Die Trompete von Arve Henriksen klingt zuweilen wie eine Flöte. Einen sanften Strahl wirft sie in den Raum. Die elektrische Gitarre von Helge Sten gibt ein gelegentliches Grummen von sich, und Stale Storlokken entlockt dem Klavier karge, abstrakte Töne – so beginnt Supersilent 10: raumgreifend! Damit ist nicht die gern ins Feld geführte Fjord- und Bergwelt gemeint, sondern eine tief reichende Empfindungszone, die zu betreten, ein wenig Mut erfordert. In seinem Spiel am Flügel offenbart Storlokken mehr Einflüsse von Messiaen und Scelsi als von Paul Bley – eine jazzkammermusikalische Vertrautheit will sich nicht einstellen. Helge Sten erzählte mir den Entstehungsprozess der Musik:
„Die Musik wurde geradezu dokumentarisch aufgezeichnet; vier Spuren für die Stücke mit Piano, Gitarre und Trompete, ich hatte nur die richtige Balance zu finden, gelegentlich kam etwas Hall hinzu; es ging darum, zum Kern vorzudringen, zu dem Realismus, den wir praktizierten. Die größte Herausforderung, dachte ich mir, würde wohl sein, war die Stücke zu finden, die letztlich erscheinen sollten. Ich kann mich nicht erinnern, wie viele Stunden wir im Rainbow Studio aufgenommen haben, aber es waren sehr viele, und das machte die Sache etwas schwierig; zwei Tage lang nahmen wir unentwegt auf, und da verlierst du schon ein wenig aus den Augen und Ohren, was gut war, und was im einzelnen wirklich abgelaufen ist. Und bei unserem akustischen Set-Up (und das meinte ich gerade mit Realismus), sind die Töne klar definiert. Die Trompete klingt wie eine Trompete und das Klavier wie ein Klavier. Und das ist eine andere Vorgehensweise für uns, weil wir sonst oft daran arbeiten, Sounds zu transformieren, bis sie sich ganz unbekannt anhören. Das war der harte Teil der Geschichte: unsere Musik zu spielen, aber mit diesen konkreten, historischen Klängen! Als ich das gesamte Material sichtete, war das viel leichter als ich mir das vorgestellt hatte. Die gelungenen, schönen Stücke zeigten sich auf Anhieb. Und sie liessen sich leicht verbinden mit den elektronischen Stücken, die zwischen den akustischen auftauchen.“
Diese elektronischen Szenarien von Supersilent 10 schaffen keine künstliche Gegenwelt zur Klangreinheit von Trompete und Piano – sie öffnen schlicht einen weiteren Raum. Hier könnte man dann doch nördliche Klimazonen ins Spiel bringen, unwirtliche Erdzonen; schließlich ist Helge Sten in seinen Solo-Ambient-Werken als Deathprod inspiriert vom Soundforscher Thomas Köner und teilt dessen Faszination für die Polarregionen. Die Arbeit im legendären Rainbow-Studio befeuerte die Abenteuerlust zusätzlich. Dieses Miteinanders elektronischer und akustischer Texturen gelingt, weil beide Klangsphären eine durchaus vergleichbare archaische Ausstrahlung besitzen. So lösen sich vermeintliche Polaritäten auf – zwischen feinem Kammerton und elektronischer Schattenwelt. Vielschichtigkeit entsteht. Das Unheimliche hat zwei Facetten in der Musik von Supersilent 10, zum einen die trügerische Idylle, den gespenstischen Wohlklang, zum andern die unverhohlenen Abgründe, den abseitigen Raum, der in keine vertraute Erinnerung verwandelt werden kann. Das Ergebnis ist eine unerschöpfliche, nie formelhafte Verbindung von elektronischer und akustischer Musik im Geiste der freien Improvisation. Den Jazz gibt es hier natürlich auch: er liefert essentielle Spurenelemente!