Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2014 6 Aug.

Musikschreiberei #1

von: Henning Bolte Filed under: Blog | TB | Tags: , , | 6 Comments


 
 
 
Morgens (durch)kämmen
 
Morgens ein paar Webmagazine checken. Ein Artikel über eine Aufführung des Roaratorio von John Cage in einer Höhle in Irland als Teil eines Beckett-Festivals. Das Roaratorio ist in der Tat ein grossartiges Stück, das man sehen sollte. Im Bericht darüber werden die üblichen Ketten genannt oder heruntergebetet: James Joyce, Samuel Beckett, Finnegans Wake, John Cage. Aha! So wird Grösse indiziert und werden Kulturbestände für die Erinnerung aufbereitet. Damit was haften bleibt, muss es möglichst oft möglichst formelhaft wiederholt werden. Es ist eine viel (aus)geübte Kolportagepraxis. Ich habe gerade in diesem Zusammenhang noch nie das Gefühl gehabt, dass die Schreibenden auch nur eine Zeile von Finnegans Wake gelesen oder – von Joyce selbst vorgelesen – gehört haben (leicht auf Internet zu finden). Idem dito in bezug auf Beckett.

Das deutsche Jazzinstitut in Darmstadt forstet alle wichtigen Tageszeitungen etc. der westlichen Hemisphäre durch und siebt dann alle jazzbezogenen Sachen heraus. Ist schon ein bunter Reigen jedesmal. Diesmal blieb natürlich das satirisch gemeinte Stück im New Yorker im Netz hängen, in dem so getan wird als ob Sonny Rollins sich zum mieserigsten Jazzbasher gewandelt hat. Das Ding hat ja einen Sturm ausgelöst, in dem der Meister einen Redestrom produziert, der ebenso ausdauernd wie seine Instrumental- improvisationen ist (auf Internet leicht zu finden). Einiges von dem Jazzbash blitzte auch kurz auf Manafonistas im Zusammenhang mit Robert Crumb auf. Sommerloch, wo eine Menge Unterschwelliges Raum gewinnt?
 
 
Krautschuss
 
Beim Lesen stösst man natürlich auch auf die Blüten, Unarten und den Krautschuss der Zunft. Man möchte dann so einiges archivieren, um es weiter aufzubereiten, kann oder will sich dann aber für solche Metapraxis nicht die Zeit nehmen.

Hier nur eine Probe des Tages aus der Frankfurter Rundschau:

“Nichts wirkt formelhaft, obgleich sie sich nicht einen Millimeter über ein schon um das Jahr 1970 herum jazzhistorisch ausformuliertes Koordinatensystem hinaus bewegt, mit Miles Davis als stilbildendem Übervater und einem steten musikalischen Fluss als strukturellem Prinzip.”

Wieder die Ketten. Und die Selbstdementierung in Sachen Formelhaftigkeit. Und wenn man über Jazz schreibt, ist offensichtlich die Hauptfrage, wie man Miles Davis erwähnt kriegt. So wie hier z.B.. Eine verblüffende starke Figur ist aber zweifellos der stete musikalische Fluss als strukturelles Prinzip. Ein markantes Merkmal, in der Tat!

Ja, und so arbeitet man sich dann weiter durch noch andere Gehölzer. Jetzt keine Aufzählung oder Nennung der Magazine.
 
 
Kochen, Essen
 

Musikschreiberei hat ja gewisse Ähnlichkeiten mit Kochen. Man muss vieles ausprobieren, wissen wo man gute Ingredienten bekommen kann, man muss einkaufen gehen, Zutaten gut bewahren und dann alles vor- und zubereiten, bevor es in die Pfannen geht. Die Zeit und Energie, die da hinein geht, ist eine ganz andere als die beim Aufessen. Wenn’s schmeckt merkt’s der Esser und machmal bringt er/sie’s auch zum Ausdruck. Beim Essen ist es so, dass man’s auch sehen kann. Nun, eine Menge Parallelitäten mit Musikschreiberei und Musikleserei. Von der es inzwischen so viel gibt, dass niemand mehr erfahren kann, was es heisst, wenn’s fehlt oder Schmalhans der Koch ist. Fastfood und Fuzzyküche und Schladderamm regieren. Nun, in andere Zeiten gab es weniger Kritiker. Einige schrieben durchgängig Scheiss, andere wurden mit voll Spannung und tiefem Ernst gelesen.
 
 
Und sonst?
 

In der Werkstatt wird ja immer an verschiedenen Sachen gebaut. Einem Artikel über Dorothy Darrs wunderbarem Portrait von Charles Lloyd, Arrows Into Infinity, Liner Notes zu einem neuen Album von Lucian Ban, Mat Maneri und Albrecht Maurer, einem Artikel über den norwegischen Schlagzeuger Gard Nilssen. Eine ganz Menge Fertiges ist die letzten zehn Tage rausgegangen, hat das Licht der Leserwelt gesehen oder wird es im Laufe der nächsten zwei Monate sehen. Auch in den Nebenräumen tut sich eine Menge. Ja, und viel Zeit verbringt man im Magazin auf der Suche nach abgelegtem Material. Interviewaufnahmen, alte Artikel, Notizen, Photos. Manchmal weitet sich die Suchaktion zu einer Aufräumaktion aus, was dann immer mehr Zeit erfordert. Dabei träumt man dann von einem Supersystem, in dem alles im Handumdrehen gefunden und verbunden werden kann. Wenn man das bauen würde, hätte man allerdings keine Zeit mehr übrig für dasjenige, dem es dienen soll. Charles Lloyd erstmal dann. Aus der Erinnerung an etliche Treffen und Gespräche schöpfen. Treffen, die man auch einfach nicht vergisst.
 
 
Besprochenes
 

Vor der Besprechungsauswahl ist ordnen, checken und anhören angesagt. Und hier das Besprochene. Einiges zu einigen später vielleicht auch noch auf Manafonistas! Ein ganz besonders Album ist Jamie Baums In This Life. HIER ist bereits einiges von mir dazu zu finden. Ihre Musik ist auch als RADIO ON DEMAND jederzeit mit einem MausKLICK zum Anhören verfügbar.
 
 
Angles 9Injuries. Clean Feed

Antoine Berjeaut Wasteland feat. Mike Ladd. Fresh Sound New Talent.

Henry Butler/Steven Bernstein And The Hot 9 Viper’s Drag. Impulse

Jamie BaumIn This Life. Sunnyside

Sylvie Courvoisier TrioDouble Windsor. Tzadik

Andy Emler/Claude Tchamitchian/Eric EchampardSad And Beautiful
La Buisonne

Hess/AC/HessSpacelab. Gateway

KUU!Sex gegen Essen. Shoebill

Hans Lüdemann Trio IvoireTimbuktu. Intuition

Håkon Thelin/Stefano Scodanibbio a Stefano Scodanibbio. Atterklang

 

[Abbildung: Giorgio Manganelli von T. Pericoli ]

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6 Comments

  1. Gregor:

    Finnegans Wake von Joyce selbst vorgelesen, das ist schon eine tolle Sache, aber richtig Spaß macht es doch erst, wenn man sich selbst an die Arbeit macht und mal den einen oder anderen Satz, die eine oder andere Seite dieses verrückten Buches versucht zu übersetzen. Wow!
    Übrigens, kennst du das herrliche Bild von John Cage, als er über dem Grabstein von Joyce in Zürich schaut?

  2. Henning:

    Ja, das ist eine gute Weise des Lesens, wunderbar.
    Nein, das Bild von Cage kenn ich (noch) nicht!

  3. Uwe Meilchen:

    Auch bei der Rezeption von Arno Schmidt wird immer empfohlen, es (sich) laut vorzulesen.

  4. Michael Engelbrecht:

    A promising new series: MUSIKSCHREIBEREI. Über die eigene Schulter und den Rand des Zeitungspapiers schauen. Metamatik für Systemdenker und Zufallsverwandler. Aber, ähem, wer wurde da nun lobend in Beziehung zu Miles D gestellt?

  5. Henning Bolte:

    http://www.fr-online.de/musik/tineke-postma-jazz-im-palmengarten–weit-mehr-als-gediegen,1473348,28009232.html

  6. Henning Bolte:

    Eine von vielen Stimmen zum Rollins-Stück im New Yorker:

    „I could understand The New Yorker satirizing the tiresomeness of most „mass-media“ jazz writing, with its endless name-dropping of the same names and its bottomless nostalgia, but the New Yorker piece is just bad. …“


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