Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

Dass es in der langen Musikhistorie von ECM Records immer wieder mal Sounds gab, denen zu lauschen einen in entlegene Naturräume versetzen konnte, ist keine Frage. Natürlich waren diese Inspirationen nicht immer so naturalistisch wie die Geräusche der Windharfe auf Jan Garbareks frühem Meisterwerk „Dis“ (mit Ralph Towner), aber ein Element der Identitätsfindung des europäischen Jazz bestand halt auch darin, eigene „Landkarten“ zu entwickeln. Viele Covergestaltungen von ECM sprachen da (schon in den frühen Jahren) Bände. Natürlich gab es auch die „Urban Bushmen“ in Form des Art Ensemble of Chicago, und etliche weitere Ausflüge in die grossstädtische „Wildnis“. Das Trio des Schweizer Pianisten Colin Vallon, mit Patrice Moret am Bass, und Julian Sartorius am Schlagzeug, belegt auf dem soeben erschienenen Album „Le Vent“, wie unerschöpflich dieses betagte Genre des Klaviertrios zu sein scheint. Und natürlich wundert es nicht, dass auch hier, im Alpenländischen, der Wind ins Spiel kommt, Berglandschaften, aber eben auch die seltsame Welt der Bahnsteige. Ein Album, das mich von Anfang an tief berührte, schon Wochen, bevor ich mit dem Drummer und dem Pianisten Fragen und Antworten austauschte. Schöngeistige Harmlosigkeiten? Fehlanzeige! Das Deutsche ist nicht die „Muttersprache“ der beiden, gelegentlich habe ich ein paar Wörter und Halbsätze weggelassen, auch mal was geringfügig nachgebessert, ohne an den Bedeutungen etwas zu ändern.

 
 
 

 
 
 

Michael: Manche perkussiven Sounds des Albums erinnern mich an Kuhglocken und anderes Schellengeläut, wie ich es mal im Appenzeller Hinterland gehört habe, und auch das Titelstück mutet wie eine Windstudie der besonderen Art an.

Colin: Naturklänge sind eine tägliche Inspiration für mich. Die probiere ich in meinem Pianospiel z.B. durch Präparationen zu integrieren. Bei Julian ist es, glaube ich, ähnlich. Es war aber nicht die grundlegende Idee vom Album Le Vent. Die allermeisten Kompositionen von mir haben direkt oder indirekt mit dem Tod zu tun. Oder dann mit der Auseinandersetzung mit dem Tod. Ich habe „Le Vent“ als Titel des Albums gewählt, weil es diese Idee der Flüchtigkeit, der vergehenden Zeit, schön und simpel beschreibt, ohne dabei pathetisch oder finster zu sein. Es hat für mich, ohne das jetzt zu stilisieren, einen Hauch von Zen.

Julian: Bei dem Stück „Le Vent“ beginne ich auf kleinen Metallschalen, die auf den Trommeln liegen. Als ich das gespielt hatte, bin ich ganz klar auf Phänomen des Windes eingegangen. Diese Metallschalen habe ich erst gleichsam zufällig, ohne bestimmten Rhythmus angeschlagen, nach und nach formieren sich die Anschläge mehr und mehr zu einen Rhythmus, fast unmerklich. Für den letzten Teil des Stückes übernehmen die anderen diesen Rhythmus und ich wechsle aufs „herkömmliche“ Schlagzeug. Ich höre übrigens sehr gerne Alltagsgeräuschen zu, seien es Kuhglocken, Abwasserkanäle oder Maschinen, die einen interessanten Rhythmus haben. Das inspiriert mich grundsätzlich.

Michael: Mir scheint da für jedes Stück ein neuer Zugang zu entstehen, etwa eine Suche nach unverbrauchten Stimmungen. Wie siehst du da als neuer Perkussionist des Trios deine Rolle?

Julian: Ich suche diese Erweiterung der Klangfarben und Klangsprache. Das Schlagzeug erweitere ich durch allerhand Präparationen, um solch neue Sounds zu finden. Dabei bin ich auch stark von der Ästhetik der elektronischen Musik beeinflusst. Colin macht es ebenso. Was er für eine Klangvielfalt aus dem Flügel rausholt, finde ich unglaublich.

Michael: Auf dem Stück „Le Quai“ macht keiner von euch Dreien, auf der Basis von „action“, sehr viel, du entwickelst dunkle Pulsierungen, die im ersten Moment fast fast elektronisch  wirken, zugleich entwickelt sich da eine fast hymnische Melodie, die aber nicht ad infinitum ausgereizt wird.

Julian: „Le Quai“ bedeutet auf Französisch „Bahnsteig“, oder „Perron“. Die Grundidee für den Beat oder Puls war Colins Idee, er basiert auf dem Rattern eines Zuges auf den Schienen. Natürlich ist diese Vorstellung nicht direkt erkennbar. Wenn es zu illustrativ wäre, wäre ich nicht glücklich damit. Den Puls spiele ich auf einem gedämpften „floortom“ und auf anderen Trommeln. Schlussendlich taucht er dann auch auf den Becken auf. Das Kommen-Und-Gehen des Pulses spielt auf solche Zuggeräusche auf einem „perron“ an.

Michael: „Rouge“ besitzt eine spezielle Atmosphäre. Colin scheint, wenn er nicht selbst ins Innere des Steinway greift, den Flügel präpariert zu haben, und Patrice und du sorgen einmal mehr für Schwebezustände, zwischen „Verweilen im Augenblick“ und „langsamer Bewegung“.

Julian: „Rouge“ bezieht sich auf den Ort Rougemont, Colin hat das Stück dort komponiert. Ein wunderbarer Ort; die Berge leuchten dort abends oft rot, deshalb wohl auch der Name … Wir haben mit dem Trio auch mal dort geprobt; wenn wir das Stück spielen, sehe ich immer diese Berge vor mir.

Colin: Ursprünglich war unser Arrangement von „Rouge“ viel klarer und direkter, aber im Studio hat es irgendwie nicht funktioniert. Wir haben das Material dann freier bearbeitet, und das hat das Stück dann gerettet.

Michael: Manche Sounds auf deiner Perkussion erinnern ich mich von ferne an Momente des wunderbaren Albums  ALPSTEIN  des Violinisten Paul Giger, mit Jan Garbarek und deinem Schweizer Landsmann Pierre Favre. Ich bin sicher, du kennst und magst dieses Werk sehr.

Julian: Ich muss es nachholen! Ich habe das Album noch nie gehört. Ich selbst verbringe aber sehr gerne und möglichst oft (leider in letzter nicht so viel) Zeit in den Bergen. Im Sommer verbringe ich oft zwei bis drei Wochen auf einer Schweizer Alp und wandere dort viel. Ich bin definitiv ein grosser Fan von den Kuhglocken, es kann durchaus sein, dass das hörbar ist …

 
 
 

 
 
 

Michael: Aber Pierre Favre war gewiss ein Einfluss …

Julian: Auf jeden Fall! Ich war auch lange bei ihm im Unterricht, und wir haben viel Duo gespielt. Das war ein reger Austausch. Aber es haben mich andere Schlagzeuger auch stark beeinflusst, zum Beispiel der leider (jung) verstorbene Fabian Kuratli oder mein langjähriger Dozent an der Musikhochschule Luzern, Norbert Pfammatter. Nebst manch anderen Jazz-Schlagzeugern. Wie gesagt bin ich aber auch stark von der elektronischen Musik beeinfluss.

Michael: Die Arrangements macht ihr gemeinsam?

Colin: Ja. Wenn ich eine Komposition mit zu einer Probe bringe, habe ich manchmal eine Idee für einen Groove oder einen Klang, aber es passiert häufig, dass wir das dann verwerfen, wenn Julian und Patrice etwas anderes interessanter finden. Patrice hat grossen Einfluss auf die Arrangements und bringt stets Ideen ein, die den Trio-Klang mitprägen. Ich liebe seine konzentrierte Intensität. Sie findet sich in allen Aspekten seines Spiels – in einem wunderschönen Klang, in einem tödlichen Groove, in Melodien, die einen nicht loslassen.

Michael: Ein typischer „Eicher“ erscheint mir der Schluss des Albums zu sein. Der Produzent ist ja u.a. auch ein Dramaturg, der möchte, dass ein Album eine Art „storyline“ besitzt incl. Spannungsbögen etc. Bei euch hat er womöglich dieses „offene Ende“ vorgeschlagen, diese beiden kurzen Kollektivimprovisationen, keine knallende Schlusspointe, sondern ein Sich-Auflösen-der-Formen. Ein couragiertes Finale. Oder wie war das?

Colin: Leider war Manfred Eicher nicht im Studio, weil ihn hat kurz davor eine schweren Grippe erwischt hat. Manfred und ich haben den Mix und Mastering der CD in September in Oslo gemacht. Es war eine sehr interessante und intensive Zusammenarbeit, da das ganze Material schon aufgenommen war. Manfred bei der Abmischung zu beobachten, ist sehr beeindruckend. Mit einer unfasslichen Schnelligkeit blüht, durch seine zum Teil minimalen klanglichen Anpassungen, die Magie einer Komposition auf.  Es war übrigens auch rasch klar, dass diese beiden freien Improvisationen das Ende bilden sollten. Es macht ja auch Sinn bei der Thematik der Kompositionen, dass der Schluss des Albums offen bleibt.

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