist das Idolisieren wichtig?

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21 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Rutscht wohl unter die 5 %-Klausel. Und die Heldenkultur fehlt. Langweiler wie Nils Landgren oder Till Brönner bedienen andere Zielgruppen. Und dieser Teenagerjazzpianist Jamie Cullum war wohl mehr ein britisches Phänomen.

  2. Lajla nizinski:

    No heroes?

  3. Michael Engelbrecht:

    Helden, Moden, Trends, austauschbar.

  4. Christoph Bledowski:

    Meine erste Jazzplatte habe ich (erst) mit 18 gekauft. Das war Naked City von John Zorn (diese würde viele Jazzhörer nicht als Jazz bezeichnen :-)). Ich vermute dass die Statistik insofern stimmt als dass die meisten Jazzhörer erst im Erwachsenenalter damit anfangen. Warum ist das so? Gute Frage. Vielleicht fehlt es schlicht an Möglichkeiten damit Erfahrung zu sammeln? D.h. erst mit etwas Übung, kann man einen Gefallen an komplexeren Rhythmen/Strukturen/Improvisation finden? Diese meisten Jugendlichen kommen vermutlich sehr selten damit in Berührung.

  5. Henning:

    Am ersten Abend des Tampere Jazz Happening, wo ich zZ bin, waren 90% der Zuschauer zwischen 20 und 30 Jahre alt und der Klub war an einem Donnerstagabend gerammelt voll. Und keineswegs deswegen, weil´s hier eine Kulturwüste in Punkto Angebot verschiedene Musikstile ist, im Gegenteil.

    Auf dem Programm: The Partisans, eine bewährte Truppe aus GB, die im Kielwasser von Weather Report fährt, dann allerdings mit Gitarre und Saxophon (Julian Siegel) UND Elephant 9 (norwegisch/schwedisch) mit Tastengenie Ståle Storløkken. Elephant 9 ist ein ziemlich krachend-bebendes Gebräu aus Rock, Groove und Jam. Alle Musiker kommen vom Jazz ausser Gitarrist Reine Fiske. Der Jazzfaktor steckt in der Art der Neuverwertung.

    Es wäre reichlich merkwürdig, wenn sich Jugendliche bewusst auf das Spielen von Jazz richten würden. Irgendwas stimmt dann mit ihnen nicht oder es sind Nerds. Was es ja gibt. Eine andere Sache ist es natürlich, wenn sie in Jazzensembles spielen. Das ist eine gute Schule für alle Musik, die sie später machen.

    Kategorisierungen sind für manche Zwecke unvermeidlich und können eventuell nützlich sein. Warum bedienen sich Forscher von Kategorisierungen, die in allererster Linie der Vermarktung von Musik geschuldet sind? Was ist die Aussagekraft von solchen Forschungen? Bringen sie Erkenntnisgewinn? Oder nur alte Hüte? Sieht mehr nach Letzerem aus.

    Ein bisschen weiter kommt man hoffentlich, wenn man sich musikalische Subkulturen und deren Funktionieren genauer anguckt. Dabei kommt man dann auch auf die musikalischen Strategien und die Erfordernisse, die sie an Ausführende stellen. Schönes Beispiel, wie sowas im indviduellen Fall und spezifischen kulturellen Randbedingungen laufen kann, ist in dieser Geschichte nachzulesen:

    Hanna Paulsberg: „Home Grown Concepts“ (allaboutjazz)

  6. Jan Reetze:

    Eine Minderheitenmusik ist Jazz schon seit langem, nur gab es früher die eine oder andere Radiosendung, die man hören konnte und in der auf Jazz hingewiesen wurde. Welcher Sender macht das heute noch, außer dem Deutschlandfunk morgens um 4, wenn garantiert keine Jugendlichen zuhören?

    Und hier in den USA weiß selbst die Black Community kaum noch etwas über Jazz. Die Kids (auch meine Studenten, als ich hier mal kurz einen Lehrauftrag hatte) glauben, die schwarze Musik sei schon immer der Hiphop gewesen. Woher sollen sie es besser wissen? Als Afrika Bambaataa oder Grandmaster Flash ihre Karrieren begannen, waren die noch nicht geboren. Ich wäre nicht mal mehr sicher, ob die Kids *die* noch kennen.

  7. Lajla nizinski:

    Dittsche würde sagen das Stichwort sei „merkwürdig.“

    Der Jazz kommt vom Blues, oder? Adorno … – nein der jetzt nicht. Die Voraussetzungen (Talent, Wissen), Jazz zu spielen, sind so viel höher als beim Hiphop. Ist man ein Spießer, wenn man als junger Mensch eine Jazzschülerband gründet? Sind die Instrumente zu teuer zu groß? Gibt es diese Kellerbaratmosphäre nicht zuhause? Ja wirklich merkwürdig.

    Henning. Wir sind Kinder von NölleNeumann. Wir glauben nicht an die Richtigkeit von Statistiken :) Dein Aspekt, dass mit solchen Tabellen Geld gemacht wird, hatte ich garnicht bedacht. Stimmt wahrscheinlich.

  8. Henning:

    Jazz und Blues kommen aus denselben (afro-amerikanischen) Quellen, eine lange Geschichte, in der das Opernhaus in New Orleans eine nicht unwichtige Rolle spielt.

    Zum Rest kann ich nur sagen: ich habe nicht umsonst den Link zu der Geschichte von Hanna Paulsberg hier eingebracht. Ich würde vorschlagen: erstmal lesen und dann die eigenen Vorstellungen daran abarbeiten. Und dann reden wir weiter.

    Jede neue Generation arbeitet (ihre) (Vor)Geschichte anders auf, logisch, aber sie arbeitet sie auf, immer. Nur gibt’s da auch Brüche, Diskrepanzen usw … So isses numa!

  9. Lajla nizinski:

     
    My father was a Drummer
    I hated his sticks
    I do some HipHop
    to get some kicks

     
    It’s not that easy to explain. Too much a clichee …

    You are influenced by music you listen to in your parents house, right? You like the music of the peergroup you´re in, alright. And suddenly you hear a voice and you FEEL: this is the music I like. Yes, thats true what that girl said. The first voice which trapped me was the voice of Ray Davies.

  10. a.h.:

    Merkwürdig auch: Warum kommt man auf mehr als 177% ? Sind die übermusikalisch? Oder doch extrem vielseitig, weil sie mehrere Musikrichtungen machen? –a.h.

  11. Wolfram:

    Wahrscheinlich ist der Unterschied in der Altersstruktur von Newcomern im Pop-etc. und im Jazz-Bereich gar nicht so groß, sieht man mal von den geklonten oder industriell gefertigten Teeniebands ab. Anders sieht es bei den Zuhörern aus: die jungen Jazzfans sind sind nicht mehr ganz so jung, eben 20-30.

    Vielleicht liegt es ja daran, dass in den frühen Jugendjahren zur Abgrenzung von den Erwachsenen die Identifikation mit auch stilistisch eindeutigeren Gruppen und Subkulturen wichtig ist, während in den späteren Jugendjahren, dem eigenen Erwachsensein schon näher, Individuationsschritte möglich und angesagt sind. Da hat der Jazz mit seinem Anspruch auf Individualität zumindest für einen kleinen Teil der Musikkonsumenten eine besondere Bedeutung.

    Mich haben noch zwei weitere Fragen beschäftigt: wieso gibt es außer im klassischen Bereich so viel weniger musizierende Mädchen als Jungen? Und was ist mit den Volks-, Blas-, Dorf- und Stadtkapellen? Ich glaube, dass das ein sehr hoher Prozentsatz unter den aktiven Musizierenden ist. Irgendwo müssen doch die vielen Helene-Fischer-Fans herkommen … (Ich bin seit heute Hanna-Paulsberg-Fan).

  12. Henning:

    Hat was mit dem jeweiligen Prozess der Identifikation zu tun. Der Pianist Django Bates erzählte hier in Tampere gestern eine einschlägige Geschichte von seinem eigenen Werdegang, seiner jugendlichen Identifikation mit Charlie Parker. Genaueres
    in einem späteren Eintrag. In der jugendlichen Identifikationsphase gibt es bemerkenswerte Wechselwirkungen zwischen sich absetzen und Konformismus!

    Und ja … – Hanna Paulsberg: zur Gendersache mehr im nächstem Eintrag.

  13. Henning:

    Mikko Innanen (1978), einer der fähigsten jungen finnischen Musiker – er hat heute hier in Tampere mit seinem grossen Ensemble was abgeliefert, was seinesgleichen in Europa noch finden muss.

    „Having begun to play the alto saxophone at the age of 12, Innanen was determined to become a jazz musician. His early Favorites … as Charlie Parker, John Coltrane …“

    Eigentlich umgekehrt wie bei Paulsberg. Allerdings wuerde man Nuancen erfahren, wenn man ihn direkt dazu befragen würde.

    Und so kann‘ s weitergehen …

  14. Lajla Nizinski:

    Schoen, dass es jetzt diese aktuellen Beispiele gibt, es steht 1:1 [Hannah/Mikko]. Ansonsten ist es durch die Generationen hindurch doch wohl eher eine von Maennern besetzte Musikwelt. Taucht eine junge Musikerin mit einem Saxofon auf oder setzt sich an das Schlagzeug, dann ist das immernoch auffallend und bemerkenswert. Und das betrifft nicht nur den Jazz.

  15. Henning:

    Nein, es hat sich längst geändert. Es gibt reihenweise junge Schlagzeugerinnen und Saxophonstinnen, sowohl im Jazz als in der Klassik. Männliche Harfenspieler gibt’s eher weniger …

  16. Michael Engelbrecht:

    Also nun mal langsam, und nicht so himmelhochjauchzend, Henning, nach dem von dir im Vorfeld hochgelobten Katastrophenteam um Kresten Osgood solltest du mal ein bisschen Zurückhaltung üben.

    So wird dieser mir zugegeben völlig unbekannte Mikko Innanen, Baujahr 1978, doch dann wohl schon ausserhalb von Tampere in einem Tonstudio etwas auf die Beine gestellt haben, „was seinesgleichen in Europa noch finden muss“. Oder???

    Das ist entweder völlig überzogen, oder du nennst mir mal was EINMALIGES von ihm, dass ich mir dann gerne anhöre (obwohl ich leichte Zweifel an deinem Vor-Ort-Enthusiasmus habe) – oder warst du wirklich angetan von diesem hochredundanten selbstverliebten Mist von Osgood und Co. in Kristiansand ???

    Ich habe deine Rezensionen auf allaboutjazz nicht gelesen, insofern keinen Schimmer, wie du das im Nachhinein bewertet hast. Und ich kann auch meinen eigenen „Lieblingen“ gegenüber ehrlich sein: der Auftritt von Laurie Anderson, Arve Henriksen und Christian Fennesz war, all meinen freudigen Erwartungen zum Trotz, ein Desaster, abgesehen von guter Absicht, sowie den ersten fünf und den letzten fünf Minuten.

  17. Henning:

    Ach ja. Thema?

  18. Michael Engelbrecht:

    Thema? Einfach. Junge, interessante Jazzmusiker. Die aller Statistik zum Trotz Feuer fangen. Also, eine Info zu einem grandiosen Album von Mikko Innanen wäre interessant, denn Ottonormalkurven sind doch nicht das Salz in der Suppe. Also, bitte, Thema!

    Und man kann auch auf Tangenten antworten. Man muss nicht am Stoff kleben und kleine rote Striche am Rande von Texten machen. Alter Habitus?

  19. Henning Bolte:

    Henning hat sachliche Info zu Kresten Osgood, Marie Laurette Friis und Dodebum gegeben. Und: wer nicht lesen will, sollte sich dann zum Nichtgelesenen auch nicht allzu sehr auslassen. Scheint mir.

  20. Michael Engelbrecht:

    Mir scheint, du solltest dir das neue Album von Pink Floyd zulegen. Genau die Polarität zu diesem Dänentrio, aber: gkeiche Redundanz, gkeiche Langeweile, gleiche Monotonie. Du würdest staunen.

  21. Michael Engelbrecht:

    Reprise / file under „sachdienlich“:

    – Michael, was war das enttäuschendste Konzert, das du in diesem Jahr gesehen hast?

    – Maria Laurette Friis / Kresten Osgood / Dodebum: das war beim 10. Punktfestival in Kristiansand und fing recht spannend an. Frei improvisierte Musik. Wie ein Abenteuerspielplatz für Erwachsene. Interessante Sounds, kleine Überraschungen, aber dieser Überraschungseffekt nutzte sich schnell ab.

    – Wie das?

    – Die Musik drehte sich endlos im Kreise, ohne dass eine ihrer Wiederholungen spannend war. Das Publikum war sehr geduldig, und ich weiss, dass Langeweile mitunter spezielle Bewusstseinszustände erzeugt, wenn man sie lang genug aushält. Da kann auf einmal ungeahnte Energie durch dich strömen, enorme Wachheit einsetzen, aber dieser pseudofreisinnige Jazz war total selbstverliebt und richtete keine Öffnungen ein, keine breaks – ich fürchte, die Musikanten waren ganz beeindruckt von ihrem Tun. Ich denke, diese Erfahrungen hatten sie relativ exklusiv.

    – Kanntest du die Band?

    – Nein, nur eine ganz freie, feine Duoplatte von Paul Bley und Kresten Osgood. Mit den Musikern sass ich Stunden vorher im Foyer. Da erzählte mir Kresten, meiner bescheidenenen Meinung nach, ziemlichen Blödsinn über die Rolle von Musikjournalisten. Ich habe gleich Einspruch eingelegt, es war so schwarzweisses, krudes Zeug, dass ich mich nicht mehr genau erinnern kann. Ich bin aber sicher, dass dies meine Wahrnehmng des Konzerts in keiner Weise beeinflusst hat.

    – Bist du die ganze Zeit über dageblieben?

    – Nein, zum Glück nicht, nach einer gefühlten Ewigkeit bin ich rüber ins Hotel gegangen und habe mich geduscht. Als ich wieder kam, haben die immer noch gespielt, das gleiche Zeug. Ich dachte, ich bin in “Täglich grüsst das Murmeltier”. Später kam mir ein Freund entgegen und sagte, dass sei wohl die Band gewesen, die kein Ende fand. Ein anderer Kollege war regelrecht erbost, er hat einen viel konservativeren Geschmack als ich, aber in diesem Fall konnte ich nur mit ihm übereinstimmen. Angeblich sei der Vorhang zugezogen worden, während die Band noch spielte! Ich nehme mal zu ihren Gunsten an, sie hatten einen schwachen Tag. Allerdings muss das ein sehr schwacher gewesen sein. Wer sowas positiv umdeutet, nennt das gerne “harte Kost”. Aber das war einfach nur schlechte Musik.

    – Oder ist “hard core free improv” nichts für dich?

    – Das hast du aber schön gesagt. Nein, es gibt wunderbar wilde Sachen auf diesem weiten Feld, das du “hard core free improv” nennst. Dieses Raster sind eh immer zu grob. Aber zwei Beispiele: ich habe jüngst die neuen bzw. bald erscheinenden Alben von Jokleba (Outland, bei ECM) und Sidsel Endresen / Stian Westerhus (bei Rune Grammofon) gehört. So geht “Grosse Radikale Kunst”. Kunst, die Spiegel ist, Hammer, und Fenster.


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