Das in Worte fassen und Aufschreiben von Lebensumstaenden und allem Belastendem ist immer der Versuch Distanz herzustellen, auf Abstand zu gehen. In der aktuellen Ausgabe des ZEITMAGAZINS berichtet Doris Doerrie sehr anschaulich ueber die therapeutischen Aspekte des Schreibens:
Dörrie: 1974, ich war gerade 18, ging ich nach New York zum Studieren. Ich war ja in meiner Familie behütet aufgewachsen, und ich habe es als sehr beängstigend erlebt, plötzlich allein zu sein. Ich hatte kein Geld und habe in so einem Obdachlosenhotel auf der 33rd Street in Manhattan gewohnt, die einzige Bleibe, die ich mir leisten konnte. Dort gab es wirklich Mord und Totschlag, ständig kam die Polizei, weil jemand abgestochen wurde. Nachts hörte ich in der Badewanne die Kakerlaken rennen. Die Tür von meinem Zimmer konnte man gar nicht richtig zumachen, weil jemand sie eingetreten hatte. Ich habe da zitternd in diesem völlig verdreckten Bett gesessen und angefangen zu schreiben. Und dann hatte ich keine Angst mehr.
ZEITmagazin: Das Schreiben hat Ihnen geholfen?
Dörrie: Ja, weil ich beschreiben konnte, was mir Angst macht. Wie sich die Kakerlaken wie eine Welle in dieser Badewanne bewegen oder die Heizung irrsinnige Laute von sich gibt, faucht, zischt und tobt, und all die Schreie auf dem Flur. Es war eine wirkliche Rettung, als ich gemerkt habe, dass ich diese Dinge überstehen kann, wenn ich sie beschreibe. Ich merkte auch, dass mich mehr interessiert, was um mich herum ist, als meine Innenansicht. Ich bin durch die Straßen New Yorks gelaufen und habe alles in einem schwarz-weiß marmorierten Notizbuch festgehalten. Das mache ich bis heute, ich habe immer mein Notizbuch dabei, auch jetzt. Das Schreiben ist für mich ein Zimmer, ein Schutzraum, in den ich immer reingehen kann. Toi, toi, toi, bis heute.
1 Comment
- Uwe Meilchen: