Ich fuhr mit einem Studienkumpel nach Hamburg, die Siebziger Jahre zeigten sich von ihrer besten Seite, ECM veröffentlichte reihenweise Meilensteine, und als wir die Landesgrenze zu Schleswig-Holstein hinter uns hatten, hörte ich das beste Jazzprogramm, das es in der alten Bundesrepublik je gab. Michael Naura hatte Narrenfreiheit, holte alle möglichen Stars zum NDR, der Jazz boomte, ich war verliebt in Katrin E., und hatte vor, ihr Herz und ihren Körper zu erobern. Immerhin hatte ich die Einladung ins elterliche Herrenhaus „An der Glinder Au“ in der Tasche. Ich war noch ein Teenager, und hatte Katrin auf einer Nordseeinsel kennengelernt, wir spielten in den Dünen, verschlangen ganze Backbleche Pflaumenkuchen, ohne ein Pfund anzusetzen, und jeden Tag hörte ich grandiose Jazzmusik auf NDR 2: der junge Jan Garbarek, Art Lande, Chris Hinze, Gary Burton, Bill Connors, Volker Kriegel, Dave Liebman, Chick Corea. Und plötzlich, die Tore Hamburgs waren noch ein Stück entfernt, verkündete Michael Naura im Autoradio, dass der „Meister“ just an diesem vorweihnachtlichen Abend im Congresszentrum der Hansestadt auftrete. Solo. Ahh! Als ich dann in 2 Hamburg 74 eintraf, der Nachmittagstee aufgetischt wurde, machte ich den Vorschlag, die ganze Bande, Katrin, ihr Bruder, die Clique, solle heute Abend aufbrechen, um den Magier am Klavier zu erleben. Die Reaktion war reserviert. Hanseatisch unterkühlt. Stattdessen nahm das Grauen seinen Lauf. Ich war damals noch etwas schüchtern, sonst wäre mir das nicht passiert. Mit der angehimmelten Katrin und den anderen trottete ich in eine Old Jazz-Kneipe namens Rempter oder so, wo doofer Stimmungsdixie gespielt wurde, und sich eine biergetränkte Fröhlichkeit breitmachte. Die Nacht durfte ich im Zimmer des Bruders verbringen, der den Aufpasser spielte. Am nächsten Morgen, mit dem Katrin- und Jarrett-Blues in den Knochen, stellte ich mich noch überaus ungeschickt an beim Köpfen des Frühstückseis. In dieser Story war die Vorfreude alles: wie ich in meiner Studentenbude, Wochen zuvor, Gato Barbieri hörte, das erste Kapitel seiner grandiosen Latin-Jazz-Platten (auf Impulse), und auch Fort Yawuh vom Keith Jarrett Quartet. Ich träumte von Katrin, und wie immer, wenn das Verliebtsein sich in mir ausbreitete, fuhr mir wiederholt ein Schmerz in die Fingerknöchel, ein Stechen, ein Ziehen. Ein paar Jahre später war ich nicht mehr schüchtern. Gut so. Und in den Neunziger Jahren arbeitete ich zehn Jahre mit dem grossartigen Jazz-Macho Michael Naura zusammen. Manchmal spielte er in seinem Büro Evergreens auf dem Klavier, und, als er einmal einen Jarrett-Akkord erwischte, fiel mir kurz jener Abend ein, in weihnachtlich geschmückten Einkaufsstrassen – und die unerträglichste Dixieland-Kapelle aller Zeiten!
Archives: Dezember 2013
2013 20 Dez
Eine Weihnachtsgeschichte
Michael Engelbrecht | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: Keith Jarrett, Michael Naura | 2 Comments
2013 20 Dez
Ein Plan für die Weihnachtstage
Uwe Meilchen | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | 2 Comments
Heute morgen Nachricht bekommen dass die „Buddbox“ auf dem Weg zu mir ist. Hurra ! Werde ich dann am kommenden Montag auf dem Postamt auslösen. – Heilig Abend ruft erst die Arbeit; anschliessend Weihnachtsessen bei meinem Brüderchen und seiner Freundin.
Und wenn ich dann im Laufe des ersten Weihnachtstag irgendwann wieder in meiner Hobbithöhle bin, werde ich mir eine Kanne Tee machen (oder auch zwei), die Kopfhörer aufziehen und mich in die Klangwelten von Harold Budd vertiefen.
2013 19 Dez
JazzFacts im Deutschlandfunk: von „Stolen Moments“, neuen Klängen für Zengärten und Tanzböden etc etc
Michael Engelbrecht | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | 3 Comments
Der dickste Jazzschmöker der letzten zehn Jahre, Peter Rüedis STOLEN MOMENTS, steht genauso auf meinem Programm wie eine Biographie der legendären Jazz Baroness Nica de Koenigswarter. Lauter Tasteninstrumentenspieler treten auf, von Thelonious Monk bis Bill Evans, von Chris Abrahams bis Amino Belyamani, von Irene Schweizer bis Marco Dalle Luche. Ich erinnere zum Ende an den jüngst gestorbenen Jim Hall, den „leisen Giganten“ der Jazzgitarre, und spiele, ihm zu Ehren, kein hochglanzpoliertes Stück, sondern eine alte, verknisterte Schallplatte, die er früh in den Sechziger Jahren mit Bill Evans aufnahm. Ein Meister des Understatement, auf und hinter der Bühne: „Wenn ich mir fantastische Gitarristen wie Joe Pass oder Pat Metheny anhöre, dann bin ich immer wieder fasziniert – aber es hilft mir nicht weiter! Denn dann fange ich an, mich mit ihnen zu vergleichen und mich zu fragen, warum kann ich nicht so spielen?! Wenn ich mir aber ein Gemälde anschaue, inspiriert es mich, ohne mich gleichzeitig dabei einzuengen. Und ich mag japanische Kalligraphie sehr und versuche, es ein bisschen zu lernen.“ Neben dem alles andere als altersmilden Duo Schweizer/Favre kommen drei Formationen ins Spiel, die den Jazz für Zengärten resp. Tanzböden geöffnet haben, The Necks, Dawn of Midi und Satelliti. Die Kreativabteilung der blauen Jazzstunde wird komplettiert von Karsten Mützelfeldt, Bert Noglik, und special guest Henning Bolte mit einem schönen Manafonistas-Zitat. Ja, das Klarinetten-Doppeltrio hat es auch mir angetan :)
2013 19 Dez
Und hier noch was Dokumentarisches
Henning Bolte | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | 1 Comment
2013 19 Dez
Andere Zeiten, anderes Licht
Henning Bolte | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: Coen Brothers, Inside Llewlyn Davis | 3 Comments
Yes, the early sixties …!
Hab mir – zusammen mit meinem Sohn (genauso alt wie die Protagonisten van damals) – den Coen Brothers Film INSIDE LLEWLYN DAVIS angesehen. Brachte es nicht wirklich und die Sachen, die gut waren, kamen dadurch nicht recht zum Tragen. Wo blieb die Spannung, die Dialektik der Zeitreise? Auf der Strecke! Schon gleich am Anfang stimmt das Licht nicht. Und die Kleidung auch nicht. Das Tempo, die Bewegungen, der Schnitt. Die nächtlichen Autofahrten sind gut!
Zeitgefühl, Licht, Geruch, Gestik, Sound …
The Gist: Love at First Sight
Robert Wyatt: Sight of the Wind
Brian Eno: The River
Harold Budd: Jane – I
Neil Young: Flying on the Ground is Wrong (1970 live version)
Joni Mitchell: The Circle Song
Herman’s Hermits: My Sentimental Friend
Harold Budd: Jane – IV
Bob Dylan: Series of Dreams
Young Marble Giants: Searching for Mr. Right
… who’s afraid of being sentimental? Fine :)
Immer wieder hatte ich eine ältere Musikanlage mit zwei kleinen Boxen mitgeschleppt und dafür extra in einen kleinen Reisekoffer gepackt. Oder ich hatte den kleinen schwarzen Kassettenrecorder mitgenommen, wenn es nicht so sehr auf die Klangqualität ankam und ich hoffte, Lautsprecher und Tonqualität könnten ausreichen, um den großen Raum auszufüllen. Ich hatte den Anfang von Allen Ginsbergs „The Howl“ vorgespielt, den herzzerreißenden schnellsten Lyrikkurs der Welt, Sharon Creechs „Der beste Hund der Welt“, hatte eine andere Kassette genau bis zu der Stelle vorgespult, wo die Lyrikerin und Verlegerin Daniela Seel mit ihrem Essay über Lyrik begann und erklärte, dass poetische Texte durch ihre Wortwahl und Auslassungen etwas freisetze, was vorher nicht da gewesen und völlig individuell und unberechenbar sei. Ich bracht ein Feature über den experimentellen italienischen Lyriker Andrea Zanzotto mit, wir lauschten den Kirchenglocken in seinem Dorf und den Schulkindern, wie sie im Chor „buon giorno“ sagten. Hatte eine Reportage über den Open Mike, einen Berliner Literaturwettbewerb für junge Autoren bis 35, angespielt. Stapelweise brachte ich Kassetten mit, und verlieh sie, notfalls mitsamt einem weiteren Kassetenrecorder, weil der Besitz eines solchen längst nicht mehr mehr zur Standardausstattung gehört.
Zum Abschluss der zehn über das Jahr verteilten Abende wurde mir nun ein weiteres Stück für meine Sammlung überreicht, ich war völlig überwältigt.
Jeder aus der Runde hatte Lieblingsstücke beigesteuert und in aufwändigster Weise hatte T. es bewerkstelligt, alles zusammen auf eine Audiokassette zu schneiden. Noch in der gleichen Nacht hörte ich allen zu, diesmal aber nicht, wie sie ihre literarischen Texte lasen, die wir dann respektvoll, aber kritisch in der Runde diskutieren würde, sondern etwas anderem, was aus einem anderen Teil des Inneren stammt. Meine Aufgabe ist es nun, herauszufinden, wer welches Lieblingsstück beigesteuert hat. Bei manchem Stück weiß ich es sofort, bei anderen kommen verschiedene Personen in Frage. Egal. Es ist eine Reise in andere Zeiten und es ist eine Reise um die Welt und in das Innere von Menschen, die in dieser Runde wahrscheinlich nie wieder so zusammensitzen werden. Unvollendet, wie jede Begleitung.
In diesen Tagen hörte ich mit Begeisterung eine mir bislang unbekannte junge japanische Pianistin – sie gilt wohl längst als Weltstar und als Wunderkind zudem. Im Sternzeichen Widder stehend, ist ihr Klavierspiel virtuos, vielseitig und energiegeladen. Auf der Strasse, so geht die Sage, lief ihr einst Chick Corea über den Weg. Die beiden verabredeten sich sogleich zum gemeinsamen Konzert. Zwei Generationen trafen und ergänzten sich an zwei Flügeln. Dabei erinnerte sich ich mich auch wieder an dieses grandios groovende Konzert in Hannovers Kulturzentrum Faust: dort trat Gunter Hampel auf – mit einer Schar junger Musiker aus New York. Ein Rapper war dabei und Hampels Sohn am Schlagzeug. Es funktionierte prächtig: das erfahrene, abgeklärte Jazzspiel des Älteren an Vibrafon und Saxofon und dazu die vitale Energie der Jugend. In dem unten präsentierten Konzertmitschnitt ereignet sich Ähnliches: Hiromi Uehara spielt mit dem Gitarristen David Fiuczynski, der als Berklee-Dozent seine Mitspielerin Hiromi einst als Schülerin hatte. Die Zeiten haben sich geändert, so sagt er selbst, denn nun sei er der Schüler – und er warnt vor dem Ergebnis: „Strap on your seatbelts!“
Sailing To Byzantium (recent, author(s) not unknown)
Sing Goddess as we used to sing
At the cold place in the year of absolute zero
Your silhouette on each hardcore orientale
without noticing
Honeydewed autumn during a blood flight
Fostered by the lonely whistle call
On that day
Day in the shower at river Jordan,
Drawing an arc as intro to the hinterland,
And there in the woods,
ah, a blonde in the blue shining of a silver box
2013 18 Dez
Wenn …, was … wenn
Henning Bolte | Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: Alog, Arve Henriksen, Bushman´s Revenge, Elephant9, Espen Eriksen Trio, FIRE!, Hedvig Mollestad, Hilde Marie Kjersem, Jenny Hval, Kim Hiorthøy, Maja Ratkje, Motorpsycho, Nils Økland, Phaedra, Rune Grammofon, Rune Kristoffersen, Scorch Trio, Sidsel endresen, Stian Westerhus, The Last Hurrah!!, Tove Nilsen | Comments off
Wenn Rune Kristoffersen Ende der Neunziger nicht einfach angefangen und losgelegt hätte …
Wenn Rune Kristoffersen nicht weitergemacht hätte …
Wenn Rune Kristoffersen nicht auf Kim Hiorthøy gestossen wäre …
Wenn Rune Kristoffersen und Kim Hiorthøy sich nicht zusammengetan hätten …
Wenn Kim Hiorthøy nicht all die verrückten Grafiken zu Album-Covers gemacht hätte, ….
Was hätten wir heute nicht? Gar nicht oder anders? Mein erstes Rune-Album war, glaube ich, Nils Økland. Das war einfach was ganz anderes, eigenes. Ein neues Gefühl, mysteriös und sehr greifbar zugleich war Rune. Wie frische Spuren im Schnee. Opsvik&Jennings, dann natürlich Arve Henriksen und Supersilent. Dieser Umgang mit Farben auf den Covern. Die Mikro-Typographie und die namenlosen CD-Scheiben, nur farblich auseinanderzuhalten. Wie Holzhäuser ohne Nummer und Namensschild.
Ett hundre og femti album. Hundertundfünfzig Alben (weiter sind wir). Es gibt noch was zu tun.
Diese gut gestaltete Vinyl-Schachtel auf den Schlitten! SAILING TO BYZANTIUM. Eine Schachtel mit 4 verschieden- farbigen 10 Inch Vinylscheiben in tollen bedruckten Papphüllen, einem Faltblatt mit ausgesprochen lesenswertem ausgiebigen Gespräch zwischen Rob Young, Rune Kristoffersen und Kim Hiorthøy und einem wunderbaren Poster. Einmalige Auflage von 500 Stück!
Auf den Hüllen und der Schachtel Bildelemente von Hiorthøy: es sind Objekte und keine Objekte, es sind Photographien von Objekten und keine Photographien, sie ähneln Exotika-Bildkunst, sind aber ganz und gar keine Exotica. Es sind menschliche Gestalten, und auch wieder keine. Es sind Szenen und keine. Anklänge an Art Brute, aber aus Papier oder Wolle. Where is the way out? Do we need a way out? Die Schachtel, sie ist auch ein Spielzeugkasten wie früher.
Tracks
Hedvig Mollestad Trio – Sing, Goddess
– Bushman´s Revenge – As We Used To Sing (Live) –
Scorch Trio – Kjøle Høle
– Motorpsycho – Year Zero (A Damage Report)
- FIRE! – Your Silhouette On Each (Without Noticing) –
Elephant9 – Hardcore Orientale
– Phaedra – Honeydewed Autumn –
Jenny Hval – Blood Flight
– The Last Hurrah!! – The Lonely Whistle Call –
Hilde Marie Kjersem – That Day In The Shower
– Tove Nilsen – Jordan
– Sidsel Endresen & Stian Westerhus – Drawing An Arc
– Maja Ratkje – Intro –
Alog – Baklandet
– Espen Eriksen Trio – In The Woods –
Nils Økland – Blond Blå
– Arve Henriksen – Silver Box