Yesterday, 1.15 pm, a look from the 11th floor – Pittsburgh in the dark. Auf dem Balkon sitzen, nichts tun, die verbliebene Wärme des Tages genießen, die blinkenden Lichter der Sendemasten am Horizont beobachten.
Dazu im Kopfhörer Filmmusiken von Irmin Schmidt.
Über Schmidts handwerkliches Können braucht man kein Wort zu verlieren. Das hätten andere auch, aber Schmidt hat ihnen etwas Wesentliches voraus: Er hat ein sicheres Gefühl für das, was ein Film braucht, weil er versteht, wie Filmdramaturgie funktioniert. Er hat die bei Filmkomponisten leider nicht allzu oft anzutreffende Fähigkeit, die Stimmung und Atmosphäre eines Films mit seinen Kompositionen zu unterstützen, ohne einfach nur akustisch das zu verdoppeln, was man im Bild ohnehin sieht. Gleichzeitig ist er aber musikalische Persönlichkeit genug, um seine Kompositionen so zu gestalten, dass viele auch für sich allein stehen können. Schmidts Filmmusiken öffnen Räume – innere und äußere. Kopfkino und virtuoses Spiel. Und er kann hier Seiten zeigen, die bei Can so nicht zum Zuge kommen konnten.
Zum Beispiel „Es geht ein Schnitter“ (aus „Rote Erde II“) – eine Trauermusik, wuchtige Mollakkorde auf dem E-Piano, dazu das getragene Cellospiel von Scott Terzaghi. Das wäre kitschig (und würde bei anderen Komponisten wohl auch so stehenbleiben) – wäre da nicht auch, leise zunächst, dann aber stetig in den Vordergrund tretend, Michael Karolis Gitarre, die das Cellospiel in einer Dauerrückkopplung kontrapunktiert. Und plötzlich entwickelt sich aus der Trauer eine zunächst unterdrückte, dann immer offenere Wut – bis das E-Piano mit ein paar Forteakkorden die Oberhand gewinnt und klarmacht, dass es für diesmal bei der Trauer bleibt. Aber man ahnt: Irgendwann im Film wird sie umschlagen.
Oder der „Aller Tage Abend Walzer“ (aus „Es ist nicht aller Tage Abend“, 1984) – ein Piano-Walzer, der in seiner Ruhe zunächst an Claude Debussy denken lässt, sich dann aber im Laufe von 13 Minuten (mit Gerd Dudek am Saxophon, Serge Ferrara am Akkordeon und David Johnson an der Flöte) mit immer undurchschaubareren Hintergrundakkorden und -geräuschen zu einem Horrortrip entwickelt, ohne dabei jemals die Form zu verlieren oder den Hörer plötzlich ins Nichts fallen zu lassen.
Dazu gibt es auch einige kurze Songs; etwa „Roll On Euphrates“ (aus einem Schimanski-Tatort) und noch einige andere. Dass Schmidt nicht wirklich singen kann – geschenkt. Je länger man seine Stimme aber hört, desto mehr gewinnt man das Gefühl, dass es genau diese Stimme ist, die diese Stücke zum Laufen bringt.
Für mich sind das „desert island records“.
Irmin Schmidt: Anthology – Soundtracks 1978-1993 (3 CD). Musiken u.a. aus „Rote Erde“, „Rote Erde II“, „Pizza Colonia“, „Tatort“, „Der Mann auf der Mauer“, „Messer im Kopf“, „Im Herzen des Hurrican“, dazu auch Theatermusiken mit Texten von Heiner Müller.
Irmin Schmidt: Filmmusik Anthology Vol. 4 & 5 (2 CD). Musiken u.a. aus „Palermo Shooting“, „Schneeland“, „Paparazzo“, „Bloch“, „Ich werde immer bei euch sein“.
Weitere Filmmusiken gibt es zum Download auf Schmidts Homepage.