Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

„Berger paints a picture of Cherry as one who functioned on a level completely beyond most other musicians; he carried a pocket-sized transistor radio with him wherever he went, listening to music from the world over, practicing tunes from Turkish folk music to the Beatles constantly and incorporating them into his suites. Often, Cherry would show up to concerts and rehearsals playing his wood flutes and with a slew of newly-found songs committed to memory, leading the affably game ensemble through an hour-long suite, the themes of which may or may not have been known beforehand.“ (Clifford Allan) 

 

Wann habe ich seinen Trompetensound zum ersten Mal gehört? Es war wohl früh in den Siebzigern, ein Bekannter, der schon länger vom Virus des freien Jazz befallen war, brachte mir die Langspielplatte COMPLETE COMMUNION vorbei, und der so geschliffene wie glasdünn geblasene Ton nahm mich gefangen, heute höre ich noch, nur aus der Erinnerung (die mich jetzt auch austricksen könnte), wie perfekt Karl Bergers Vibraphon mit Cherrys Glasperlenspiel harmonierte. Those were the times.

 

Mu, Part 1 & 2, entstanden an einem Augusttag des Jahres 1969 in Paris, und EL CORAZON im Februar 1982 im Tonstudio, Bauer, in Ludwigshafen. damals enstanden auch hier, und nicht nur in Oslo, legendäre Produktionen des Labels ECM. Ein Jahr, bevor das Münchner Label gegründet wurde, erlebte der amerikansiche Jazz in Paris, in den politischen und kulturellen Kraftfeldern und Erschütterungen rund um den Mai 68, eine weitere Blütezeit – diesmal war es nicht zuletzt der Free Jazz, der Musiker der amerikanischen Ost- und Westküste nach Europa lockte, wo sich ökonomisch schlicht mehr Möglichkeiten boten, wo die Menschen für diese aufregenden Sounds äusserst zugänglich waren, und wo neue Festivals und Labels wie Pilze aus dem Boden schossen. So veröffentlichte das Pariser Label Byg Actuel zwischen 1969 und 1972 etliche wagemutige Produktionen, die das Art Ensemble of Chicago und andere jungen Wilde des Neuen Jazz zu Gehör brachten – zu den Wegbereitern dieser vielgestaltigen, keine Kompromisse eingehenden Musik zählten auch Don Cherry und Ed Blackwell. Letzterer zählte zu den Drummern, die sich nicht mit der Pflege der alten Traditionen zufrieden gaben. Beide hatten schon Geschichte geschrieben im Ornette Coleman Quartet, hatten ihren Anteil an der epochalen Produktion „Free Jazz“, Don Cherry brillierte in den Sechziger Jahren auch mit Soloarbeiten für das Label Blue Note wie SYMPHONY FOR IMPROVISERS oder COMPLETE COMMUNION.

 

Als ich ihn ein Jahr vor seinem Tod für ein Portrait im Deutschlandfunk traf, galt DONA NOSTRA für viele schon als Vermächtnis. Er wirkte auf mich, als wäre ihm die grösste Kraft abhanden gekommen. Doch da waren etliche wundervolle Momente auf dieser letzten ECM-Produktion, Kreise schlossen sich, alte Freunde aus Schweden und der Türkei waren mit von der Partie. Peter Rüedi hat darüber bestimmt geschrieben in seinen 1527 (oder wieviel sind es?) Kolumnen.

 

Cherry war ein Weltreisender, der jene exotischen Orte zwischen dem fernen Asien und den arabischen Ländern tatsächlich erkundete, statt, wie die Tabu-Träumer und Spezialisten der Exotica-Musik (mit ihrem Martini-tauglichen Easy Listenung und wohl dosierten „Unheimlichkeiten“) nur von ihnen zu träumen. In Schweden fand Don Cherry damals für viele Jahre eine neue Heimat. Amajelo, aus dem Album Mu, Part 1 … Don Cherry spielt auf beiden Arbeiten Trompete, diverse Flöten, Klavier, und er singt … (Cherry/Blackwell: Amajelo, aus MU, Part 1.) Cherry und Blackwell verliessen sich bei der Produktion von Mu auf ihre Erfahrungen als Improvisationskünstler, gingen ohne vorgefasste Konzepte ins Studio. Dem Schlagzeuger war die musikalische DNA seiner alten Heimatstadt New Orleans in Fleisch und Blut übergegangen, da war ein Kulturen übergreifendes Denken ohnehin Programm: die afrikanische und afrokubanische Polyrhythmik hatte er genauso verinnerlicht wie Rhythm n Blues, Swing und Bop. Das waren nur die Ausgangsmaterialien. Blackwell und Cherry erforschten eine Klangsprache, die dem Blues ein paar arabische Zwischentöne beibrachte – indische und afrikanische Schwingungen kamen zusätzlich ins Spiel. So skelettiert die einzelnen Stücke erscheinen: genau diese Kargheit solllte ihre Langlebigkeit sichern. Vor einem Jahr wurde das zweiteilige Werk MU zusammen mit dem Live-Album ORIENT als Doppel-CD neu veröffentlicht. Auch diese Live-Dokumente aus den jahren 1971 und 72 von Cherrys Trios u.a. mit dem südafrikanischen Bassisten Johnny Dyani und dem türkischen Trommler Okay Temiz, belegen, wie sehr Cherry dem Jazz neues Grundstoffe und Essenzen aus diversen Kulturräumen zuführen wollte … (Cherry/ Blackwell: Sun of the East, Terrestial Beings, The myticism of my sound, aus MU, Part 1&2)

 

Seine Frau Moki entwarf die buntesten Kleider und Kostüme, und manches davon mag an die indianischen Wurzeln seines Stammbaumes erinnern. Knallbunt und psychedelisch auch die Cover etlicher Alben, die auf kleinen skandinavischen Labels entstanden, ein Traumwerk hiess ETERNAL NOW, und gerne hörte ich es zusammen mit A SAUCERFUL OF SECRETS von Pink Floyd. Und wie schreibt Manafonista Henning so beiläufig: „Don Cherry hatte eine erstaunliche Fähigkeit, ein ganzes Klanguniversum in eine wunderbar einprägsame Melodie zu bringen, es darin zu ankern, und es darin singen zu lassen. So, dass es einen als Zuhörer lang, lang begleitet. Mich bis heute, ja.“

 

MU war energetisch, fragmentiert, reichhaltig, unbekümmert vorgetragen, eine spannende Momentaufnahme, aufnahmetechnisch leider nur mässig brilliant. Cherry richtete sich in jener Zeit mit seiner Tamboura spielenden Frau Moki und seinen Kindern in Schweden ein, studierte in einem Museum für Musikethnologie diverse, dem Jazz fremde Instrumente, u.a. die afrikanische Harfe, die doussn gouni – und in einer Tradition, die an Louis Armstrong anknüpfte, liesse er seinem unaffektierten Gesang bei Konzerten freien Lauf: diese Gesänge waren schlicht eine Erweiterung des kreativen Selbstausdrucks, aber klar, dass Jazzpuristen in solchen Experimenten einen Ausverkauf des guten Geschmacks sahen, und den radikalen Klangforscher, der einst wichtige Rollen innehatte an der Seite von Albert Ayler oder Ornette Coleman, vom spirituell angehauchten Zeitgeist der Hippie-Ära vereinnahmt sahen.

 

Ich stand unter einem Zauber, als ich 1973, 1974, Jahre verrutschen im Rückblick, das Päckchen von „jazz by post“ öffnete, und WITCHI-TAI-TO vom Jan Garbarek-Bobo Stenson Quartett auflegte. Zum ersten Mal prägte der norwegische Bläser da seinen Sound. Damals war das unendlich aufregend, man kann es sich heute, bei diesen allzulang konfektionierten Kantilenen, kaum noch vorstellen . Und die ganze zweite Seite nahm eine Komposition von Don Cherry ein, „Desireless“. Auch Jan Garbarek konnte die Töne scharfschneiden, er hatte einiges von dem schlaksigen Mann aus dem amerikanischen Mittelwesten gelernt.

 

Don Cherry wurde in Skandinavien zu einem Katalysator, der etwa Jan Garbarek und andere nordische Jazzmusiker inspirierte, sich in der eigenen Folklore umzuhören, und auch dort die Quellen eines eigenständigen Jazz ausfindig zu machen. so war es fast naheliegend, dass der Produzent Manfred Eicher, der die Aufnahmen von MU bestimmt kannte, Don Cherry zu etlichen Aufnahmen des ECM-Labels einlud. Vor allem sind da die drei Platten zu nennen, die, unter dem Namen CODONA, in den späten 70ern und frühen 80ern erschienen: bahnbrechende Werke, in denen indische Sitarklänge, südamerikanische Berimbaos, und Don Cherrys billige pakistanische Taschentrompete und vieles mehr ganz neue Spannungsfelder erzeugte: Colin Walcott, Don Cherry, und Nana Vasconcelos hiessen die Beteiligten.

 
 
 

 
 
 

In einem kleinen, wie ein behaglichen Wohnzimmer aussehenden, Plattenladen, in dem (in München) der beste Jazz der Welt gehortet wurde, erstand ich CODONA 2, das (bei ECM eher selten) farbenfrohe Cover mochte ich auf Anhieb, und ich hatte gleich die Klänge der ersten Codona-Platte im Ohr, Colin Walcotts Sitar und die luftigen Linien der Taschentrompete, mit dabei eines meiner allerliebsten Stücke, „Malinye“, ähnlch hinreissend wie auf CODONA 3 jene Komposition, die auf einem japanischen Lied basierte, „Goshakabuchi“, aber was machte er daraus, mit diesem schleichenden Orgelton!? Rasch war ich in die Sprachlosigkeit entlassen. Alle drei Platten Meilensteine.

 

Und so machte auch, nach gut 12 Jahren, das Duo Cherry-Blackwell wieder eine Aufnahme: EL CORAZON. Im Februar 1982, in Ludwigshafen, Cherry spielte neben seiner „pocket trumpet“ die Melodika, ein Kinderinstrument, das bislang allein in Jamaika durch die Werke von Augustus Pablo Furore machte, die Doussn Gouni, und eine alte Orgel. Ed Blackwell spielte Schlagzeug, Holztrommel und eine Kuhglocke. Das Album beginnt mit drei Komposituonen von Don Cherry, Mutron, Solidarity, und Arabian Nightingale, dazwischen erklingt eine kurze Bearbeitung seines lieblingsstückes von Thelonious Monk, Bemaha Swing. Die Verbundenheiten zum Jazz vergangener Jahre blieben also (mitunter hauchdünn) bestehen, auch wenn die Höhen- und Breitengrade diese neuen jazzspezifischen Landkarten sich jeder klaren Ortung widersetzten. (Cherry/Blackwell: Mutron / Bemsha Swing / Solidarity / Arabian Nightingale, aus EL CORAZON (LP)) Ein eben auch tontechnisch brilliantes Tondokument. Der Trompeter mit den indianischen Wurzeln hatte mit so vielen „independant labels“ zu tun, dass er sich in den frühen und mittleren jahren seiner Karriere oft genug mit bescheidenen Soundverhältnissen zufrieden geben musste. Hier, auf den ECM-Platten, wurde sein Sound bis in die kleinsten Verästelungen aufgezeichnet. Am Schluss dieser Stunde hören Sie, aus EL Corazon, ein bemerkenswertes Trompetensolo von Don Cherry, seinen dialog mit dem nachhall des eigenen Instruments: Voice of the Silence. Und auf dieser Schallplatte war auch Ed Blackwells Drumkit im Stereofeld zentimetergenau ausfindig zumachen, dem Toningenieur Martin Wieland ist da ein geradezu hyperrealistisches Dokument gelungen. Und dass in solch unbegrenzten Ideenfeldern auch dramaturgische Konturen sichtbar blieben, dafür sorgte schon der Produzent Manfred Eicher.

 

Und so blieb, seit der Jugendzeit, ein Hunger da, Cherrys verschlungene Wege zu kreuzen. Zu schade, dass ich ihn nie live sah. Einmal in Bergeinöden bei Arnschwang, nahe der tschechischen Grenze, in einem abglegenen Haus, legte ich EL CORAZON auf, ganz laut, öffnete alle Fenster zum Hang, ging herunter ins Tal, und hörte dem Trommler und dem Trompeter aus der Ferne zu, als wären es zwei Freunde, die zu Besuch kamen und ich konnte mir gut vorstellen, wie sie schon mal für den späten Abend aufspielten, für das Unerhörte, das ihnen besonders gerne aus dem Nichts zuflog.

 

Bruno Rub wies in seinem Text zum Album zurecht daraufhin, dass dieses Duo eben nicht mit der Tradition des Free Jazz brach, sondern dessen grundlegende Ideen konsequent weiter entwickelte. An die Stelle der Improvisationen über Akkordprogressionen trat ein assoziativer Umgang mit dem thematischen Material, der ganz neue Möglichkeiten beriethielt, aber auch jede menge Grundlagenwissen einforderte, um nicht in geschmäcklerische Exotismen abzugleiten. Don Cherry und Ed Blackwell realisierten auf ihren Duo-Alben Reduktionen: die sparsamen, ökonomischen Klanggesten liessen vielleicht nur eine „kontrollierte Exstase“ zu, doch widerstanden die Zwei rigoros den Versuchungen, efekthascherisch mit der immensen Vielfalt anderer Kulturen umzugehen, auch so blieb der Musik über Jahrzehnte ihre alte Frische erhalten. Es gibt auch für das Ungeschliffene, das Rohe, das Raue, eine vollendete Form, und diese beiden Ausnahmekünstler kamen dieser fast paradox anmutenden Verbindung von Unfertigkeit und Perfektion oft sehr nah. (Cherry/Blackwell: Makondi & Voice of the Silence, aus EL CORAZON, LP)

This entry was posted on Donnerstag, 13. Februar 2014 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

1 Comment

  1. Michael Engelbrecht:

    Mr. Cherry says:

    „When I was in Africa I realized Blackwell has that in his playing; how he tunes his drums is how the real master drummer playing a Western trap set will tune his drums. Blackwell tunes so each drum is independent and has a part to play about intonation, pitch. When he’s playing he can sound like 10 drummers, because each drum as it’s tuned can sound like a different person. In African you have 10 drummers, each with their own drum, and playing together they make the rhythm. Each of Blackwell’s drums plays a part in relation to the whole sound of the rhythm. That’s where it’s coming from.

    Me myself, I’d rather play the conch than the trumpet, even though you generally can have only one tone on the conch, you know. The physics of the conch makes it something that absorbs sound and gives sound out at the same time. You can have a drill playing and you play the conch shell next to it, and the conch will absorb that sound, drown it out at certain points.

    And the conch is one of the natural instruments using the emboucure. The emboucure is the real instrument within itself. You get different textures of it with horns like the elephant tusk trumpets they use in Africa. That sound is something special to me. What I’m really into is just the horn itself, without the valves, the rotary of the trumpet.

    Once you start using the valves, you realize they’re auxiliary fingering, and trumpet players are usually playing up and down and down and up, but there’s a way that the trumpet can be brought out in intervals, like you have in bugle calls. I’m very much interested in all that.

    I realize all these things, but I realize most of all that the trumpet to me is an amplifier of the voice. That’s the way I want to approach it. Also, I think of it as a form of nature, or dance and movement. Where I’m playing phrases, or maybe something chromatic, I’m not trying to show technique as a virtuoso, I’m thinking in relation to movement or maybe nature and wind, how the trees are blowing. In terms of dance, because dance is always an important part of music. Dance and movement and the sound of the voice are very important, no matter what type of music I’m playing.“


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz