Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

Eine seltene Gelegenheit, die Ausführung dieses Werk von Nono (1924-1990) zu erleben und das Ganze dann noch im ausgedienten überdimensionalen Gasometer des ehemaligen Amsterdamer Gaswerkes (Westergasfabriek). Ein Denkmal vergangener Industriekultur als Kathedrale des (Er)Hörens der Welt … im doppelten Sinne des Wortes!
 
 
 


 
 
 
Kleine Orchester- und Chorgruppen sowie Solisten sind über den ganzen Raum verteilt auf verschiedenen Höhen plaziert, von wo aus sie – angeleitet durch zwei Dirigenten – einander ab- und zuwechselnd agieren. Dies wird dann von vier Mischpulten aus strikt nach kompositorischem Plan/Drehbuch elektronisch subtil weiterbearbeitet. In diesem und durch dieses Gesamtensemble wird ein über zweistündiger Zustand höchster Klang- und Hörkonzentration geschaffen, der mit einem Verklingen vergeht, den man wohl nicht so schnell vergessen dürfte.
Die Anlage dieses vor über 30 Jahren geschaffenen Werkes mag geradezu aktuell und hipp klingen, ist aber in der Hörerfahrung geradezu das Gegenteil des heutzutage servierten überbordenden suggestiven Klangflusses. Prometeo erfordert tieferes Hineingehen in die Klänge, Mit- und Heraushören an Randzonen wie an Zonen des Aufkommens von Klang und sich wiederholenden ritualgleichen Exclamationen. Gestisch, rein, noch ungesättigt. Mit- und Heraushören in einem ständigen Wechselspiel von Sichfügen und Erratischem, einem Wechselspiel von spröder Schönheit, dessen innere Logik sich nicht preisgibt. Es lässt sich nur erahnen, welcher Vision und intuitiv gelenkten kompositorischen Errechnung dieses Klingen geschuldet gewesen sein mag.
 
 
 


 
 
 
Ein durchgängig starker und markanter Beitrag am Ganzen kam von der Tuba, der Bassklarinette und der Flöte. Deren extended sounds sind inzwischen gängiger als zur Zeit der Entstehung des Werkes. Sie bekommen hier Signifikanz in einem grösseren und tieferen Ganzen und gewannen dadurch eine ungemein starke Signifikanz. Die Verlorenheit und Bestimmungsoffenheit dieser Klänge geht allerdings auf langes, ausgeklügeltes Experimentieren Nonos und seiner Mitarbeiter zurück. Das Experimentalstudio des SWR (Heinrich-Strobel-Siftung) spielte hier eine wichtige Rolle. Von hoher Faszination war diesbezüglich auch das Dirigieren dieser randständigen Klanglichkeit durch die Dirigentin Matilda Hofman. Getragen von einer exakten Grundlinienzeichnung glich es in der Indikation der Modulationen und Schlieren am ehesten dem Spielen einer Theremin. Der zweite Dirigent, Ingo Metzmacher, war für den Publikumsbereich, in dem ich mich befand, nur seitlich im Profil sichtbar, wodurch vor allem die gestische Aufforderung zu Tuschs und Crescendos erkennbar wurde. Metzmacher hatte das Glück, in seinen jungen formativen Jahren mit Nono zusammenarbeiten zu können.

Auditives, Visuelles und Räumlichkeit treten in Prometeo auf sehr spezifische Weise auf und treffen auf sehr besondere Weise aufeinander. Man kann den Verrichtungen der meisten Musiker visuell nicht so einfach folgen. Die Musiker sind dezentral plaziert, die Entfernungen sind zu gross und der Klang kommt – durch elektronischen Eingriff – immer wieder aus einer anderen Richtung als dem Ort der visuell wahrnehmbaren Klangquelle. Es ist mithin ein ganzes Ensemble von Eingriffen und Konfigurierungen, das eine das Zu- und Hineinhören beeinflussende spezifische Klangqualität hervorruft. Es prickelte in den Fingern, die Konstellationen sicht- und greifbar zu machen. Sinnigerweise verhinderte dies das Photographier-Regime: es während des Konzerts grundsätzlich nicht erlaubt.

In der zweiten Hälfte schienen die Klänge (und das Zuhören!) fliessender und geschmeidiger zu werden. Aber war es wirklich so oder war es ‘nur’ eine Folge der vorgängigen Hörarbeit? Wie dem auch sei, es war in toto eine musikalische Hörerfahrung der besonderen Art mit einem grossen Einwirkungs- und Nachwirkungseffekt!
 
Aufführung beim diesjährigen Holland Festival in Amsterdam im Rahmen der TRILOGIE DES SUBLIMEN

This entry was posted on Samstag, 21. Juni 2014 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

3 Comments

  1. radiohoerer:

    Meine erste Hörerfahrung mit der Musik von Luigi Nono war: Guai ai gelidi mostri. Mir war beim hören nicht immer ganz klar, wann der Gesang schon elektronisch war oder nicht. Die Übergänge waren fließend. Dieses erste Hören war ein Unglaubliches Erlebnis. Und wann immer ich seine Musik höre, denke ich an diesen Satz: Musik kommt aus der Stille !
    Seinen ‚Prometeo‘ würde ich gern mal Live hören !!! Und vielleicht klappt es ja mal.
    Ich beneide dich um diese Erfahrung !

  2. Henning:

    Genau der Punkt, Henry! Es ist das, was Nono als ‚Confusion‘ bezeichnete. André Richard vom SWR-Experimentalstudio, der eng mit Nono zusammenarbeitete, hat diesen Punkt und die Entwicklung des Konzepts gestern bei einem Symposium hier anhand der Partituren genauer beschrieben. Beeindruckend, wie Nonos Aufmerksamkeit sich hierauf richtete und wie nicht nur diese Klanglichkeit entwickelte, sondern auch deren ‚generische‘ dramatische Ausdruckskraft. Mit dem Letzten meine ich: wie er das so umzusetzen verstand, dass der Zuhörer sich selbst prozessual ‚in‘ diesen konfudierenden Klanglichkeiten befindet. Gleichzeitig sind die Gesangsstimmen von einer (sirenenhaften) Schönheit. Eine Verbindung, die sich wohl nur live so stark vermitteln kann. Die Besucher der Amsterdamer „Prometeo“-Aufführung kamen von überall, einschliesslich Australien, angereist.

  3. Henning:

    Seit dem hinlänglich bekannten ECM-Diktum ist ‘Silence’ (“ … most beautiful sound next to silence”) ja eine vielbemühte Kategorie im Gespräch über Musik. ‘Silence’ signalisiert ja eher die Abwesenheit von Aktivität. Akustische Räume sind allerdings genau das Gegenteil davon: es herrscht ja permanente Aktivität des Rauschens. So gesehen ist ‘Silence’ ein dichotomisches (0/1) Artefakt. Was Musik betrifft, geht es ja gerade um die Art der Übergänge. Nicht nur im Sinne des Fading in und Fading out, sondern vor allem auch um die Forma In Nuce.


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