Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2014 6 Sep.

Mein Tag als „Electronic Griot“

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 5 Comments

Ich stand früh auf und ging duschen. Über Spotify liess ich auf Endlosschleife einen Song von The The laufen, „This Is The Day“, kleiner Affirmationstrick. Ich duschte lange, und liess am Ende den Wasserstrahl eine Minute eiskalt sein Werk verrichten. Ich frühstückte mit Christoph Giese und Jan Bang, und wie immer, wenn wir drei zusammensitzen, gibt es gute Musikgespräche – und viel zu lachen. Gestern eine Story aus Dublin, welche das Zwerchfell in Schwung brachte. Danach ein gutes, etwas ernsteres, Gespräch mit Henning.

Um 11 Uhr begann der Soundcheck für meine „Electronic Griot“-Performance damit, dass Tony Valbergs Tischlampe von 1953 einen Wackelkontakt hatte. Er besorgte eine Ersatzbirne. Der CD-Player mit den acht vorbereiteten Tracks spielte die Musik nicht ab, es musste ein Ersatzgerät herbeigeschafft werden. Ich wurde etwas nervös, aber schliesslich war alles geregelt, der Raum angenehm verdunkelt, wie nachts im Deutschlandfunk. In der Lounge sassen Fiona Talkington und Laurie Anderson, die ich begrüsste und an unsere zwei Begegnungen in den Neunzigern erinnerte. Sie freue sich auf meinen Vortrag, sagte sie, ich hatte sie im Vorfeld dazu eingeladen.

Mich überkam eine angenehme tiefe Ruhe, kein Anflug von Lampenfieber, ausser der latenten Furcht, Tonys Lampe aus dem letzten Jahrhundert würde mal zwischendurch den Blick auf meine Papiere verdunkeln, aber es gab ja eine zweite Glühbirne. Um 11.45 Uhr startete auf dem Schallplattenspieler das Ensemble Economique, und der Saal füllte sich. Um 12 Uhr ging ich zu meinem IPad in einer hinteren Ecke des Raums (mit dem tragbaren Mikrofon war ich mobil) und legte los, las die letzten zwei Abschnitte der Short Story von Richard Brautigan. „I had never seen anybody set fire to a radio before.“ Und das Ende mit den brennenden Liedern.

Ich ging zu meinem gemütlichen Sitzplatz, der Raum war gut gefüllt. Ich war konzentriert und seltsam entspannt, einige meiner Geschichten hatten ein trauriges Ende, und verströmten einen Hauch von Melancholie, wie der Anblick von Herbstblumen, die ihre Köpfe hängen lassen. Die Zeit verging wie im Flug, die Zuhörer waren aufmerksam, lachten viel, und ich bekam einen sehr herzlichen Applaus. Ich beantwortete noch ein paar Fragen. Wildfremde Menschen und einige gute Bekannte bedankten sich für meine Show. Beim Hinausgehen kam ein junger Mann zu mir, der mir verriet, er habe an zwei Stellen Tränen in den Augen gehabt. Eine Frau fragte mich, ob meine Nachtsendung in Köln genauso ablaufen würde, und ich sagte, ja, genau in der Art, ich würde nur das Wort „fuck“ weglassen. Laurie Anderson sah mich, kam zu mir und sagte, mein Vortrag habe ihr wunderbar gefallen. Und noch zwei sehr schöne Sätze mehr. Ich brachte meine Cds und Schallplatten aufs Zimmer und kehrte sofort in den Seminarraum zurück, wo Jana Winderen, eine Soundforscherin aus Oslo, die sich gern in der Nähe von Eisbergen rumtreibt, und Mike Harding vom englischen Label Touch ihren Vortrag hielten.

Danach betrat Laurie Anderson das Podium, und erzählte von dem Film über ihren erblindeten Hund, und wie er mit seinen Pfoten auf den Tasten eines Pianos zu einer besonderen „Hundemusik“ beitrug. Laurie versteckte sich nicht hinter ihren Geschichten, und erzählte sehr persönliche Dinge. Mit der Technik gab es einige Probleme, und auch sie hatte plötzlich, wie ich zuvor, eine hölzerne Stuhllehne in der Hand. Bei ihrer letzten Story war das Ende, mit ihrer unnachahmlichen Stimmmodulation, so sinnlich wie bitter, unvergesslich.

Später ging ich was futtern mit Mike Harding und Jana Winderen (deren Duoarbeit mit Thomas Köner ab heute bei „Touch“ als digitale WAV-Datei verfügbar ist (auf unseren „Blogroll“ schauen, Freunde guter Musik!) Der Tag hielt noch etliche gelungene Konzerte bereit, am Ende kam eine sehr sympathische junge Madrilenin auf mich zu, die das letzte Kompliment des Tages bereithielt. Irgendwann fiel ich totmüde ins Bett und träumte von den Beatles in Mono!

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5 Comments

  1. Lajla nizinski:

    Das hört sich alles beneidenswert tempting an. Die hölzerne Stuhllehne macht euch ja fast zum echten Griot. Ich hörte mal einem in Accra zu. Der hatte ein mächtiges Holzschwert und schlug damit lebhaft um sich.

  2. Gregor:

    … wenn ich doch nur dort sein könnte … aber deine Beschreibung und deine Infos sind so gut, dass ich mir alles bestens vorstellen kann.

  3. Babsi:

    What the heck ist denn eigentlich ein „Griot“?

    Babsi aus dem tiefsten Yukon

  4. Michael Engelbrecht:

    Schön, von euch zu hören … bald ist ja langsame Heimkehr angesagt :)

    Griot [ɡʀiˈo] (französisch), bezeichnet in Teilen Westafrikas einen berufsmäßigen Sänger, Dichter und Instrumentalisten, der in einer bestimmten Form des Gesangs epische Texte als Preissänger, Geschichtenerzähler, Lehrer oder rein zur Unterhaltung vorträgt. Griots tragen dazu bei, dass durch mündliche Überlieferung traditionelles Wissen weitergegeben wird.

    Lieber Gruss an Klaus …

  5. Michael Engelbrecht:

    Babsi, ich mailte meine Ankündigung der Lesung an Brian, ein Teil davon war dies:

    „There are some radio shows in the world that ignore the limitations of genres. For instance, Fiona Talkington´s “Late Junction” (BBC) or Michael Engelbrecht´s “Klanghorizonte” (Deutschlandfunk). A song by Mark Hollis (Talk Talk) can be played in a row with a John Cage piano track, an interplanetary Sun Ra excursion, Brian Eno´s “Lullaby for the End of the World”, some weirdness from the infamous “Punkt” family, an ECM classic from the 70´s – and a field recording from the Outer Hebrides. The question is how to create a unified vison from such different sources without delivering a “high brow” post-modern exercise in “anything goes”. One answer: you have to spend a lot of time on the “sequencing” of the tracks, and the stories you´re telling. In fact, the future of non-mainstream radio is in parts connected to old traditions of griot, campfire stories, and very personal contribitions of the “nighthawk” at the microphone. Listen to a special “radio perfomance” by Michael Engelbrecht that will combine controversial thoughts on music, with a series of tracks from the broad field of “textural minimalism” – and some late night stories told in the middle of the day!“ (…)

    Und ein Teil der Antwort von Brian Eno war:

    „This sounds fantastic Micha. I love the idea of a radio DJ being an electronic Griot. That makes perfect sense to me – a DJ is somebody who connects dots you hadn’t noticed, or hadn’t ever thought could be connected. Someone who makes new shapes in the culture.“

    Ob ich damit „new shapes in the culture“ anrichte, halte ich für reichlich übertrieben, aber der Rest stimmt einfach. Er kam also auf den Ausdruck „Electronic Griot“, weil ich ja viel mit elektronischer Musik mache – und mit den Empfehlungen und Kommentaren von Brian, Laurie Anderson und Hamid Drake (der wie Laurie im Publikum sass, ein exzellenter schwarzer Drummer) werde ich nun eine kleine „electronic Griot“-Tour durch kleine europäische Clubs planen, mein erster Ansprechpartner wird das Domicil in Dortmund sein, wo ich dann natürlich auch mindestens drei Jazzstücke einbauen würde :)


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