Ich gehöre zu den Leuten, die, wenn sie ein neues Buch in die Finger bekommen, gerne zuerst mal schauen, wer denn so alles in den Danksagungen genannt wird. Ist ja schließlich interessant.
Als ich Diedrich Diederichsens opus magnum „Über Pop-Musik“ gelesen habe, musste ich schmunzeln, als ich dort in den Danksagungen neben vielen unbekannten, einigen erwartbaren und einigen überraschenden Namen unter anderem auch „Govi Heußweg“ erwähnt fand – ein kleiner Plattenladen in Hamburg-Eimsbüttel, der Anfang der Siebziger Jahre in einen ehemaligen Bäckerladen eingezogen war und zwar kein großes, aber genau das richtige Repertoire hatte – und noch dazu als Preisbrecher agierte. (Govi bot die damals noch preisgebundenen 22-Mark-Platten für durchweg um 15,90 an und trug damit sicherlich nicht unwesentlich zum Ende der Preisbindung bei. Später versuchte man, eine Art deutsches Virgin zu werden. Das ging schief. Immerhin aber konnte Govi letztlich als Kapitalgeber zur Gründung von Sky Records beitragen und soll auch dafür unvergessen bleiben.) – Diederichsen und ich werden uns in diesem Geschäft wohl etliche Male über den Weg gelaufen sein, unbekannterweise.
Diederichsens recht umfängliches Buch (470 Seiten) übrigens habe ich von Anfang bis Ende gelesen. 150 Seiten weniger hätten es wohl auch getan, trotzdem ist das eine lohnende Lektüre, wenn man über Popmusik in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext nachdenken möchte. Denn auch wenn man nicht immer mit allen Schlüssen und Behauptungen einverstanden ist: Hand und Fuß hat es meistens doch. Was er hier versucht, ist nichts Geringeres als eine Analyse des Phänomens Popmusik als soziales Phänomen, wobei er das Kriterium für Popmusik in ihrer Leistung sieht, „soziale Verhältnisse zugleich zu verkörpern und in Bewegung zu bringen“ (S. 393). Da grüßen Adorno und andere übliche Verdächtige nicht nur durch, sondern es gelingt Diederichsen immer wieder, deren Theorien auf die Popmusik anzuwenden und neu zu formulieren. Interessanterweise (da sind wir wieder bei Govi Heußweg) ist Diederichsen dabei immer dort besonders gut nachvollziehbar, wo er von seinem eigenen Erfahrungshorizont und seiner eigenen (pop-)musikalischen Sozialisation ausgeht – und die ist eindeutig in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern zentriert. Das ist sein Ausgangspunkt, von dem aus er auf frühere Musikentwicklungen zurückblickt, und das ist auch sein Startpunkt, von dem aus er auf spätere Musikentwicklungen schaut.
Neben allerlei arg billigen Sticheleien (etwa seine Bemerkungen über den von ihm so bezeichneten „Knallkopf“ Eric Clapton, was immer man von ihm auch halten mag) gelingen Diederichsen dabei immer mal wieder einmal fast epigrammhaft Erkenntnisse, die auf den Punkt treffen: Etwa jene, dass eine Popmusikkarriere nicht mit Gitarren- oder Klavierunterricht beginnt, sondern vor dem Spiegel mit der Frage: Als was will ich gesehen werden? Oder jene, dass die Zeitgeistpresse der Achtziger Jahre damit begann, die Akteure der Popszene aufgrund ihres Styles zu „lesen“ und zu interpretieren. Das kannten die Siebzigerjahrekids so noch nicht. Oder diese: „Die ganze [heutige] Pop-, Rock-, Soul-Welt könnte bis auf Weiteres mit der fortgesetzten Wiederveröffentlichung aller Tonträger des Jahres 1971 zufrieden gestellt werden. Neu abgemischt, versteht sich“ (S. 449). (Er meint vermutlich „remastert“, aber sei’s drum.)
Trotz allerlei Wortgeklingel und manchem Leerlauf: Mir nötigt Diederichsens Buch einigen Respekt ab.