Als die OIC des Dortmunder Max-Planck-Gymnasiums vor einigen Wochen zu einem Klassentreffen zusammenkam, wurde das Jahr 1973, in dem wir unser Abitur machten, wieder sehr lebendig. So brachte unser Klassensprecher sämtliche Abiturarbeiten mit, die vier Jahrzehnte lang in einem Archiv ihr staubiges Dasein gefristet hatten. Die alten, älter gewordenen, Gesichter wiederzusehen, war spannender als ich dachte. Wie eine Hypnosesitzung, in der, auch durch das Hören der einst vertrauten Stimmen, lang verschlossene Räume wie von Geisterhand aufsprangen.
1973 war für mich ein Schlüsseljahr, in meiner Erinnnerung wird es immer das Jahr sein, dem ich eine seltsame, grosse Bedeutung gebe und wahrscheinlich ein Stückweit andichte, denn nichts wirklich Erschütterndes oder Magisches ist damals passiert. Gut, die Liebe war ein Desaster, aber das war damals normal, wenn man nicht schon früh ein Glück fand, das dauern sollte. (Nicht wahr, Horst, nicht wahr, Rainer, nicht wahr, Klaus? Es gab offensichtlich einige Glückspilze.) Skurriles aber gab es 1973 zuhauf, wie das Missverständnis, das mir bei unserer Englischarbeit unterlief. Da setzte ich mich auch bald an den Tisch unseres Klassenlehrers, Dr. Egon W., und ging mit ihm diese alte Hemingwaysche Kurzgeschichte durch.
Aber das eine andere Geschichte. Dem Protagonisten in Stephen Kings jüngstem Roman „Joyland“ ist es anders ergangen, er hat damals, 1973, in seinem fiktiven Leben, Himmel und Hölle erlebt. Ich war ein nie ein grosser Stephen King-Fan, vieles scheint mir zu ausgewalzt, zu sehr nach kalkulierten Mustern gestrickt, doch dieser kleine Roman vom Erwachsenwerden ist ein Juwel: der Grusel wohldosiert, die Figuren lebendig, keine Erkenntnis des Ich-Erzählers kommt grosspurig daher, alles dem Leben, der Liebe und dem Schrecken abgetrotzt.
Aber wie soll jemand, der 1973 (aus welchen Gründen auch immer) als das Ende der Kindheit erlebte, objektiv über einen Roman urteilen, der genau davon erzählt, von 1973 und dem Ende einer Kindheit? Beim Klassentreffen gingen dann noch, vor Mitternacht, Fotos von damals rum, wie wir Abiturienten über den Westenhellweg stromerten, oder uns auf dem Alten Markt entspannt zu Eis und Cola an einen Brunnen setzten. Die Bilder gingen mir seltsam nah. Und einer meiner alten „Klassenkameraden“, mit dem mich privat nie viel verband, erzählte an diesem Abend, so viele Jahre später, eine Geschichte, die ganz kurz war, beiläufig, und ohne Zierat. Die Geschichte wirkte deshalb noch trauriger. Er war auch einer der ersten, der ging, und ich hoffe, es geht ihm gut. Von diesem Klassentreffen (und den Ausflügen der Erinnerung) könnte ich noch ganz viel erzählen, und wenn mir jemand 25000 Euro zahlt, schreibe ich es nieder, auf 200 Seiten. Ehrlich. Die Deadline wäre der 30. März 2014. Es wäre natürlich auch eine Suche nach der verlorenen Zeit. Aber Sie können es preiswerter haben. Lesen Sie „Joyland“! Ein tolles Buch!