Geschichten aus der Jukebox (2)
Die Taste 141 wird gedrückt, die NSA-Musikbox knackt und knistert, der Plattenwagen setzt sich in Bewegung, eine rote Polydor-Single wird herausgefischt, das Shure-System fährt heran, nach dem ersten Ton…., was ist das denn? Gehts noch? Welche Platte wurde denn da gewünscht? Tony Sheridan and The Beatles: Ain’t She Sweet aus dem Jahre 1964.
Bert Kaempfert, Orchesterleiter und Produzent nahm in Hamburg mit dem britischen Sänger und Gitarristen Tony Sheridan (*1940) und den Beat Brothers – dahinter versteckten sich die Beatles – einige Titel auf. Der größte Erfolg dieser Partnerschaft war My Bonnie von 1961, ein Stück, das es in Deutschland im Dezember 1961 immerhin auf Platz 32 der Hitliste geschafft hat und mit gut zwei Jahre Verspätung in den USA auf Platz 26 der Single-Hitparade landete. Tony Sheridan sollte dann allerdings im Sommer 1964 mit Skinny Minnie noch Platz 3 in Deutschland erklimmen.
Viel erfolgreicher mit dem Titel Skinny Minnie waren allerdings, zumindest in Deutschland, Jimmy And The Rackets, sie erreichten 1964 Platz 1 der Single-Charts und blieben 32 Wochen in den deutschen Hitlisten. Natürlich wurde ich als elfjähriger begeisterter Radiohörer besonders auf diese Version aufmerksam. Nachdem ich ein kleines kindliches Taschengeldvermögen bereits in die Musikboxen diverser Milchbars gesteckt hatte, um diese Platte zu hören, kaufte ich sie mir eines Tages. Über viele Wochen war diese Scheibe mein ganzer Stolz. Natürlich hatte ich keine Ahnung, dass das Lied eigentlich von Bill Haley komponiert und aufgenommen wurde, und das schon 1958.
Zwei, drei Jahre später kam ein listiger Schulkamarad – ich werde seinen Namen nie vergessen – auf mich zu und erzählte mir, er habe die erste Beatles-Single überhaupt. Neid! Die Platte trage den Titel Ain’t She Sweet, sagte er. Natürlich wollte ich ihm nicht glauben, für mich war immer noch Love me do vom Oktober 1962 die erste Single der Beatles. Nun denn, es ging hin und her, jedenfalls hatte mich dieser Schulkamard schon irgendwie angesteckt, heiß gemacht auf diese Platte. Leider wollte er mir die Single nicht gegen Briefmarken oder Fußballbilder eintauschen, auch Bares lehnte er ab, er wollte nur eines, Jimmy And The Rackets mit Skinny Minnie. Von dieser tollen Platte hatte ich natürlich jedem, der auch nur irgendwie an Musik interessiert war, erzählt.
Da brauchte ich natürlich Bedenkzeit, ein Vorab-Anhören der Platte wurde abgelehnt. Das hätte mich eigentlich stutzig machen müssen, aber ich war eben verblendet, sah nur die erste Beatles-Single vor mir und willigte schweren Herzens in den Deal ein. Kaum zuhause angekommen, hörte ich mir auf meinem PE Plattenspieler Tony Sheridan and The Beatles: Ain’t She Sweet an und war entsetzt, enttäuscht, fluchte, schimpfte, ich war sowas an reingelegt worden. Nie mehr ein Wort mit diesem Schulkamarden gewechselt, der sich nicht nur klammheimlich an meiner Jimmy And The Rackets-Platte freute. So, und beim nächsten Musikbox-Plattentausch wird Tony Sheridan and The Beatles: Ain’t She Sweet endgültig aus der Jukebox verschwinden und von Jimmy And The Rackets mit Skinny Minnie ersetzt.
2014 8 Mai
Gregor öffnet seinen Plattenschrank (70)
1 Comment
-
Uwe Meilchen:
Nette Anekdote mit der „ersten“ ‚Beatles‘ Single !
Wolfgang Niedecken hat einmal erzaehlt, dass er im Anfang immer geglaubt hat, dass die musizierende Gruppe den Namen ODEON tragen wuerde, wg. dem Logo auf der Single !!
Deine Kolumne erinnert mich auf alle Faelle daran, meine „Hamburg Days“ von BEAR FAMILY mal wieder aus dem Regal zu nehmen, „Sweet Georgia Brown“ und so weiter …