Manafonistas

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2014 30 Okt.

„Talking Comic Opera“

von: Michael Engelbrecht Filed under: Gute Musik,Musik vor 2011 | TB | Tags:  | 1 Comment

 

 

Michael Engelbrecht: Robert, du hast zwar nie die Macho-Kappe auf, aber Dein Album „Comic Opera“  enthält einige Parallen zu Bob Dylans „Modern Times“: die Figuren der Lieder sichten letzte Spuren von Liebe, streunen durch die Schlachtfelder der Gegenwart und träumen schlussendlich alten Utopien hinterher.

Robert Wyatt: Das Album kenne ich nicht, aber vor kurzem hörte ich mir einige Male Dylans Blood On The Tracks an, ein spukiges  Werk! Der Jazz prägte mich aber viel mehr als die Rockmusik der Sechziger und Siebziger Jahre. Denke ich an den Summer Of Love zurück, sehe ich erst mal nur den letzten Zug nach West Dulwich und einen leeren Kühlschrank vor mir.

– „Lost In Noise“ heisst der erste Akt deiner gar nicht nach Oper klingenden „Comic Opera“. Der Rausch der Liebe ist  oft nurmehr ein Rauschen: in dem Song „A.W.O.L.“ sendet ein altes Metronom letzte Zeitzeichen … 

–  … und es funktioniert kaum noch richtig, pumpt wie ein altes Herz. Der Titel bezieht sich auf das Verbrechen desertierender Soldaten: „absent without leave“. Alfie und ich kennen mittlerweile einige Witwen, die nach dem Verlust ihrer Partner ihr Leben neu konstruieren. Die freundlichen Geister um sie herum wirken gleichzeitig desorientierend und beruhigend.

–  Auch der Jazz geistert durch deine Songs auf eine seltsame Weise. Sie docken dabei an keiner bestimmten Ära an. Nur wenige Musiker der Popgeschichte sind so eigenwillig mit dem Jazz umgegangen, mir fallen da noch die späten Talk Talk und Joni Mitchell ein – da gab es nicht diese aalglatten gefühlsechten Imitate. 

– Imitation ist langweilig. Joni Mitchell wählte einen sehr persönlichen Zugang zum Jazz für ihr Album Mingus. Selbst als sie den Evergreen des schwarzen Bassisten sang, „Goodbye Pork Pie Hat“, folgte sie ihrer eigenen Stimme und entfernte sich ein Stück von dem Original. Trotz meiner Liebe zum Jazz kommt mir die amerikanische Musik des 20. Jahrhunderts oft so fremd vor wie die Musik von Aliens. Bei der rhyhtm section im Jazz mochte ich immer den Puls und die vieldeutigen Basslinien. Die rhythmische Basis wurde oft nur angedeutet, wie das Rauschen von Blättern im Wind. Ich suche gerne nach neuen perkussiven Farben für einfache melodische Linien.

– Das Saxofon von Gilad Atzmon und die Posaune von Annie Whitehead klingen rau und intim. Da ist bei aller Songfinesse nichts Veredeltes im Spiel. Das gilt auch für dein Trompetenspiel. 

– Ich bin letztlich nur ein altmodischer Popmusiker. Die Trompete habe ich anfangs zu alten Platten von Cole Porter gespielt, und dann, um ein Stück weit die Höhen zurück zu erobern, die meiner Stimme abhanden gekommen sind. Jetzt sind meine Helden alle tot, Don Cherry, Miles, Mongezi Feza, sie können nicht mehr beleidigt sein. Im übrigen hat das Spiel alter Trompetenmeister meine Art zu singen mehr beeinflusst als irgendeine andere Stimme.

– Die hinreissende Ohrwurm-Melodie  „Just As You Are“, die Du mit Monica Vasconcelos vorträgst, klingt wie ein verlorener Song von Burt Bacharach …

– Wenn es da eine Anspielung gibt, ist es wohl die früheste amerikanische Folkmusik. Man könnte Spuren von Gospel und Country ausfindig machen. Während der Aufnahmen in Phil Manzaneras Studio entedeckte ich Duette von Bob Dylan und Johnny Cash, die mich sehr berührten –  der jüdische Intellektuelle und der Südstaatenrocker mit dem guten Herzen …

– Nachdem du in den Songs „A Beautiful War“ und „Out Of The Blue“ abwechselnd in die Haut von Attentäters und Opfers geschlüpft bist, hört man deine Stimme im dritten Akt der „Comic Opera“ nur noch spanische und italienische Texte singen.    

– Für mich sind diese letzten Stücke und Songs ein Bündel von möglichen „Exit“-Strategien in einer unerträglich brutalen Welt. Da bin ich offen für Sinnsuche, für Bedeutungsreste, für jeden Lichtblick. Ich mochte die ergreifende Melodie von  „Del Mundo“; der Song basiert aber auf der mystischen, geradezu feminstisch anmutenden Weltsicht eines katholischen Komponisten. Da spukte wohl in jungen Jahren in seinem Kopf die Idee rum, daß wir es mit einer Erdenmutter besser haben würden als mit einem männlichen Gott.

– Wenn du „Hasta Siempre“ von Carlos Puebla interpretierst, klingt die alte Utopie revolutionärer Ideale an. Und wo ist der Ausgang bei Federico Lorcas „Cancion De Julietta“, einem seltsam dunklen Text voller Weltferne? 

– Diese dunklen Träume sind nicht immer nur alptraumhaft, sie öffnen auch eine neue Landschaft aus verstörenden Bildern. Und das macht Lorca oft. Oft sind seine Motive gleichsam unter Wassser angesiedelt, in einem Leben unter der der Oberfläche des  Ozeans. Tief unten. Das spricht mich sehr an, denn diese Zonen stelle ich mir oft vor, seit der Zeit, in der mein Album Rock Bottom entstand. Mit meinem Geist scheine ich einmal dort gewesen zu sein, auf eine Weise, die ich nicht weiter erklären kann.  

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