Ein Klavier zu kaufen, das ist keine einfache Sache. Natürlich wird es zunächst einmal ausschließlich um den Klang gehen. Ich erinnere mich gut, dass ich vor vielen Jahren an einem Nachmittag im Spätherbst die Verkaufsräume eines Stuttgarter Pianohauses betrat und mir alle vorhanden Instrumente vorführen liess. Ich bat den Verkäufer stets dasselbe Jazzstück zu spielen, setzte mich in die Nähe des jeweiligen Klaviers, schloss die Augen und genoss die verschiedenen Klangfarben dieser Instrumente, der Preis sollte zunächst keine Rolle spielen, ich war auf der Suche nach meinem Klang. Natürlich kam es dann schlussendlich auf mein finanzielles Budget ganz entscheidend an, aber egal, zunächst sollte es nur um Klang gehen. Innerhalb von ca. sechs Wochen war mein Klavierkauf perfekt, ich hatte mich für ein Yahmaha Piano entschieden.
Für Perri Knize, Journalistin aus Missoula (Montana) sollte sich der Kauf eines Klaviers als grundanders, als viel komplizierter darstellen. Sie war jahrelang unterwegs, um ihren Klang zu finden und als sie ihn dann im New Yorker Klavierhaus Beethoven Pianos entdeckt, kann sie es nicht fassen. „Ich werde mal das da probieren, sage ich und rutsche zum Grotian-Cabinet-Flügel hinüber. Ich beginne mit Mendelsohn. Das Stück setzt tief im Bass ein; beim Anschlagen der Tasten werde ich von kraftvollen Klangwogen mitgerissen – satt, dunkel, warm, mit singenden Übertönen. Die Mittellage ist rauchig und geheimnisvoll, als töne es aus dem Kehlkopf einer großen Altstimme. Der Diskant ist glockenhell und glitzernd; voller Farbigkeit und schwebend leicht, ein schimmerndes Nordlicht. Ich staune, welche Freude mir der Anschlag bereitet, die Empfänglichkeit der Tasten, es ist, als läge eine unsichtbare Hand darunter, die mich zur Musik geleitet. Im Leib dieses Klaviers scheint eine Seele zu wohnen….Ich schreibe die Angaben vom Preisschild auf dem Notenständer ab: Grotian-Steinweg, neu, 192cm, Modell 192, Seriennummer 154393, zehn Jahre Garantie, $ 32000.“
Der Flügel ist für Perri Knize viel zu teuer, am Ende bekommt sie einen Preisnachlass und kann bald das herrliche Instrument ihr eigen nennen. Doch dann geschieht das Unfassbare, nachdem das Klavier bei ihr angeliefert und aufgestellt wird, hat der Flügel seine Klangfülle, seine Seele verloren. Perri ist untröstlich und beginnt die Suche nach dem verlorenem Klang. „Der Verlorene Klang“, das ist auch der Titel ihres umfangreichen Buches, in dem sie „Die Geschichte einer Leidenschaft“ beschreibt, die jahrelange Suche nach dem für sie perfekte Instrument und den Kampf um die Wiedergewinnung des verlorenen Klanges. Mich haben die über 530 Seiten geradezu gefangen genommen, als läse ich einen spannenden Roman. Nie habe ich soviel über Instrumentenbau erfahren, angefangen vom Auswählen ganz bestimmter Bäume für den Instrumentenbau, bis hin zur Intonation. Die Autorin besucht sogar die Firma Grotian in Braunschweig und die Wälder in Österreich, wo die Hölzer für die zukünftigen Instrumente geschlagen werden. Die Washington Post schrieb über das Buch: „Ein bewegender, sehr persönlicher Bericht und zugleich eine umfassende und leicht verständliche Lektion rund ums Klavier – unglaublich spannend.“
So, und jetzt werde ich einige Schallplatten mit Bachs Goldberg-Variationen auflegen, zunächst die Aufnahme von Glenn Gould von 1955, dann die von Andras Schiff (ECM-New Series aus dem Jahre 2003) von Keith Jarrett (ECM New Series aufgenommen 1989) und schließlich die von Grete Sultan au dem Jahre 1996 – kleiner Klangtest!
2014 11 Sep
Gregor öffnet seinen Plattenschrank (80)
von: Gregor Mundt Filed under: Blog | TB | 4 Comments
4 Comments
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Michael Engelbrecht:
Ich stelle mir gern diese „rauchige Mittellage“ vor. A propos expressionistische Tiefenlage: du weisst ja sicher schon, dass Scott Walkers neues Album am Tag vor meiner nächsten Radionacht Klanghorizonte erscheint? Und dass es eine Kollaboartion mit jener Band ist, deren Namen ich fast immer falsch schreibe: Sunn O)))?
Und dass wir eins ihrer wildesten Alben (da spielte sogar Julian Priester mit) bei dir spätabends gehört haben, als wilder Blitz und Donner in der Nähe deines Städtchens tobte, und wie beides sich perfekt mischte. Das war unvergesslicher als der gute Rotwein mit „rauchiger Mittellage“, den wir damals bei dir tranken :)
Es hat eigentlich nur noch ein Tornado gefehlt, der, ohne wie durch ein Wunder, einen Menschen zu verletzen, beim Blick aus dem Fenster auf einer grossen Wiese ein paar teuflische Kreise gedreht und sich dann in Luft aufgelöst hätte.
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Gregor:
Genauso war es! Echt!
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Wilfried:
Mich erinnert eure Beschreibung an den kürzlich gesendeten Film „Pianomania – Die Suche nach dem perfekten Klang“, gesendet auf 3sat. Dieser Film zeigt sehr ausführlich die Arbeit des Meisterstimmers und Cheftechnikers von Steinway & Sons Stefan Knüpfer. Man beschreibt die Suche nach dem perfekten Klang bis auf die winzigste Tonnuance, dass dahinter auch ein kleines bisschen Wahnsinn versteckt ist – geschenkt. Unbedingte Empfehlung, zu sehen in der Mediathek.
Ach ja: Buch für den Herbsturlaub schon bestellt
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Gregor:
Ich hab damals diesen Film in einem kleinen Kino hier in Stuttgart gesehen, inmitten lauter KlavierstimmerInnen und lauter Handwerkern rund ums Klavier. Toller Film, da hast du recht, ich habe ihn mir im Zusammenhang mit dem Buch nochmals angesehen.