Während viele Vokalisten sich in die entferntesten Verästelungen des Stimmklangs begeben und diese zu Musik machen, geht Eldbjørg Raknes (1970) einen anderen Weg, den Weg nach unten, in die Elementarteile und den Boden der menschlichen Stimme und in den Übergangsbereich zwischen innerer und äusserer Stimme. Was nicht unbedingt heisst, dass sie immer im tiefen Register oder flüsternd singt. Es geschieht viemehr durch Weglassen und durch Wirkenlassen, dadurch, dass das Elementare seine Wirkung langsam und nahezu magnetisch und traumwandlerisch in und durch den Raum entfalten kann.
Dies geschieht formbewusst und expressiv. Form wird nicht durch Intentionalität, Finalität oder Normen beherrscht. Expressivität ergibt sich aus Kontingenzen des Laut- und Klanggestaltungsprozesses. Elektronik und Sampling spielen dabei eine instrumentelle Rolle. Mit der Konzentration auf reine Lautlichkeit und deren Ausdrücklichkeit steht sie Sidsel Endresen nahe. Allerdings unterscheiden sich beide deutlich in der Ausarbeitung.
Was es ist, lässt sich durch aufmerksames Hören erfahren. Dazu gehört das Loslassen von gewohnten, vorgeformten Hörmustern. Ähnlich wie sich Luft und Wolken unmerklich, aber wahrnehmbar in Farbe und Form verschieben, geschieht es bei Raknes mit Klängen. Es hat bestimmte Eigenschaften von Ambient, besitzt aber eine andere innewohnende Dramaturgie voller roher Materialität mit all seinen Widerspenstigkeiten. Klang, Zeitverlauf und Licht- bzw. Farbwahrnehmung treten in ein intensivertes Verhältnis zueinander.
Raknes stammt von der Insel Otrøy, Midsund, westlich von Molde gelegen und kommt aus der Trondheimer ‘Schule’, die in den letzten Jahrzehnten so viel aussergewöhnlich markante Musiker (und Gruppen) hervorgebracht hat. Ihr erstes Duo bildete sie mit Christian Wallumrød, zu dem dann später Arve Henriksen hinzustieβ. Ausserdem arbeitete sie mit Anders Jormin und Jon Balke und hatte zehn Jahre lang ihre Gruppe TINGeLING mit Maria Kannegaard, Nils-Olav Johansen und Per Oddvar Johansen. A capella arbeitete sie mit der Vokalgruppe Kvitretten sowie mit Sidsel Endresen und Elin Rosseland. Auch spielte sie eine wichtige Rolle bei der Gründung der Trondheim Voices. Ab 2004 trat sie mehr und mehr solo auf und begann sie eng mit Stian Westerhus und dem Saxofonisten und Leiter des Trondheim Jazzorchestra, Eirik Hegdal, zusammenzu- arbeiten. Open, das neueste Album von Raknes, ist das Resultat ihrer Zusammenarbeit mit Schlagzeuger Audun Kleive.
Um die einstündige Sendezeit auszufüllen, musste sich noch dazu ‘passende’ andere Musik finden. Mir fiel die Musik des japanischen Komponisten Toshio Hosokawa (1955) ein, die ich allerdings nur einmal kurz gehört hatte. Ich war verblüfft über die Eingebung: es zeigten sich starke Zusammenhänge. Auch bei Hosokawa Klänge wie die Verfärbung schimmernder Lüfte. Hosokawa schafft den dafür erforderlichen Äther mit Hilfe der Sho, einer Jahrhunderte alten Mundorgel mit siebzehn Bambuspfeifen. In dem Programm zwei Kompositionen von dem Album Landscapes: Sakura, 桜 , ein Solo-Stück für Sho, benannt nach der Kirschblüte sowie Cloud & Light, ein Stück für Sho und Orchester. Das Radio- programm kann ON DEMAND abgerufen werden. Es beginnt mit der Erkennungsmelodie des Programms gefolgt von einer zweiminütigen Einführung auf Niederländisch. Der Rest ist zu 98% Musik.