Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2014 19 Mai

Neil Young’s time machine looks like a phone booth

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

„Needle of Death“

Die gesammelten Verrisse  erinnern in gewisser Weise an die Häme, die Neil Young entgegenschlug, als er Mitte der Siebziger den Sanftmut von Harvest verliess und mit drei Nachfolgewerken einen Abgesang auf die Ideale der Hippieära inszenierte. Tonight’s The Night etwa war wohl auch alles andere als eine aufnahmetechnisch hochwertige Produktion, es wurde aber ein Klassiker der Rockgeschichte, eine unerhörte Auseinandersetzung mit dem Elend des Sterbens Nahestehender: der psychoakustische Fachbegriff für das Klangbild ist „audio verite“.

Wenn Young jetzt sozusagen eine Zeitmaschine betritt und alte, ans Herz gewachsene Lieder im Klangfeld alter Schellackplatten ansiedelt, dann ist das a) eine künstlerische Entscheidung und b) einmal mehr „audio verite“. Das Resultat geht mir bei vielen Liedern unter die Haut. Ein wenig schüttel ich den Kopf über sogenannte hard core-Fans, die auf diversen Foren ihren Frust rausposaunen, und irgendwie vergessen haben, dass Young immer wieder  Erwartungen von „Fans“ gegen den Strich bürstete. Ich weiss nicht, warum ich mich nach wie vor von alten, ebenso „bescheiden“ klingenden Bluesaufnahmen von Bessie Smith begeistern kann, und jetzt nicht minder Freude an dieser ganz besonderen Zeitreise von Neil Young empfinden sollte.

Archaische Platte, wenige trauen sich sowas, und diese lo-fi-Produktion tut der Intensität des Vortrags keinen Abbruch. Ganz allein stehe ich mit meiner Meinung nicht da, John Mulvey hat im Blog-Teil der Webseite des englischen Musikmagazins Uncut eine ähnliche Wahrnehmung beschrieben. Keine Frage, für eine kurze Zeit ist Neil Young zu Dr. Who mutiert und in seiner fliegenden Telefonzelle im Jahre 1949 gelandet. Und viele Bewohner des 21. Jahrhunderts schauen jetzt völlig irritiert auf diesen Verrückten, als wolle er bloss einen kleinen Schabernack treiben.

Ich kann jedem einzelnen Niedermacher dieser Platte eins versichern: wenn Bob Dylan dieses Album hört, wird er seinen Hut ziehen. Wenn Jim Morrison für ein paar Tage auf die Welt zurückkehren würde, würde er spätestens bei der Interpretation von Bert Janschs Needle of Death heulen vor Ergriffenheit. Wenn Daniel Lanois die Scheibe hört, wird er sagen: „Respekt!“ Wenn Leonard Cohen sich A Letter From Home anhört, könnte er gut Lust bekommen, seinem Tower Of Song eine neue Strophe anzufügen. Und Julio Cortazar wäre für eine Weile vom alten Jazz zu diesen Liedern konvertiert, die auf dem letzten Loch zu pfeifen scheinen.

Montaigne hat einmal, schon viel länger ist das her, geschrieben, leben heisse, sterben zu lernen. Wenn Neil Young sich jetzt in so eine sauerstoffarme „Telefonzelle“ begibt, dann ist das durchaus auch eine Auseinandersetzung mit dem Tod: viele der hier gecoverten Lieder stammen von Musikern, die alle schon im „Tower of Song“ ihren Platz gefunden haben. Da muss keine high resolution her, kein polierter Sound: da dringt etwas Altes, Fernes an unsere Ohren, das will ich wie einem alten Schwarzweissfilm erleben, in schlichtem Mono, brüchig. Und so schlägt dieses Werk eine Brücke zu einem seiner alten Meisterwerke, Tonight’s The Night.

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