Vor ein paar Jahren begrüßte man das Internet, diese schöne neue Wohltat, als eine ungekannte Form der geistigen und imaginären Ausweitung, begeistert von der Möglichkeit, nun von seiner Wohnung, seinem Zimmer aus, vom Schreibtisch her, mit und in einer Sphäre zu kommunizieren und sich spielend leicht Informationen heranzuholen. Es war Neuland. Man genoss den wilden Wechsel zwischen Realwelt und virtual reality und wenn man kurz mal zum Einkaufen über die Strasse ging – wofür kaum Zeit blieb – dann war man in Gedanken noch auf seinem Desktop. Welt am Draht. In einer digitalen Wolke schwebend, fühlte man sich jung, geadelt, zugehörig. Wunderbare Metamorphose, aus Looser wurde User. Und wenn einem dabei, wie von einem Auto angefahren, im Tagtraum eine zahnlose Alte rücklings hinterherrief: „Das Internet wird euch noch alle ins Verderben bringen!“ – entgegnete man etwas angefasst: „Ja red´ du nur!“ Auch die ehrwürdige Grossmutter verweigerte schliesslich noch zeitlebens jegliches Telefonat – und die ersten Eisenbahnen galten als viel zu schnelles Teufelszeug … Aber die Zeiten ändern sich. Man kehrt heut gerne tendenziell zurück: zu den habhaften und handlichen Dingen, zu den Menschen, zur konkreten Welt. „Das einfache Leben!“ forderte Susanne und Jan bejahte das. Seine Haut retten und sein Hirn – vor diesem nimmermüden Flackern der Bilder: Bitte Augen schließen, bitte zum Abschluss kommen, bitte sterblich werden.
Byung-Chul Han: Bitte Augen Schliessen.
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